Dienstag, 30. November 2010

PR vs. Medienberichterstattung

*AKTUALISIERT*

Die deutschen Medien sind voll von geheimen Depeschen, die Wikileaks publiziert hat. Ich gewähre heute einen Blick auf meinen Schreibtisch. 

Lieber Herr Verleiher Soundso,

wir kennen uns seit meinen Tübinger Tagen, als ich für die Französischen Filmtage Programm ausgewählt, dem Publikum vorgestellt und Gespräche mit Filmschaffenden verdolmetscht habe (2003, 05, 06). Ich denke, dass Du mich damals sowie bei der Berlinale als Moderatorin und vor allem Dolmetscherin erlebt hast. In unserer Branche laufen wir einander ja regelmäßig über den Weg.

Leider warst Du letzte Woche nicht beim Branchentreffen in Heidelberg mit von der Partie.  Denn ich wollte Dir natürlich persönlich dazu gratulieren, dass Ihr als Team für Eure Verleih- und Kinoarbeit erneut einen Preis bekommen habt. Diese Auszeichnung habt Ihr Euch redlich verdient. Besonders möchte ich unterstreichen, wie sehr mich Dein und Euer treues Engagement in Sachen französischer Filmkultur begeistert.

Letztlich betrübt mich nur eine Tatsache: Dass ich nur noch so selten für Euch als Übersetzerin/Autorin von Pressemappen und Dolmetscherin von Presseinterviews arbeiten kann – im Grunde nur noch, wenn Journalist XXXX verhindert ist.

Als Dolmetscherin enthalte ich mich jetzt jeglicher wertenden Einschätzung seiner Arbeit als 'Sprachmittler', er geht ganz anders an die Arbeit ran, als Journalist eben, rafft und verkürzt ... und begeistert im Kino immer wieder das in Sachen Film nicht beruflich "vorbelastete" Publikum. Das ist sehr schön mit anzusehen!

Dass es aber auch viele kritische Stimmen zu seiner Arbeit gibt, meist von Seiten der Profis, weißt Du.

Mich treibt etwas anderes um - die Nicht-Trennung von Journalismus und PR, wenn hier jemand Pressetexte verfasst/übersetzt, Stars dolmetscht und dann am Ende eigentlich einen objektiven Beitrag verfassen sollte. Ich kann da nur von mir selbst sprechen: Wenn ich einen ganzen Nachmittag lang eine Filmemacherin oder einen Star "vertone", sage ich immer dann "ich", wenn mein "Klient" in der ersten Person Singular spricht. Im Laufe der Interviews muss ich mich mit dem Entstehungsprozess des Films ebenso identifizieren wie mit den Problemen und den künstlerischen Absichten, um gut zu sein. Durch die totale Beanspruchung, die professionelles Dolmetschen darstellt, habe ich keine einzige Hirnwindung mehr frei, um für die Herstellung eines Berichts auf Distanz zu gehen. Und Distanz ist nötig, wenn ich als Filmjournalistin und Filmkritikerin arbeiten will. (...) Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Verquickung von PR-Arbeit und öffentlich-rechtlichem Journalismus rechtlich zulässig ist. Als Ex-Journalistin weiß ich, wie hoch innerhalb der Redaktionen die Unabhängigkeit der Berichterstatter von wirtschaftlichen, privaten und anderen Einflüssen gewertet wird.

Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, dass wir uns doch auch mal wieder persönlich sprechen können.

Mit freundlichen Grüßen,
Caroline

P.S.: Noch ein französisiches Sprichwort: on ne peut à la fois être juge et partie, man kann nicht zugleich Richter und Partei sein.

Montag, 29. November 2010

Delegationsreisen und Seminare

Heute folgt der Text zum Bild von gestern.

Dass eine Kamera oder ein Tonaufnahmegerät mitläuft, während ich dolmetsche, ist schlicht und ergreifend ein Stressor mehr. Dabei stellt sich immer die Frage, zu welcher weiteren Verwendung gedreht oder Ton aufgezeichnet wird. Hier waren es immer interne Nutzungen – das jährlich stattfindende achttägige Seminar in Marseille ist stets auch Anlass, Schulungsmaterial herzustellen. Das Aufgezeichnete wird also nicht so, wie die Diskussion stattgefunden hat, 1:1 überspielt und ausgewertet, z.B. als DVD, die im Anschluss vertrieben würde. Die Bild- bzw. Tondokumente gehen auch nicht in einen Dokumentarfilm oder einen Hörfunkbeitrag ein – dann wäre die Art des Arbeitens eine andere, dann stünden Kamera oder Tonaufzeichnungsgerät im Vordergrund und nicht die Teilnehmer der Fortbildung.

