Mittwoch, 12. Oktober 2011

Laufmaschendienst

Willkommen auf den Seiten des Arbeitsjournals einer Französisch sprechenden Dolmetscherin aus Berlin. Neben dem Dolmetschen biete ich Übersetzungen an, und hier ist der Ort, an dem ich über das, was oft in Hektik geschieht, in Ruhe nachdenken kann.

Sprachmittler sind Wortarchäologen und -konservatoren, das merke ich als Übersetzerin täglich. Wir müssen aber auch sprachliche Trends erspüren, sobald sie entstehen, und wenn's sich nur umso einfache Dinge wie Trinkgewohnheiten handelt. An meinem Schreibtisch reise ich durch die Zeit: Letzte Woche las ich ein Drehbuch, das im Jahr 2012 in Berlin spielen soll; bald folgt das Buch für die Verfilmung eines französischen Werkes aus dem 17. Jahrhundert. Und vor der Berlinale werde ich mit einem anderen Buch in die 1920-er Jahre eintauchen, die ja ein unerhört modernes Zeitalter waren, was durch die Jahre der braunen Barbarei in Vergessenheit geriet.

Zum Glück kann ich auf viele historische Bücher zurückgreifen, die ich von meinen französischsprachigen Ahnen geerbt habe, darunter auch Wörterbücher und Lexika. Auch Briefe sind interessante Quellen ... aber wie in früheren Epochen wirklich gesprochen wurde, lässt sich meist nur erahnen oder rekonstruieren. Umso wichtiger ist es, seltene Vokabeln vergangener Zeiten zu bewahren. Laufmaschendienst, Puppendoktor, Bettenklinik sind die neuen Exponate meines Sprachmuseums.

Einen Laufmaschendienst gab's zum Beispiel in der HO-Strumpfboutique in der Friedrichstraße oder in der U-Bahn am Bahnhof Alexanderplatz. Das war praktisch für die werktätige Frau und Mutter, die im Vorbeigehen auf dem Weg zur Arbeit noch schnell etwas für sich selbst erledigen konnte. (Leider habe ich davon damals keine Fotos gemacht.)

Puppendoktores und Bettenkliniken finden wir heute nur noch im Internet, weil die Laufkundschaft fehlt. Dabei bräuchten wir gerade dringend Hilfe für einen Petzibären! Angesichts unfroher Botschaften über lebendgerupfte Daunen in neuen Kissen würde ich gerne die alten aufarbeiten lassen ... in einer Betten- oder Bettfederklinik, das Wort ist mir noch vertraut, auf meinem Schulweg kam ich einst an einer solchen vorbei.

Alles Dinge, die wir in dieser überaus langen Epoche der Wegwerfmentalität nicht haben. Nun, ich denke, das kommt wieder. Die Worte dafür sind jedenfalls noch da.

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Illustration: Kinowerbung aus den
Zwanziger Jahren (vom Flohmarkt)

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