Freitag, 28. Juni 2024

Gewitter am Horizont

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie le­sen in ei­nem Ar­beits­ta­ge­buch, das den The­men Spra­che, Dol­met­schen, Über­set­zen und Kul­tu­ren ge­wid­met ist. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­le­rin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Mar­burg und dort, wo ich ge­braucht wer­de, oft in der Dol­met­sch­ka­bi­ne, oft vor Ort. Mein Be­ruf ist mei­ne Pas­si­on. Aber jetzt? Ganz ehr­lich? Die ak­tu­el­le po­li­ti­sche La­ge macht mir gro­ße Angst.

"Made in France"
Frankreich steu­ert auf schwe­re Zei­ten zu. Die recht­sext­re­me Par­tei RN könn­te im Par­la­ment die Mehr­heit be­kom­men. Sie plant in al­len wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen Fran­zo­sen ge­gen­über Zu­ge­wan­der­ten vor­zu­zie­hen, die so­ge­nann­te pré­fé­ren­ce na­tio­na­le. Auch an­de­re Pro­jek­te deu­ten auf ei­ne öko­no­mi­sche Ab­schot­tung Frank­reichs und auf Kon­fron­ta­ti­ons­kurs ge­gen­über der EU. Wirt­schaft­li­che Kon­tro­ver­sen schei­nen da­mit pro­gram­miert zu sein. Ein an­de­rer mög­li­cher Wahl­aus­gang: Un­kla­re Mehr­hei­ten und sich wie­der­ho­len­de Patt­si­tua­tio­nen.

Die sa­ti­ri­sche Wo­chen­zei­tung Le Ca­nard en­chaî­né, die schon mal mit dem Slo­gan "Die Pres­se­frei­heit nutzt sich nur ab, wenn sie nicht ge­nutzt wird" wirbt, be­rich­tet über die Plä­ne der recht­sext­re­men Par­tei RN, die, soll­te sie an die Macht ge­lan­gen, aus­län­di­schen Stu­den­ten die Bei­hil­fen und die Zim­mer in Wohn­hei­men kün­di­gen möch­te.

Der Hin­ter­grund dürf­te sein, dass am Stamm­tisch vie­le aus­län­di­sche Stu­den­ten böswillig in den Ge­ne­ral­ver­dacht ge­bracht wor­den sind, sich ein Vi­sum zu er­schlei­chen, um in Frank­reich schwarz­zu­ar­bei­ten und es sich an­schlie­ßend in der 'so­zia­len Hän­ge­mat­te' ge­müt­lich zu ma­chen. 

Das ist auf meh­re­ren Ebe­nen sehr kurz­sich­tig. Aus­län­di­sche Stu­den­t:in­nen steu­ern je­des Jahr ein Net­to­sal­do von 1,3 Mia. Euro zu den Staats­fi­nan­zen bei. Den aus der Hei­mat nach Frank­reich mit­ge­brach­ten fünf Mia. Euro ste­hen na­tür­lich Aus­ga­ben für Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, Men­sen, Wohn­heim­plät­zen und För­der­gel­dern ent­ge­gen. Aus dem Ge­samt­um­satz er­ge­ben sich zu­dem Steu­er­ein­nah­men (Quel­le: www.cam­pus­france.org).

Fran­zö­sisch­spre­chen­de im Aus­land sind wich­tig, um die Ex­por­te Frank­reichs am Lau­fen zu hal­ten  vor al­lem in Zei­ten, in de­nen im "He­xa­gon" im­mer we­ni­ger Schü­ler Deutsch ler­nen und des­halb für vie­le of­fe­ne Stel­len, die Deutsch­kennt­nis­se vor­aus­set­zen, kei­ne ge­eig­ne­ten Be­wer­ber:in ­nen mehr zu fin­den sind. Das Image Frank­reichs im Aus­land ver­bes­sert sich durch die aus­län­di­schen Stu­die­ren­den.

Nicht zu­letzt feh­len auch in Frank­reich Per­so­nen, die Me­di­zin, In­ge­nieur­we­sen, In­for­ma­tik oder Er­zie­hungs­wis­sen­schaf­ten stu­diert ha­ben. Kurz: Die "na­tio­na­le Prä­fe­renz" der Iden­ti­tä­ren ist nir­gend­wo ei­ne gu­te Idee.

Und was ma­che ich ab Sonn­tag mit mei­ner so­zia­len Ader, mei­nen Fach­ge­bie­ten und der ei­ge­nen Er­fah­rung, in Frank­reich stu­diert und da­mit mei­ne Exis­tenz­grund­la­gen ge­legt zu ha­ben? Muss ich dann mei­nen Blog hier durch­ge­hen und al­le kri­ti­schen Pos­tings auf "pri­vat" stel­len? Oder soll ich mir gleich ei­nen neu­en Be­ruf su­chen, ei­ne Fest­an­stel­lung, ir­gend­wo, ir­gend­was?

Im Kol­leg:in­nen­kreis je­den­falls ist es ex­trem ru­hig, al­le hal­ten die Luft an.

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Il­lus­tra­tion: Mi­nis­tère de l'Éco­no­mie et des Fi­nan­ces

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