Trotzdem hat das Aufgenommen-Werden meinen Stresspegel erhöht. Inmitten der Gruppe zu sitzen und nicht wie auf Konferenzen in der schalldichten Kabine ist auch anstrengend. Auf dem Kameramonitor (Foto von gestern) ist außerdem gut zu sehen, dass ich mich gegen eine akustische "Störquelle" abschirme. Zwei Teilnehmer, die links von mir saßen, fingen gerade an, sich leise abzusprechen: Wir waren auf einem Festival, das Programm eng gestrickt, wir hatten jeden Tag mehrere Termine, Seminarsitzungen und Filmvorführungen. Die Teilnehmer mussten etliches selbst koordinieren. Also schirmte ich zwischendurch mein Ohr ab, um mir selbst besser zuhören zu können beim Dolmetschen. "Hinterbandkontrolle" hieß das einst im analogen Zeitalter, wo der Ton hinter dem Aufnahmekopf nochmal "abgenommen" und in seiner Qualität geprüft wurde.

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Foto: Eric Vidal (angeschnitten), Jeremy
Gravayat, die Autorin dieser Zeilen.
Merci beaucoup, Audrey, pour la photo !

Sonntag, 28. November 2010

Filmaufzeichnung

Gestern am späten Nachmittag kam ich erst von einer Tagung in Heidelberg zurück, daher stammt das Sonntagsbild des Dolmetscher-Berlin Weblogs dieses Mal aus dem Archiv. Und nachdem ich so viele schöne verschneite Landschaften auf der Autofahrt durch das Thüringer Land sah, ist mir mal wieder nach Sommer zumute ...

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Foto: Dokumentarfilmseminar, das
Peuple & Culture Marseille jährlich
am Rand des dortigen Dok-Festivals
veranstaltet

Samstag, 27. November 2010

Benda Bilili!

Link der Woche: Schon wieder ist frankophones Kino aus Afrika in Berlin zu sehen, dieses Mal mit viel Musik.

Auf dem Festival mit dem poetischen Namen "In 14 Filmen um die Welt" läuft der kongolesische Streifen Benda Bilili!, und zwar am heutigen Samstag sowie morgen, jeweils um 19.30 Uhr ... und mit anschließendem Filmgespräch.

Aus dem Festivalprogramm:
Mit Standing Ovations bejubelter Eröffnungsfilm der diesjährigen „Quinzaine“ beim Festival von Cannes. Der Film machte, ähnlich wie Wim Wenders Film die kubanische Band „Buena Vista Social Club“, die kongolesischen Musiker von „Staff Benda Bilili !“ weltweit bekannt.

Freitag, 26. November 2010

Kunstfehler

Heute nur kurz. Eine liebe Verbandskollegin ist gestorben, intern machte die Runde, dass ein ärztlicher "Kunstfehler" daran schuld sei.

Wut mischt sich mit Ärger über das deutsche Gesundheitssystem, dem Entsetzen über 48-Stunden-Schichten  von Klinikärzten und der Übermacht mancher interessierter Gruppen innerhalb der Strukturen.

Und dann schlägt inmitten des Trauergefühls wieder meine interne Sprachkontrolle zu, ich muss grinsen, ein klassischer Fall von Übersprungshandlung, wenn man entsetzt das Gegenteil dessen tut, was man fühlt.

Und ich denke: Ein Kunstfehler ist kein Kunstfehler, sondern schlicht und ergreifend ein Behandlungsfehler. Das hat mit Kunst rein gar nichts zu tun.

Donnerstag, 25. November 2010

Transkribieren

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Film, ähh, Englisch (als Ausgangssprache) mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Politik und Soziales, Kultur und Medien. Rechts steht, wie Sie mich erreichen können.

Ein wunderbar sonniger, etwas feuchter Herbstsamstag in Berlin: Die Lieben sind im Wald beim Pilzesammeln, ich sitze gemeinsam mit einer Studentin im menschenleeren Gebäude des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb). Wir sitzen vor gedrehtem Material, das übersetzt werden soll. Manchmal geht der Übersetzung eine Transkription voraus.

