Samstag, 1. Oktober 2011

"to catch up", zweiter Teil

Willkommen auf dem Blog einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Hier schreibe ich über unseren Berufsalltag, den viele Lernphasen strukturieren. Letzte Woche beschrieb ich, wie ich an Tagen, an denen ich nicht übersetze, morgens anfange. Heute die zweite Folge: die Meta-Ebene des Beschriebenen sowie die nötige Pause.

Was mache ich bei meinen intensiven Wortfeldarbeiten lernpsychologisch? Ich nutze die unterschiedlichsten Wahrnehmungsmöglichkeiten: ich höre, lese, schreibe selbst, provoziere mit meiner Vokabeltafel inzidentielles Lernen ... und ich wiederhole aktiv, ausgewählt und im Kontext, knüpfe dabei gezielt an Vorwissen und an frühere Situationen an (die alten Listen). Außerdem bereite ich mich mit den Vokabelkarten darauf vor, dass dekontextualisierte Begriffe abgefragt werden — im Eifer des Gefechts muss ich Stichworte auch ohne den Zusammenhang erkennen. 

Ich folge mit diesen verschiedenen Herangehensweisen ziemlich genau den Strukturen und der Arbeitsweise meines Gehirns. Ich motiviere es zum Weiterlernen durch Ausschüttungen von Serotoninen beim Wiedersehen von Altbekanntem. Dieser Neurotransmitter beruhigt und macht zufrieden, daher wird er oft (fälschlicherweise) auch als "Glückshormon" bezeichnet. Ich sorge dafür, dass sich durch häufige Wiederholungen die Verbindungsstärke der "Begriffsknoten" zwischen den Neuronen wächst, die ich miteinander in Verbindung bringe. Und hier ist die Regel einfach: "Je häufiger eine Verbindung zwischen zwei Knoten aktiviert wird, desto größer wird die Assoziationsstärke zwischen den betreffenden Inhalten." (1) Dadurch steigt die Behaltenskurve an, durch häufige Nutzung der Nervenbahnen nimmt die Durchleitungsgeschwindigkeit zu. Außerdem unterhalte ich mein Gehirn durch den häufigen methodischen Wechsel, die die unterschiedlichen Sinne ansprechen. Ziel ist die Vertiefung von Sinnzusammenhängen ebenso wie das Abrufen einzelner Begriffe, auch hier werden die unterschiedlichen Neuronen und Hirnregionen wiederholt und zum Teil (vermutlich) in leicht veränderter Art und Weise angesprochen.

Dann, nach knapp zwei Stunden Lesen und Büffeln (unterbrochen von einer kurzen Pause), erlaube ich mir maßvolles Naschen. Der Genuss von schwarzer Schokolade führte in einer Studie (zumindest bei Mäusen) zu einer erhöhten Produktion der Mitochondrien, das sind die kleinen Energiekraftwerke der Zellen. Schwarze Schokolade regt der Untersuchung zufolge außerdem die Erweiterung der Kapillaren an, was die Versorgung der Muskeln mit Sauerstoff verbessert. Ob und wie sich das in der Schokolade enthaltene Epicatechin wirklich auf die Leistungssteigerung des Körpers auswirkt, ist umstritten. Mir gefällt der Gedanke, und ein kleiner Genuss zum Apfel kann nicht schaden.

Vor allem aber lockere ich meine Hirnwindungen. Auf ARTEplus7 (Catch-up TV!) gibt es so manchen Kurzspielfilm. Auch, wenn ich Filme in der Übersetzung hasse, so bin ich froh, dort manchmal Programme mitzubekommen, die ich sonst nur aus der Literatur kenne. Hier läuft derzeit "The Saint", eine Krimireihe in Schwarz-weiß von 1960 folgende nach den Simon-Templar-Romanen aus den 1920-er bis 40-er Jahren.

Ich bin weder ein großer Science-Ficition- noch Krimifan, liebe aber historische Krimis und Zukunftsvisionen der Vergangenheit, die viel über die Zeit ihrer Herstellung erzählen. Hier lerne ich lachend, was die Moderne von einst war, wie die Geschlechter miteinander umgegangen sind, welche Ängste die Menschen umtrieb. (Und diese Liebe für historische Programme hatte ich schon als 12-jährige, da hörte ich Samstags nach der Schule gern die alten Paul Temple-Hörspiele aus den 1950-er Jahren ;-)


Jetzt also die 60-er Jahre. Bei dieser Folge von "The Saint" ist ein Mord im Spielfilmstudio aufzuklären. Ich spekuliere sogar auf Filmvokabular, eine Hoffnung, die allerdings enttäuscht wird. Dafür gefällt mir diese Szene, in der ein Inspektor vom Regisseur gefragt wird: "Vous aimez le cinéma?" (Lieben Sie Kino?), worauf er antwortet: "Mais tout ce travail pour si peu de choses (rires) ... je parle de la quantité !"

Die deutschen Übersetzer fanden (ich hoffe ausgehend vom englischen Original) diese Lösung: "Haben Sie es interessant gefunden?" Kommissar: "Erstaunlich, der Aufwand für ein so kleines Resultat, ähhh, ich meine die Quantität, nicht die Qualität!" In der französischen Version wirkt der Kommissar ein bisschen weniger dümmlich, er lacht feist, anstatt "äh" zu sagen.

