Dienstag, 23. Juli 2024

It's hot, baby!

Aus dem Ar­beits­­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch, ein we­nig mit Eng­lisch. Sehr häu­fig dol­met­sche ich zu Um­welt- und Klima­the­men, Um­welt­tech­nik, Na­tur- und Flä­chen­schutz, Flä­chen­neu­in­an­spruch­nahme (ar­ti­fi­cia­li­sa­tion des sols) und nach­hal­ti­gem Bauen. Für mich ist es manch­mal schwer zu ver­ste­hen, dass nicht längst alle He­bel um­ge­legt wor­den sind ...

Teddybär und Stickdecke beim Trödler: "Schön Wetter"
Klima ist nicht gleich Wetter
Sta­tis­ti­ker ver­mel­den, dass sich die Zahl der jähr­li­chen Hitze­tage in Deutsch­land seit den 1950er Jah­ren bis heute auf neun Tage ver­drei­facht hat. Dem steht ein Rück­gang der "Eis­tage" ge­gen­über. Dazu zäh­len alle Tage, an denen die Luft­tem­pe­ra­tur unter null Grad Cel­si­us liegt. In den 50er Jah­ren waren es noch 28 per annum, heute sind es 19.
Des­halb geht es jetzt da­rum, die Städ­te an­ders zu pla­nen, mehr auf be­reits er­schlos­se­ne Flä­chen zu­rück­zu­grei­fen, den Be­stand klima­gerecht um­zu­bau­en, Stich­wort Schwamm­städ­te, mit Retentions­flä­chen, Zis­ter­nen und viel, viel mehr Grün als heute, auch an den Fassaden, in den Hö­fen und Gär­ten, um das Regen­was­ser dort zu sam­meln, wo Pflan­zen küh­len und Schat­ten spen­den.

Es gibt be­reits wun­der­ba­re Bei­spie­le für ver­ti­ka­le und hori­zon­ta­le Be­grü­nun­gen von Neu- und Alt­bau­ten, von Ab­luft­tür­men als über­di­men­sio­na­le Rank­sys­te­me und von Mikro­wäl­dern, auch Tiny Forest ge­nannt. (Un­se­re Stadt­vä­ter und -müt­ter soll­ten mal ei­nen Ab­ste­cher nach Singapur und Japan ma­chen — oder öfter die ent­spre­chen­den Fach­kon­fe­ren­zen be­su­chen).

Es fällt mir schwer, Men­schen zu ver­ste­hen, die ak­tu­el­le Ent­wick­lun­gen leug­nen oder auf na­tür­li­che Pro­zes­se schie­ben. Im Zug füh­re ich manch­mal sol­che Ge­sprä­che. Ich bin in­zwi­schen zu ei­ner Sa­la­mi­tak­tik über­ge­gan­gen. Ein paar emo­tio­na­le Zu­stim­mun­gen, un­ter­füt­tert mit ei­ge­nen Le­bens­er­fah­run­gen, könn­ten die Leu­te aufs rich­ti­ge Gleis set­zen, um im Bild zu blei­ben. Da war der zu hei­ße Ur­laub in Süd­eu­ro­pa, heute fühlt sich der Ost­see­strand oft an wie Ita­lien, ers­tes Ni­cken. Die Leu­te stim­men wei­ter zu, wenn wir auf die In­sek­ten zu spre­chen kom­men, die wir vor nicht all­zu­lan­ger Zeit im­mer von der Wind­schutz­schei­be krat­zen muss­ten bei län­ge­ren Fahr­ten.

Schmet­ter­lin­ge und Li­bel­len, ken­nen das die Kin­der von heute? Au­ßer dem "Klei­nen Kohl­weiß­ling" se­hen wir heute oft fast nichts mehr flie­gen. Und das Vo­gel­ge­zwit­scher ist lei­ser ge­wor­den. (Klei­ne Bio­lo­gie­stun­de für Lai­en: "Kein Wun­der, die fres­sen ja In­sek­ten!") ...

Irgend­wann den­ke ich laut über die ei­gent­lich lang­sa­me Evo­lu­tion nach, dass Pflan­zen und Tie­re nor­ma­ler­wei­se gar nicht so schnell wan­dern können, es sei denn, sie sind im Ballast­was­ser von Schif­fen ge­fan­gen oder ste­cken zwi­schen Wa­ren, die mit dem Flug­zeug kom­men. Be­vor mein Ge­gen­über auf krude pseu­do­wis­sen­schaft­li­che The­men kommt, len­ke ich das Ge­spräch auf die Ti­ger­mü­cke und die Ge­fah­ren neuer Krank­hei­ten. Oder die Zu­nah­me von Ze­cken, die ge­fähr­li­che Krank­hei­ten über­tra­gen, und das ver­mehr­te Auf­tre­ten von Tro­pen­ze­cken. Heute kennt lei­der je­der je­man­den, der an Bor­re­liose er­krankt ist. Das Ge­gen­über nickt wie­der.

Mir ist es wich­tig, Leug­ner durch sol­che Plaudereien be­hut­sam aus ih­rer ar­gu­men­ta­ti­ven Rit­ter­burg her­aus­zu­ho­len bzw. sie gar nicht erst rein­kom­men zu las­sen in ihr De­bat­tensche­ma mit den Sprach­stan­zen. Ich ma­che das hin und wie­der als Hob­by. Ich füh­re sie von den Tot­schlag­ar­gu­men­ten zu­rück auf den Bo­den ih­rer ei­ge­nen Be­ob­ach­tun­gen. Es geht mir dar­um, ih­re Auf­merk­sam­keit zu schär­fen, da­bei an ih­re Er­fah­run­gen an­zu­knüp­fen, ich brin­ge da­bei auch im­mer ei­nen ge­wis­sen Kon­ser­va­tis­mus ins Spiel. Der Be­griff be­deu­tet ja eigent­lich "be­wah­ren, er­hal­ten", und wir wol­len ja nicht noch mehr Ri­si­ken pro­vo­zie­ren, son­dern wün­schen uns für un­se­re An­ver­wand­ten und Freun­de eine Zu­kunft mit mög­lichst viel Si­cher­heit, oder?

Na­tür­lich ge­hört zur Si­cher­heit auch ei­ne ge­wis­se Be­rech­en­bar­keit. Beim The­ma Schie­ne ist es ähn­lich. Meis­tens sit­zen wir in ei­nem ver­spä­te­ten Zug. Irgend­wann be­nen­ne ich das Bahn­dra­ma als das, was es ist: Fol­ge der ge­plan­ten Pri­va­ti­sie­rung, der un­ter­las­se­nen In­ves­ti­tio­nen in Er­halt und Mo­der­ni­sie­rung, obwohl In­ves­ti­tio­nen in staat­li­che In­fra­struk­tur rech­ne­risch keine Schul­den sind, weil ih­nen ge­bau­te Ver­mö­gens­wer­te ge­gen­über­ste­hen, mit denen wie­der­um ge­ar­bei­tet wird, was Um­satz, Ein­kom­men und Steu­er­ein­nah­men ge­ne­riert.

Ich hoffe, dass In­dus­trie, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen lang­sam mehr Druck auf die Po­li­tik aus­üben. In­ves­ti­tio­nen in den Klima­schutz sind bil­lig im Ver­gleich zu den Fol­ge­kos­ten, die sonst in ei­ni­gen Jah­ren und Jahr­zehn­ten auf uns zu­kom­men.

Zum The­ma wer­de ich wei­ter­le­sen und mir auch klei­ne Kärt­chen zum Aus­wen­dig­ler­nen ma­chen. Link zum PIK, für das ich schon ge­dol­metscht ha­be. Ich nen­ne das Ar­beit an der De­mo­kra­tie.

P.S.: Der letz­te Sonn­tag war welt­weit der hei­ßes­te Tag seit Be­ginn der Auf­zeich­nun­gen. Pr­osit!

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Foto: C.E. (ge­se­hen in Sach­sen)

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