Beim Transkribieren verwandele ich Ton- oder Filmaufnahmen – kurz: gesprochenes Wort – in geschriebene Sprache. Dabei wünsche ich mir immer sauberen Ton, also ohne störende Begleitgeräusche. Schwierig zu transkribieren sind Diskussionen, bei denen sich Stimmen überschneiden, schwer verständliche Akzente zu hören sind ... sowie unvollendete Sätze und Gedankenführungen.

Als Studentin transkribierte ich für die Wissenschaft, ich tippe schnell, das war rasch verdientes Geld. Heute transkribiere ich manchmal noch, wenn schwierige Filmmontagen anstehen, wenn ich mir des Gesprochenen wirklich sicher sein muss, weil vielleicht durch den Schnitt eine Logik entstehen oder verstärkt werden soll, die im Ausgangsmaterial nicht sofort ersichtlich ist. Ja, wer hier mitdenkt, ahnt, dass durch geschickten Schnitt mitunter das Gegenteil dessen behauptet werden kann, was im Interview gesagt wurde, aber redliche Journalisten arbeiten so nicht. Inkohärenzen bei aufgenommenen Gesprächen gehen vielmehr meist darauf zurück, dass der Redner ungeübt ist oder die interviewte Person durch das Umfeld wiederholt unterbrochen worden ist.

Wir notieren auch nichtsprachliche Informationen, deuten Fehlstarts an, weil sich später, bei der Durchführung des Schnitts, meist eine andere Person in meinem Material orientieren muss. Meine Texte sind dann dreispaltig, links die Zeiten, dann das Original, in der letzten Spalte die Übersetzung. Dazu gebe ich Tipps, wo sich was wie schneiden lässt.

Für zehn Minuten Film- oder Audiodatei rechne ich mit einer Stunde Tippen. Angehenden Filmemachern rate ich immer dazu, alles selbst zu transkribieren, nur so lernen sie ihr Material optimal kennen.

Aus dem Material, das wir im rbb bearbeitet haben, ließ sich übrigens nur schwer eine kohärente Ton-/Bildspur für das herstellen, was die Autoren des TV-Beitrags vermitteln wollten, und zwar aus zwei Gründen: Der Zeuge war jemand, der das, worüber er sprach, immer nur indirekt mitbekommen hatte ... und er verfügte nur über wenig Medienerfahrung. Die Dolmetscherin, die in Paris das Interview betreut hatte, offenbar auch nicht, sie hätte dringend eingreifen, nachhaken, die Regeln von TV-Interviews klarmachen müssen.

Kurz: Nicht eine Sekunde des Interviews landete am Ende im Beitrag. Wir hatten einen ganzen Tag umsonst geschuftet! Aber die Pilze, die in der Zwischenzeit gesucht, gefunden und zubereitet wurden, ließ ich mir trotzdem schmecken. Jetzt warte ich nur noch darauf, dass die HoLi (Abteilung Honorare und Lizenzen) mein Honorar anweist ...
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Mittwoch, 24. November 2010

Vor dem Berliner Arsenal

Tür auf, Tür zu. Einen Sekundenbruchteil lang bin ich abgelenkt, und das reicht, um kurz zu befürchten, gleich den Faden zu verlieren. Nach dem dritten Mal weiß ich: Das wird heute noch öfter passieren, darauf darf ich jetzt nicht mehr achten.

Ich sitze als Simultandolmetscherin im zweiten Untergeschoss am Potsdamer Platz am künstlichen Herzen der Großstadt Berlin. Ich springe von Französisch zu Deutsch zurück in die französische Sprache. Hinter der Tür, die ständig auf- und zugeht, ist der Zuschauerraum des Kinos Arsenal, dort sitzen Filmfachleute aus Deutschland und Afrika und diskutieren. Zwischen uns dicke Wände und eben diese Tür, die eigentlich nur angelehnt ist – dicke Kabel schlängeln sich von uns aus hinein in den Raum mit den roten Sitzen. Sie gehörten zum Ton und liefern auch die Aufnahmen zweier Kameras. Dank ihrer sehen wir auf zwei Monitoren auf dem Tisch vor uns, was innen geschieht: links der Blick ins Publikum, rechts den Blick aufs Panel.

