Montag, 28. Oktober 2019

110 Blatt

Die Zahl des Tages: 110. Wir dol­met­schen und übersetzen in Berlin, Aus­gangs­spra­chen: Englisch und Französisch, Zielsprachen: Französisch und Deutsch. Meistens in den Bereichen Kultur, Wirt­schaft und Handel, Soziales und Politik.

Pult in der Dolmetscherkabine
Die Spitze des Eisbergs
110 Blatt für zwei Tage. Ge­hen wir von je acht ­pro­duk­ti­ven Arbeits­stunden aus, was recht optimistisch ist, haben wir 8,73 Mi­nu­ten pro A-4-Seite. Einige sind 1,5-zeilig be­schrieben, andere Power­Point­Präsentations"folien" mit 30 Zei­len, müsste 4-Punkt-Schrift sein. Bei 6 Punkt in ein­em Ver­trag schril­len bei al­len, die ich ken­ne, sämt­liche Glocken: un­seriös!

Zwei Tage vor der hoch­technischen Groß­kon­ferenz ploppen uns Doku­­mente ins Post­­fach, Texte, die wir seit zehn Tagen fast täglich anmahnen.

Bei sieben Arbeits­­tagen im Voraus hätten wir 30,5 Minuten pro A-4-Blatt gehabt. Das kann zu viel sein, aber auch zu wenig. Für eine hoch­­komplizierte Veran­stal­tung, die so kompliziert ist, dass ich keine Fach­frau/kei­nen Fach­mann in dem Feld kenne, kurz: Für ein Thema, in das wir uns komplett neu ein­ar­beiten dürfen, wäre so viel Zeit durch­aus in Ordnung.

Aller­dings wäre das auch eher unwirt­schaftlicher Auf­wand gewesen. Bei 800 Euro Dolmetscher­honorar pro Tag kämen wir dann bei insge­samt neun Arbeits­­tagen auf 22,22 Euro die Stunde. Das ist für eine Akade­­mikerin zu wenig. Viele Akade­miker werden allerdings schlech­ter bezahlt in Deutsch­land. Und wenn wir uns hier auf-wän-digs-tens in ein neues Gebiet einar­beiten, kann das durchaus später Dividende bringen, wenn wir nämlich genau wegen solcher Vor­kennt­­nisse gebucht werden.

Aber das Ganze ist ohnehin graue Theorie. Am besten wären diese Texte ab Mitte August bis Mitte September eingetroffen, noch in der Vor­saison. Gebucht waren wir seit März. Wir hätten Zeit gehabt. Schnelle Di­vi­dende ist in unserer Bereich nicht immer ein Thema. Aber der Mailbrief­­kasten war wochenlang gähnend leer. Und dann kam alles auf ei­nen Schlag. Das Internet verleitet zu viele dazu, auf den letzten Drücker ...

8,73 Minuten pro Seite. Mitten in der Hochsaison. DAS ist die bittere Realität unseres Berufs.

______________________________
Foto: C.E. [eine andere Konferenz]

Keine Kommentare: