Montag, 24. Oktober 2011

On mange !

On mange, wir essen. Derzeit häufen sich die Arbeitsessen ... und daher betreten wir mit Dolmetschkunden eine Gaststätte ... und wundern uns in den kurzen Pausen, in denen wir mal nicht sprachmitteln müssen. Unauffällig lasse ich den kleinen Zettel in die Tasche gleiten, auf dem unser Spezialmenü des Tages aufgeführt ist. Nach dem Dolmetscheinsatz kann ich in Ruhe darüber nachdenken, was ich da so in kleinen Häppchen zwischen zwei Sätzen aß. Oder auch nicht.

Für alle, die jetzt eine Pauke sehen:
Eingeschliffenes Weißweinglas vor Herbstlaub
Einst waren Speisekarten redlich und beschrieben den Kaffee als komplett und das Gedeck zwei als Gabelfrühstück mit Ei und Petersilie. Da wusste man, was man bekam.

Dann wurden Speisekarten pragmatisch, zählten die Gifte und dubiose Bestandteile nach Buchstaben und Zahlen sortiert auf, nur wurde einem leider keine Tafel zur Entzifferung dessen mitgereicht, was E150c und 160b bedeuten soll.

Jetzt sind Speisekarten poetisch und philosophisch und prahlen mit vermeintlich eindeutigen Besitzverhältnissen. Beim "Dialog von Frühjahrsgemüse" sehe ich die Zuckerschötchen miteinander im Zwiegespräch, bis sich die jungen Möhren zankend einmischen. Wer spricht am Ende das Machtwort? Die in Essigreduktion mit Waldhonig gebeizten Peperoncini, das Fluggemüse, das sich hier eingeschummelt hat? Anschließend werden "Meeresfrüchte an pikantem Zitronensoufflé auf ihrem Salatbett" kredenzt. Wissen die das? Ich meine, wissen die Meeresfrüchte, dass sie nun, da sie dem Jenseits angehören, ein eigenes Bett aus Salat besitzen? Und warum sind sie "am" Soufflé? Liegen sie daneben? Das Soufflé also auch auf dem Salat? Und warum gehört der Salat nicht auch dem Sofflé? Sorry, dass ich jetzt philosophisch werde, aber setzt der Genuss von Besitz nicht Bewusstsein voraus, also eine aktive (oder kürzlich ausgehauchte) Seele? Und wussten die Meeresfrüchte, dass sie Meeresfrüchte waren?

Einer der Mitesser am Tisch genießt "Zweierlei vom Rind", genauer haben wir's nicht. Ist es die Zunge und die Leber oder hat der Koch heute Ochsenschwanz und Steak serviert? Ja, richtig, Ochse ist kein Rind, geschenkt! Aber die Speisekartenpoesie ist hier dann doch wieder ungemein praktisch, weil der Koch erstmal nachgucken kann, was vom ollen Wiederkäuer noch übrig ist, bevor er loskocht. Hier entwickelt sich die Poesie also zurück in Richtung Pragmatik. Wird nicht mehr lange dauern, dann ist wieder Speisekartenredlichkeit angesagt.

Jetzt kommt erstmal die Rechnung, aber die ist weder redlich noch pragmatisch noch poetisch. Das haben die Beteiligten aber vorher gewusst.

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Foto: C.E.

2 Kommentare:

Alexander hat gesagt…

Köstlich, Caroline! Vielen Dank für den leckeren Wocheneinstieg. Musstest du die Karte auch dolmetschen?

caro_berlin hat gesagt…

Ja, zum Teil, ein Exemplar gab's auf Englisch ;-)

Gruß nach Wien ...? Bist Du jener, welcher ...?