Wir sitzen bei Afrikamera auf dem Gang, seit mehr als anderthalb Stunden wird drinnen debattiert, ich schrieb schon kurz über das Festival. Das Gespräch ist lebendig, engagiert, alles andere als unterkühlt. Draußen vor der Tür ist die Stimmung anders. Und das ist nicht optimal. Ich hatte, als ich mich vorbereitete, befürchtet, wir würden uns in der kleinen Dolmetscherkabine neben den Filmprojektoren wiederfinden, und dort ist es heiß. Also trage ich eher leichten Stoff. Zu leichten. Zum Glück sind Daunenjacke und Wollschal in Reichweite. Dann kratzt es im Hals. Ich drücke die Räuspertaste, lasse sie los, mache weiter.

Vorne am Flurende geht die Tür zum Foyer auf. Wir hören Gelächter. Der Konferenztechniker am Tonmischpult zischt Richtung Eingang, weist mit großen Gesten auf uns. Das Lachen erstirbt, drei Leute schleichen sich in den Raum mit den aufsteigenden Sitzreihen. Sekunden später verlässt wieder jemand das Kino. Tür auf, Tür zu. Dann wieder: Tür auf. Jemand steht neben uns, ich zucke zusammen. Beim Räuspern hatte ich eben aus Versehen die Austaste erwischt, denn das Dolmetscherpult ist noch recht neu, und wir hatte noch nicht oft die Gelegenheit zur Zusammenarbeit. Kurz: eine knappe Minute lang kam von meiner Verdolmetschung nichts bei Debattanten und Publikum an. Beginn der Schrecksekunde. Anknopf. Ende der Schrecksekunde, ich hab keine Zeit für weiteres Nachdenken, auch wenn sich die Zeit kurz dehnt. Mein linkes Bein friert plötzlich, der Schal ist verrutscht, das Tischbein, an das es gedrückt wird, ist aus Metall.

Rednerwechsel. Ein Italiener packt eine Liste mit Filmtiteln aus und liest auf Deutsch aus ihr vor. Die Liste haben wir vorher nicht vorher bekommen. Sein Sprechtempo ist beeindruckend. Dann übernimmt die Kollegin. Tür auf, jemand geht, Tür zu.

Nach zwei Stunden ist alles vorbei. Jetzt müssen nur noch die Männer von der Technik alles wieder einpacken  grob geschätzt zehn Transportkisten befüllen und einen Einkaufswagen, der hier auch noch rumsteht.

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Fotos: kommen später noch.
Vorab vielen Dank, Günther!

Dienstag, 23. November 2010

Übertitel im Theater

Eine meiner Leidenschaften gilt der französischen Sprache. Aus dem Schulfach wurde mein Hobby, dann meine Studiensprache, später mein Beruf. Heute bin ich Teil der Dolmetscher und Übersetzer, die in Berlin leben und arbeiten (... und bei Bedarf auch reisen). Auf dem Weg dorthin habe ich viele Aufträge übernommen, den dazu passenden Ausdruck learning by earning habe ich gestern gelernt (Danke, Mo Asumang)! 

Foto (C.E.): Ein anderes Stück
Denn es gibt viele 'Jobs', die gestandene Dolmetscher nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden, so ... überschaubar ist die Entlohnung. Überschaubar, aber ehrbar und in hübscher Weise regelmäßig verdiente ich meine Brötchen Croissants einige Jahre mit Übertiteln im Theater.

Kurzer Einschub: Übertitel sind wie Untertitel, nur eben oben. Sie kommen aus dem Opernbereich und werden nicht erst seit Zeiten knapper Kassen oft bei internationalen Theaterkoproduktionen eingesetzt. Indes, ich sehe sie immer öfter, auch die Welt Welt der darstellenden Künste globalisiert sich. Einzelne Truppen/Theater können viele Stücke ohne die Kofinanzierung internationaler Festivals oder anderer Partner aus anderen Ländern gar nicht mehr auf die Beine stellen. Ende des Einschubs.

Eine meiner anderen Leidenschaften gilt dem Theater. So fand die eine Neigung die andere – und ich stieß auf ein Feld, über das es wenig Literatur gab. Ich bekam den Satz mitgegeben: "Wähle sorgsam aus, erschlage den Zuschauer nicht mit Text, schreibe deine Titel so, dass das Gestrichene mitschwingt", und bin ins kalte Wasser gesprungen. Dabei war und bin ich bereit, aus Fehlern zu lernen, fragte begierig alle nach der Wirkung, und mein Spaß an der Sache wuchs mit meinen Fortschritten. In dieser Zeit traf ich auch Yvonne Griesel, die meine Aufschriebe, Übertitelungen und im Interview preisgegebenen Gedanken zusammen mit denen anderer, die im Theater Übertitel fahren, erst zu einer Diplomarbeit, dann zu einer Dissertation verarbeitete (Yvonne Griesel: Die Inszenierung als Translat. Möglichkeiten und Grenzen der Theaterübertitelung. Berlin 2007).