Großer Aufwand, kleine Wirkung, so ließe sich die französische Antwort frei übersetzen. Das gilt nicht nur für die Filmarbeit, sondern auch fürs Übersetzen und Dolmetschen. Wir pauken viel und oft, damit alles sitzt, wenn es abgefragt wird. Wie gesagt, wir fühlen uns so wie ewige Prüflinge. In einigen Tagen wieder ... Deshalb jetzt rasch noch etwas Wirtschaftslexik gepaukt! Es gibt immer einige Vokabeln nachzuholen (to catch up)!


P.S.: Lernpsychologen empfehlen übrigens für die Pausen, in denen sich der Lernstoff "setzen" kann, lustige Programme, also alles, was einen zum Lachen bringt. Lachen sorgt für mehr Durchblutung im Gehirn, was wiederum die Bildung neuer Nervenzellenverbindungen und Blutgefäße anregt. Mehr Luft im Schädel bewirken aber auch Sport und klassische Musik. (Viele empfehlen Mozart, ich schwöre auf Chromatisches von Bach.)
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Quellen:
Foto: arte
(1) Nuissl, Ekkehard: "Vom Lernen zum Lehren:
Lern- und Lehrforschung für die Weiterbildung",
Bielefeld 2006.

4 Kommentare:

Matthias Haldimann hat gesagt…

Liebe Caroline,

vielen Dank für den Einblick in deine Lernstrategien. Einige davon haben sich auch bei mir ganz natürlich eingespielt. Seit ich mit der intensiven Vorbereitung auf eine Konferenz begonnen habe, steht immer eine Schachtel mit Schokoriegeln an meinem Arbeitsplatz. Zu Beginn jedes Arbeitsblocks gönne ich mir jeweils einen.

Auch wie gut es tut, Inhalte einmal anders als durchs Lesen aufzunehmen, habe ich heute festgestellt, als ich auf den Mitschnitt einer Pressekonferenz zur Markteinführung eines Produktes gestoßen bin, das auch auf meiner Konferenz vorgestellt wird. Da konnte ich gleich bisher recherchierte Terminologie mit dem tatsächlichen Gebrauch in der Fachkommunikation abgleichen. Hier achte ich besonders auf Abkürzungen und Jargon in meiner Arbeitssprache, die sonst in schriftlichen Texten nie vorkommen. Mit diesen unter Fachleuten üblichen Verkürzungen von oft komplexen Begriffen werde ich mir in der Kabine einen allzu fuseligen Mund ersparen - und hoffentlich selbst wie ein Fachmann klingen...

Es ist mein erster Auftrag in diesem Fachgebiet und die Vorbereitung dafür Knochenarbeit. Ich freue mich schon auf die erhöhte Serotoninauschüttung, wenn ich bei der nächsten ähnlichen Konferenz einfach Vokabeln nachholen kann.

Jetzt aber Schluss für heute. Mal sehen, womit ich mir noch etwas Sauerstoff in die Gehirnwindungen lache.

Liebe Grüße in die Hauptstadt,

Matthias

caro_berlin hat gesagt…

Lieber Matthias,

das klingt prima mit der PK (gegens Fusseligreden: Pressekonferenz, Journalistenjargon, den viele PR-Leute kennen). In der Tat bietet das Netz oft Audio- oder audiovisuelle Dokumente, die zum Beispiel auch beim Einhören in Akzente super sind. Tschechisches Französisch? Namibisches Englisch? Französisch einer einstigen Gehörlosen, die dank Cochlea-Implantat das Sprechen gelernt hat? Findste alles!

Was übrigens meine Konferenztricks zur Beruhigung sind, an denen ich ständig weiterlerne, ähnelt der klassischen Prüfungsvorbereitung: Visualisierungen, Autogenes Training, Atemtechnik.

Bei der Visualisierung stelle ich mir die Kabine vor, das Umfeld, die Begegnung mit den Sprechern. Wenn ich die Orte kenne, gehe ich im Geiste schon mal einige Schritte dort. Das hat mir so gut gegen Lampenfieber geholfen, dass ich es fast nicht mehr kenne.

Autogenes Training (AT) ist für alle Lebenslagen gut und sollte schon in der Schule angeboten werden. Wenn ich merke, die Ko-Kabine ist prima drin und es stehen keine endenwollenden Zahlenkolonnen an, die ich für sie aufschreiben müsste, kann ich darüber schnell in eine dem Kurzschlaf ähnliche Phase kommen.

Atemtechnik hängt mit AT eng zusammen. Ich praktiziere dann Zwerchfellatmung, durch die sich die Lunge nach unten weiter ausdehnt, Folge: Die Luftaufnahme vergrößert sich, denn im untersten Lungendrittel wird (wegen der Schwerkraft) das meiste Blut für die Sauerstoffaufnahme erreicht. Außerdem verbessert Zwerchfellatmung die Stimme. Die Brustatmung, das Gegenteil dieser entspannten Atmung, führt zu einer gepressten Stimme, die dann rasch ermüdet und angegriffen werden kann.

Sonnengrüße,
Caroline

Stas hat gesagt…

Super, dieser Blog! Mit der informativen Qualität und diesem Stil, sowas ist echt selten!
Gruß, Stas

caro_berlin hat gesagt…

:-)