Donnerstag, 31. Oktober 2019

Aus dem Archiv: Mademoiselle

Herzlich willkommen auf den Sei­ten des ersten deut­schen Web­logs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Hier schreibt ei­ne Fran­zö­sisch­dol­metscherin über ihre Einsätze in Ber­lin, Paris, Cannes und anderswo. Neulich stellte ich alte Unterlagen zusammen. Dabei bin ich auf dieses Frühwerkchen gestoßen. Achten Sie mal auf die Anführungszeichen.

Ein früher Morgen in Paris. Wir drehen hier für Arte in der Stadt, in der ich vor 15 Jahren studiert habe. Mit Schwung betrete ich die Bäckerei, mit Elan bestelle ich die Croissants fürs Team — und mit einem « Voilà, Mademoiselle ! » reicht sie mir die Bäckerin.

2011 am Kiosk
Dieses « Fräulein » habe ich lange nicht mehr gehört. In Frank­reich ist es noch an der Tages­ordnung, aber warum bin jetzt ich, eigentlich unaus­ge­schlafen, « une made­moiselle »? « Sie haben so viel Ener­gie, sind so jugendlich, da kommt das Ma­de­moiselle ganz automatisch! », erklärt sich die Dame hinterm Tresen.

Made­moi­selle – das war ich bis zum Ende meines Stu­diums in Frank­reich. Als ich nach Deutsch­land gegan­gen bin, war ich von einem Schlag auf den anderen « Frau ». Das passte gut zum Alter, in dem man sich Res­pekt wünscht. Damals sagte in Deutsch­land kaum einer mehr
 « Fräu­lein ».

Einmal, noch im Studium, war ich zu Besuch in Berlin. Die Biblio­thekarin sagte in meine Rich­tung: « Frau Elias » – und ich drehte mich um. Ich dachte, jetzt steht meine Mutter hinter mir.

Das « Mademoiselle » ist aber nicht nur ein Kom­pli­ment für jugendliche Energie. Es ist Teil der Spra­che der Verführung und zeigt an, dass die betreffende Person weib­lichen Geschlechts noch « zu haben » ist. In Frankreich gibt es jetzt eine Be­we­gung gegen das « Ma­de­moi­selle ». Immer mehr Frauen em­pfin­den es als dis­kri­mi­nierend, als mache erst der Ehe­mann aus einer Frau eine Frau. « Mademoiselle » taucht indes sogar in offiziellen For­mularen auf, obwohl kein franzö­sisches Gesetz eine Unterteilung der Frauen in ‘verheiratet’ und ‘unverheiratet’ vorsieht.

In Deutschland ist das Fräulein inzwischen sogar politisch un­kor­rekt. Es ist fast aus­ge­storben. « Fräu-lein! » mit einer betonten Verlang­samung des betonten Um­lauts, das ist eine Drohung, die man­ches kleine oder größere Mädchen hier­zu­lan­de kennt. Übersetzt heißt es: « Mach’ was ich sage, oder es setzt Konsequenzen! »

Mademoiselle aber finden viele noch heute charmant. Man­che Fran­zösin hat aus der Familienstandsangabe einen Teil der eigenen Person gemacht. Mademoiselle Nathalie Baye durfte ich letztens in Berlin inter­viewen, ich war natürlich Frau Elias. Sie ist etwas jünger als meine Mutter. Das Gleiche hätte mir mit Ma­de­moi­selle Jeanne Mo­reau passiert sein können, die noch eine Generation älter ist.

Die berühmteste Mademoiselle von allen war aber Coco Chanel, sie hieß damals nur « Ma­de­moiselle », ganz ohne Namen.

Abends, wieder beim Bäcker, nach einem langen Arbeitstag eine Quiche: « Vous désirez autre chose, Madame? » 

* * *

Der Text entstand 2006 für La Gazette de Berlin. Nathalie Baye habe ich da­mals na­tür­lich gedol­metscht, nicht interviewt. Die Re­dak­tion fand aber, "in­ter­viewt" wirke be­deu­ten­der. Wie die franzö­si­schen Guillemets. Und ich hab' hier eng­li­sche An­füh­rungs­zei­chen, da der Anbeiter der Webspace, ursprünglich blog­spot.com, aus den USA kommt.
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Illustration: "Fräulein"

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