Mittwoch, 30. Oktober 2019

Le hinterland (3)

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­ar­bei­terin werde ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort tä­tig, wo man mich braucht. Wer immer das Große und Ganze im Blick hat wie wir Dolmetscher, muss gleichermaßen auf jedes einzelne Wörtchen achtgeben ...

Das Wort „Hinterland“ verstehen in englisch­sprachigen Ländern inzwi­schen mehr Menschen als nur Trans­port­lo­gis­ti­ker. Das gefällt mir. Ähnlich war es in den 1990-er Jahren mit dem Wort „Zeitgeist“. Verstehen die Durch­schnitts­men­schen im englisch­sprachigen Raum heute noch dieses Wort und was kann zur Wort­be­kannt­heit beitragen?

Für uns Sprachar­beiterinnen bedeutet Wort­be­kannt­heit, dass wir uns Begriffe im­mer wie­der an­se­hen. Dazu sortieren wir sie je nach Sinnzusammenhang in Listen ein, die wir in der Regel bei den Ein­sätzen auch bei uns haben, früher systema­tisch ausge­druckt, jetzt immer öfter nur noch digital, die Sicherheits­kopien lagern auf anderen Fest­­plat­ten und in einem Online­­spei­cher (Mail­­pro­gramm).

Lexik auf dem Schoß, Passanten, Parkstühle, Sonne
Im Jardin du Luxembourg
Rasch schlaue ich mich mit einer mir gut bekannten Lexik für einen kurzfristig ge­plan­ten Termin auf. Es könnte Trans­port­wirt­­schaft sein. Schon in der Uni­ver­si­tät haben wir unsere ersten Lexiken erhalten und selbst an­­ge­­legt.

Über diese Trans­port­lexik habe ich bereits 2013 ge­schrieben und erläutert, wie wir derlei anlegen: Aufbau der Lexik. Aus die­sem Blogpost stammt auch das ne­ben­­ste­­hen­­de Foto.
Damals haben wir auch immer noch hand­­schrift­lich ergänzt. Inzwi­schen arbeite ich, ganz dem Zeit­geist entspre­chend, mit Ta­blet, suche (online), lese und notiere oft nahezu zeitgleich.

Und dabei dol­­metsche ich auch noch. Mir fällt das nicht mehr auf, ich swit­­che schnell von einem zum anderen, aber meinen Kunden manch­­mal, die das dann freundlich kom­­men­­tieren.

Dass ich ich in den letzten anderthalb Jahrzehnten sehr viele Wortfelder beackert habe, ist praktisch. Ich bereite mich auch mit dem Überfliegen der an­gren­zen­den Bereiche vor, denn sie greifen nicht selten ineinander.

Und dann gibt es immer wieder diese wandernden Worte, mit und ohne Trans­­port­­lo­gis­tik. Dem weltbesten Paten­zieh­kind war schon im zarten Alter von nicht ein­­mal sechs auf­ge­fallen, dass es solche gibt, und identi­fizierte ziel­sicher den Begriff „Wa­gon“ als einen solchen. (Die da­ma­li­ge Be­grün­dung des Le­se­­ler­ners: „In Frank­reich gibt es kaum Wör­ter, die mit „W“ an­fan­gen. So ein Wagon hat Räder. Viel­leicht ist das Wort genauso von Land zu Land gereist, wie der Wagon.“)

Das Wort „Hinterland“ nutze ich übrigens, wenn es darum geht, Menschen er­ah­nen zu lassen, warum Künst­liche Intelligenz (KI) in einigen Jahren eben nicht unsere Jobs übernehmen wird. KI ist ein wei­te­res Werk­­zeug, das von Menschen bedient wird. Jeder Begriff hat sein kul­turell ge­präg­tes Hinterland, das von Sprach­raum zu Sprach­raum anders gelagert, zugeschnitten, groß ist. Wir erinnern uns aus der Grundschul­ma­the­ma­tik an das Wort "Schnitt­men­ge". Die Hinter­länder sind nicht deckungs­gleich.

Unser damaliges Wörterlernlotto mit anderen "Reisewörtern"
Hier sind Menschen gefordert mit Wissen, Intuition, Selbst­in­fra­ge­­stel­lung und Kom­mu­ni­ka­tions­­fä­hig­keit. Bits und Bytes ent­schei­den zwischen Eins und Null, sie zwei­feln nicht, sie er­in­nern sich nicht, sie wis­sen nicht, wer im Zwei­fels­fall besten wei­ter­hel­fen kann, sie ha­ben kein mit Ge­füh­len ver­bun­de­nes Ge­dächt­nis. So ein­fach ist das und scheint den­noch so kom­plex.

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Foto: C.E. (Archiv)

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