Sorry, dass ich mich hier heute Morgen so 'ausmähre' (sächsisch für langsam tun), aber die Vorrede muss sein.

Irgendwann bekam ich von diversen Theatern keine Aufträge mehr. Ich lotete die Gründe aus: Nein, nein, an der Qualität habe es nicht gelegen, im Gegenteil, man sei hochzufrieden mit meiner Arbeit gewesen. Indes ... eine Tochter (es kann auch ein Sohn sein) einer im Berliner Theaterbetrieb wichtigen Person war inzwischen alt genug, um diesen, ich wiederhole mich: nicht unbedingt lukrativen, aber regelmäßigen Broterwerb auszuüben. Damit war ich weg vom Fenster. Nepotismus gibt's überall, denn die nächsten Mitmenschen bedenken zu wollen ist menschlich. Richtig ist es damit noch lange nicht. So war ich wieder auf dem Sprung - und einen Schritt weiter in Richtung Konferenzdolmetschen.

Übrigens sah ich zu Beginn der Karriere dieses jungen Menschen eine seiner Übertitelungen – und war entsetzt: Kaum ein Wort, das auf der Bühne gesprochen wurde, das sich nicht auch im kleinen Kasten wiederfand, der oben über dem Bühnenraum schwebte! Keine redaktionelle Bearbeitung, Reduktion, keine Pausen für die Augen des Zuschauers, auch kurze Worte standen viel zu lang, verleiteten zum Immer-wieder-auf-die-Übersetzung-Schauen. Und auch Verknappungen, wie sie in gesprochener Sprache vorkommen, wurden oben in ihrer grammatischen Vollständigkeit wiedergegeben. Wäre der Text eine Bewerbung gewesen, hätte die Nachwuchskraft eine DIN A4-Seite knapper als einzeilig beschrieben gehabt, immer bis zum Rand, ohne dem Leser Pausen, optische Orientierungen und Verweise aufs Wesentliche zu gewähren. Kurz: Eine Bleiwüste war das.

Ich hab damals die Klappe gehalten, heute würde ich sagen, aus falsch verstandener Rücksichtnahme. Offenbar hab nicht nur ich geschwiegen. Dann hab ich mich viele Jahre bei Gastspielen so hingesetzt, dass ich den Kasten mit der Übersetzung nicht dauernd im Auge hatte. Vor einiger Zeit trug es sich aber zu, dass ich mal wieder mit Blick auf die Übertitel saß. Und zu meinem zunehmenden Entsetzen musste ich feststellen, dass sich die "Qualität" der Übertitel nicht grundsätzlich geändert hat, nur Flüchtigkeitsfehler sind seltener geworden.

Oder gibt es in der Übertitelei etwa zwei Schulen, und die Variante 'aufgeschlagenes Textbuch' hat gewonnen? Ma chère Yvonne, ich bitte um Ratschlag. 

Denn leserfreundlich war das alles nicht. Zuschauerfreundlich auch nicht. Die Leute, die neben und um mich herum saßen, murrten, zumal der Text auf der Bühne wiederholt in 150-prozentiger Sprechgeschwindigkeit wiedergegeben wurde, ein Kunstgriff der Regie zur Charakterisierung von Figuren. Auf den oberen Rängen wurde es dann leicht unruhig, weil man schon mit dem Lesen kaum mitkam, vom Ansehen des Theaterstücks spreche ich hier gar nicht.

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Der Text wird der Kategorie "Alltag" zugeordnet, weil
sich Nepotismus immer mehr einbürgert. Den gab es 
sicher schon immer. Neu scheint mir zu sein, dass der 
solcherart geförderte Nachwuchs es heutzutage nicht
mehr dem Umfeld beweisen muss, dass er's auch kann. 

