Montag, 7. März 2011

Rabenmutter

... ist ein Wort, das es auf Französisch nicht gibt. Kinder sind Teil des Alltags, den beide Eltern ganz normal leben, unterstützt von Kindergärten, Kinderfrauen, Tanten, Au Pairs etc. Auch der Gedanke, Kinder könnten etwas Störendes sein, passt nicht recht zur französischen Alltagskultur. Das kenne ich nur aus Deutschland.

Wer in mein digitales Arbeitsjournal regelmäßig reinschaut, weiß, dass es auch in meinem Leben ein Kind gibt, kein selbstgebackenes, aber ein sehr, sehr angeliebtes solches: Meinen Patensohn.

Blois (Loir-et-Cher)
Sommer vor bald zwei Jahren, das Kind stand vor der Einschulung, waren Mini und ich allein zu Hause. Es war im schönen Monat August, wir bekamen Frankreichbesuch, fuhren viel raus, gingen regelmäßig schwimmen (also er sollte schwimmen lernen, ich saß daneben) und ins Museum; weggefahren sind wir dann auch noch. Zwischendrin gab es Tage, an denen ich selbst in diesen ruhigen, beschaulichen Ferienwochen arbeiten musste, denn im Sommer wird der Herbst vorbereitet.

Und da ist in Anwesenheit eines fünfeinhalbjährigen, fordernden jungen Mannes nicht immer leicht. Le jeune homme ist sehr erwachsenenfixiert (als Einzelkind), und zugleich schien ihm wenigstens einzuleuchten, dass das Geld, mit dem wir unsere croissants und chaussons aux pommes in der petite boulangerie um die Ecke kaufen, ja auch irgendwie verdient werden muss.

Ohne, dass wir das Thema vorher ausführlich besprochen hätten, passierte prompt, was ich mir bis dato nicht vorstellen konnte. Das Telefon klingelte, eine potentielle Kundin war dran, ich besprach drei Minuten lang ein Projekt, dann meldete das Kind Kommunikationsbedarf an. Ich habe dann klar die Situation erklärt und die Dame gefragt, ob ich sie morgen in aller Ruhe erreichen könne. (Der Kleine war bei einem Freund am Vormittag zum Spielen verabredet.)

Horch!
Die Stimme der Gesprächsteilnehmerin klang indes so, als ob sie das alles höchst unprofessionell finden würde. Im Grunde kann ich das verstehen: da rufe ich zu Bürozeiten bei einer Dienstleisterin an und dann quatscht da mit zunehmender Intensität ein Kind rein. Auf der anderen Seite war es bald fünf Uhr, da sind viele deutsche Mütter nicht mehr im Büro, und (Ferienmonat) August obendrein.

Als das Gespräch beendet war, fing der Kopf an zu rumoren. Ja super, Deutschland. Die Rabenmutter ist also eine Mutter, die ihr Kind abschiebt; das Büro mit Familienanschluss ist die Kehrseite der Medaille, und welche Vorurteile sind damit verbunden? Kann hier jemand nicht zwischen Beruf und Privat trennen, mangelt es vielleicht auch gleich noch an Geld fürs Auslagern der Störenfriede = mangelnder Professionalismus ... Hierzulande dominiert eben immer noch das "entweder/oder", versuchte ich mich zu beruhigen, es ist nur eine Frage der Zeit, und dann werden auch in Deutschland Kinder anders wahrgenommen.

Warum machen wir es uns eigentlich immer so schwer?, dachte ich wenig später aus einsetzender Distanz, die ich auf meine Lebenserfahrung in anderen Ländern zurückführe, um mir in der nächsten Sekunde fröhlich weiter Vorwürfe zu machen, das Kind nicht früh genug auf die Situation vorbereitet zu haben.