Montag, 22. November 2010

Gerichtsdolmetscher die Erste

Oft leiden wir Dolmetscher darunter, dass unsere sehr verehrte Kundschaft ein Sprechtempo pflegt, das nicht natürlich ist: Zum Beispiel beim Ablesen von Texten unter Einfluss des Stresshormons Adrenalin. Und dann kennen wir auch das leidvolle Problem, dass  manche Begriffe in der Ausgangssprache existieren, nicht aber in der Zielsprache.

Die Frankfurter Rundschau beschreibt in ihrer heutigen Ausgabe den Hamburger Prozess gegen die somalischen Piraten, die letzten April ein deutsches Frachtschiff gekapert haben. In der Berichterstattung von Bernhard Honnigfort wird deutlich, dass im Hamburger Landgericht Welten aufeinandertreffen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Honnigfort schreibt: "Die Beweislage ist eindeutig, der Rest ein mühseliger Lernprozess und Exkurs in gänzlich andere Lebenswirklichkeit. Deutsche Gerichtsgründlichkeit trifft auf Angeklagte, die in Somalia groß wurden, einem bettelarmen Land, das seit 19 Jahren in Bürgerkriege verstrickt ist." So entspricht die Namensnennung der Betreffenden natürlich nicht deutschen Meldegesetzen.

Viele Angeklagte kennen nicht einmal das eigene Geburtsdatum, und einer der Piraten ist noch im Jugendalter. So kommt die Forderung auf, dass Ärzte die Frage nach der Strafmündigkeit klären mögen. Da hebt der Verteidiger laut Artikel zu einem Vortrag von einer Dreiviertelstunde über die Unsinnigkeit von derlei Altersschätzungen an. Dann fallen Worte wie Standardabweichungen, Skelettalter, Weisheitszähne, Methoden nach Tanner und Whitehouse und Atlas-Verfahren. Der Artikel schließt mit dem Satz: "Irgendwann stöhnt der Dolmetscher auf, bittet um etwas langsameres Sprechtempo und weist daraufhin, dass es für viele dieser Dinge im Somalischen überhaupt keine Wörter gebe."

Ein lapidarer Satz, und für den zeitungslesenden Dolmetscher tun sich Dramen auf.

Sonntag, 21. November 2010

Im Görlitzer Park

Je intensiver ich dolmetsche oder übersetze, desto mehr konzentriere ich mich in den Phasen der Erholung aufs Visuelle. Daher zeige ich jeden Sonntag ein Foto, das mir aus welchen Gründen auch immer besonders vorkam - ohne viele Worte.


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Foto: Caroline Elias

Samstag, 20. November 2010

Frankophones Kino in Berlin

Besser spät als nie: Mein Link der Woche gilt dem Filmfestival Afrikamera, das derzeit im Arsenal stattfindet.

Gemessen an der Größe des Kontinents, die im krassen Gegensatz zu den dort für Film vorhandenen Mitteln steht, ist es wunderbar, dass dem Berliner Publikum acht Filme zugänglich gemacht werden!

Der zweite Link gilt anderem frankophonem Kino, der französischen Filmwoche. Die afrikanische Situation ist mit der französischen Filmproduktion zu vergleichen - umso befremdlicher, dass bei der 10. französischen Filmwoche, die Anfang Dezember stattfindet, nur zehn Vorabpremieren von Filmen laufen sollen, die ohnehin bald ins Kino kommen. Ich sage das jetzt nicht als langjährige Dolmetscherin des Festivals (neun Jahre!), sondern als Cinéastin. Schade, dass das dort sonst immer mögliche Entdecken von Filmen, die anderweitig nie in Berlin gezeigt wurden, nunmehr der Vergangenheit angehören soll.

Umso schöner, dass andere frankophone Länder und kleine Festivals die Stafette übernehmen! Vive la francophonie ! Unlängst zeigte ja sogar das kleine Luxemburg eine Werkschau. Und zum fünften Mal reist das Publikum ab nächster Woche In 14 Filmen um die Welt - natürlich ist auch hier frankophones Kino vertreten, zum Beispiel zeigt Denis Coté aus Kanada seinen Film "Curling". Soviel zum dritten Link zu bevorstehenden Filmevents in Berlin. (Sorry für die Nichtberliner!)  Und um aus meiner Kategorie "Link der Woche" dieses Mal wirklich "Links der Woche" zu machen, hier noch ein Tipp, wo man in Kreuzberg an der Grenze zu Neukölln eine große Auswahl französischsprachiger DVDs findet, und zwar im Kultursalon Roderich, Glogauer Strasse 19, Hinterhof, denn der Kultursalon ist 'nebenbei' auch Buchladen und Videothek ... (Allein sechs Filme von Maurice Pialat zählte ich gestern Abend.)