Altstadterkundung: Kind, wo entlang?
Beim nächsten Mal sollte alles besser sein, das schwor ich mir am Abend. Und ich habe die nächsten Tage dann immer mal wieder über die Arbeit und die Notwendigkeit des Telefonierens gesprochen und ein Spiel eingeführt. Wenn das Bürotelefon klingelt, spielen wir jetzt Indianer. Wir bewegen uns leise, treten leise auf, damit der Mensch am Telefon nicht weiß, wie viele Leute auf der anderen Seite sind. Vor allem aber versprach ich dem kleinen Großschatz, der sich von sich aus lange still beschäftigen kann, eindeutige Zeiten nur für ihn, wenn ich auch meine Arbeitszeit bekäme. Wie gesagt, er war damals 5,5 Lenze jung, Einzelkind und seine berufstätigen Eltern — beide sind beim Film — kümmern sich, wenn sie da sind, intensiv um ihn.

Dann kam die Bewährungsprobe. Eines sehr späten Nachmittags klingelte das Telefon, es ging um einen anderen Auftrag. Der Mini spielte leise und schlich wie ein Indianer durchs Zimmer. Nun hatte ich den zweiten Fehler gemacht und den jungen Mann ebenso wie die Komplexität des Gesprächs unterschätzt. Mir war damals außerdem nicht klar gewesen, dass das Kind schon die Uhr lesen kann. Kurz: Ich hatte leichtsinnigerweise gesagt, dass das Gespräch nicht länger als eine halbe Stunde dauern würde.

Tat es aber.

Mit Beginn der 31. Minute meldete er sich (*). Die Anrufende (erneut war's eine Frau) und ich waren gerade an der heiklen Honorarfrage angelangt, und Kind wurde sehr schnell sehr ungnädig. Ich erklärte nicht viel, lobte ihn nur für die lange Zeit, die ich jetzt hätte telefonieren dürfen und erbat mir noch ein paar Minuten. Protest vom Mini.

Geistesgegenwärtig sagte ich etwas ins Telefon wie: "Jede Minute ist kostbar, Sie hören es. Und deshalb ist es für mich auch wichtig, dass sich meine Berufserfahrung in der Honorarhöhe widerspiegelt!"

Caro, komm' mal, Dein Arm ist länger!
Aber mit dem Augenblick, in dem sich das Kind ins Telefonat eingeschaltet hatte, war die Honorarverhandlung zuende. Das Gegenüber entschuldigte sich fürs späte Anrufen, inzwischen war es nach 18.00 Uhr, der Termin war mehrfach verschoben worden, und erklärte sich mit meiner Honorarsumme einverstanden. Besser noch: "Lassen Sie den jungen Mann nicht weiter warten, ich weiß ja, wie das mit Kindern ist!"

Da hatte ich erst Angst gehabt, mich dann mit fremden Federn geschmückt ... und war prompt auf "Muttersolidarität" gestoßen. Mir blieben erstmal die Worte weg. Die Familienverhältnisse hab ich beim nächsten Telefonat aufgeklärt. Die Frau, die mich seitdem oft beauftragt hat, befand darauf aber, auch angenommene Teilzeitfamilie zähle.


P.S.: Die erste Anruferin hat sich nie wieder bei mir gemeldet.
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Fotos: von unserer Reise nach Blois,
Herbst 2010
(*): Das Kind konnte schon Zahlen lesen
und wie lange eine halbe Stunde dauert.

2 Kommentare:

Vega hat gesagt…

Schöne Bilder! Und das ist wirklich eine gute Episode! Ich freu mich, dass Ihr Euch so gut versteht. Auf bald mal wieder, alles Liebe, Bine

caro_berlin hat gesagt…

Ja, diese Freundschaft zu dem kleinen Mann macht mich sehr froh. Ein großes Geschenk! Ich kann nur allen "kinderlosen Eltern" empfehlen, sich ein Patenkind zu suchen, das kann wie bei uns auch völlig weltlich sein. Bis die Tage, grüß Deine Jungs, C.