Zurück zu Afrikamera, das natürlich nicht nur französischsprachiges Kino zeigt. Es hat mich schon vor zwei Jahren begeistert, als es noch im Haus der Kulturen der Welt stattfand. Und versprochen: Beim nächsten Mal bringe ich den Link zu Afrikamera früher!

Donnerstag, 18. November 2010

Ihnen hat meine Arbeit gefallen ...

Caroline verbindet großes Einfühlungsvermögen mit Schnelligkeit - manches antizipiert sie sogar, weil sie die Abläufe kennt. Ihre Erfahrung macht sie souverän.”
Madgar Hische, Regieassistentin

"Du hast mir einen halben Tag Arbeit gespart!”
Julia Teichmann, Filmkritikerin, Berliner Zeitung, film-dienst u.a.

“ Quand une blague moyenne d’acteur français fait rire le journaliste allemand, c’est que la traduction est plus que parfaite. “
Wenn der durchschnittliche Witz eines französischen Schauspielers den deutschen Journalisten zum Lachen bringt, ist die Übersetzung besser als perfekt.
Dany Boon, Schauspieler und Regisseur bei "Willkommen bei den Sch'tis"

“Sie können großartig übersetzen, so richtig großartig!”
Kai Röger, Chefredakteur der Zitty

“ Merci Caroline qui me pétrifie d’admiration à la voir traduire l’intraduisible et expliquer l’incompréhensible. ”
... die mich vor Bewunderung erstarren lässt, wenn ich zusehe, wie sie das Unübersetzbare übersetzt und das Unverständliche erklärt.

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Fotos: 
- Julia Teichmann interviewt Laurent Cantet,
Filmfest München, 2008
- Claude Chabrol bei den Interviews zur Verleihung
der Goldenen Kamera, 2009

Mittwoch, 17. November 2010

Trick 17 fürs Handy

Heute nur kurz, da es gestern länger wurde. Texte wie der gestrige entstehen nicht an einem Tag. Ich produziere sie, um mich wieder "freizuschreiben", wenn ich in der Arbeit über komische Formulierungen gestolpert bin und sich irgendwann alles gleichermaßen richtig oder falsch anfühlt.

Die Idee zum Blog entstand auch, weil es schwierig ist, dem Nachwuchs unseren Beruf zu erklären.

Hier ein Archivbild über die Schwierigkeit, in der Kabine leise zu sein. Dabei fiel mir nicht auf, was hier da unten links liegt,
<-- genau hier links, da, wo der Kasten mit den Knöpfen endet.
Es ist mein Handy. Hier kommt ein Alltagstrick, den ich mir von den Redakteuren des ZDF abgeschaut habe. Auf der Rückseite meiner Mobiltelefone (ich bin schon zwei Modelle weiter) klebt jetzt immer die eigene Telefonnummer, durch einen Tesafilmstreifen 'gesichert'. Das ist gut für den Fall eines Verlusts, noch besser aber bei Tagungen oder Empfängen, wenn jemand nach einer Handynummer fragt, während ich für jemand anderen dolmetsche. Ich halte, freundlich lächelnd, kurz mein Handy hin.

Warum ich hier keine Visitenkarte gebe? Wenn ich im Namen einer anderen Agentur arbeite, und am Abend zum Beispiel noch Absprachen für den Folgetag zu treffen sind, gebe ich schon mal meine Handynummer raus. Ansonsten gilt: Bin ich für eine andere Firma unterwegs, verweise ich immer auf deren Ansprechpartner. Mein Vorname und meine Kontaktdaten sind dann tabu. Das gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen im Dolmetscherberuf, nennt sich 'Kundenschutz'.

Dies sei auch gerade jüngeren Kolleginnen ins Stammbuch geschrieben. Einmal brauchten wir einmaligen Ersatz für eine dolmetschende Drehbegleitung. Ich suchte recht aufwändig (für lau) - und fand eine fast fertige Absolventin der Interkulturellen Kommunikation der Humboldt-Universität zu Berlin. Naja, von der Firma habe ich leider nie wieder etwas gehört. Logisch, dass die junge Frau nicht auf der Liste jener steht, die wir weiterempfehlen oder mit Aufträgen bedenken.

Und wenn ich im eigenen Namen arbeite, kann ich schon mal bei einem Empfang ohne Visitenkarte dastehen, weil das kleine Päckchen schlicht aufgebraucht ist. Da komme ich mit Trick 17 fürs Handy, wenn wir aus aller Herren Länder zusammenstehen und uns unterhalten, wenigstens nicht in die sonst häufigen Nöte: In welcher Sprache sag' ich's denn nun? 

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Foto: Bei der Berlinale

Dienstag, 16. November 2010

Alltag einer Dolmetscherin

Dolmetscher leben zwischen zwei oder mehr Sprachen, egal, wo sie sich gerade aufhalten. Bei mir sind es Französisch und Deutsch, und die Orte sind wahlweise Berlin, Köln, Hamburg, München, Paris ... oder irgendwo sonst in Frankreich. Im Gegensatz zu Brüsseler Kollegen - ich denke da an den alten Schulfreund Albrecht, der sieben und sicher bald acht Sprachen versteht, aus denen er in seine Muttersprache arbeitet - lebe ich mit und in zwei Sprachen, die aber in Alltag und Beruf nahezu den gleichen Stellenwert haben.

Schon beim Aufstehen läuft ... französisches Radio. Gerne unterhalte ich mich schon, bevor ich die Arbeit aufnehme, in diesem Idiom. Dann lese, schreibe, lektoriere, recherchiere und lerne ich in beiden Sprachen. Immer, wenn mir etwas unklar ist oder mich nur überrascht, ganz gleich, ob auf Deutsch oder Französisch, notiere ich das in mein kleines Notizbuch und arbeite es später nach.

Soviel zur allgemeinen Beschreibung. Und wenn ich 'immer' sage, meine ich immer, bis in die Nacht. Das kann wie gestern im Kino sein (ich sehe vorzugshalber alles, was in meiner zweiten Sprache in Berlin im O-Ton läuft), aber das geschieht auch, wenn ich beispielsweise an einem Samstagmorgen um halb zwei bei einer Freundin in der Küche stehe und jemand eine seltene Redewendung verwendet. Ich habe ganze Ordner voller Alltagsworte, Hintergrundinfos und fachbezogener Lexiken, die immer wieder durchgenommen und aktualisiert werden.

Vor Dolmetscheinsätzen führe ich eine Art Lernkalender. Seit dem Studium liebe ich es, einen durchgeplanten Alltag mit festen Uhrzeiten zu haben, denn dann findet alles fast automatisch, als Routine statt. Die Kunst liegt, auch hier, in der Abweichung.

Zum Beispiel heute: Ich wache statt um zwanzig nach sieben erst um zehn Uhr auf, weil ich, was nur etwa einmal im Monat vorkommt, unter der Woche sehr lange auf einer Party war. Das Kurzfilmfestival Interfilm wurde gestern eröffnet und  auf der Eröffnung war ich noch nach dem Kinoabend. In den ersten Stunden des Tages fegten wir etliche Youngster von der Tanzfläche weg, wir Oldies (bezogen aufs Durchschnittsalter dessen, was sich da im roten Salon vorsichtig zu bewegen versuchte) ... und bekamen dafür ein Kompliment nach dem anderen. So kann’s kommen  ;-)

Entsprechend spät schlief ich ein. Aber hier gilt: Nicht aus dem Takt kommen, ausgeschlafen wird am Wochenende! Morgens lese ich in beiden Sprachen Zeitungen, Brancheninfos, dann ist Post dran, Absprachen mit Kollegen, Termine machen, Tagesplan sichten.

Die Vormittage gehören normalerweise dem Schreiben und Übersetzen. Heute nicht. Da muss ich zwei Kostenvoranschläge schreiben, eine Kollegin für die Übersetzung eines Filmkommentars suchen, eine Geburtsurkunde übersetzen und dann, da im Dezember die französische Filmwoche in Berlin ansteht, mich bei den Verleihern um Dolmetscheinsätze bewerben. In veränderter Form findet das Festival seit dem Jahr 2000 statt - anfangs habe ich das Event viele Jahre allein gedolmetscht, beim letzten Mal waren wir ein Team von vier Leuten, denn die Anzahl der Vorführungen, auch parallel, ist sprunghaft angestiegen. Das Programm liegt seit gestern Abend vor.

Später am Tag werde ich nachlesen/-hören/-sehen, was der französische Präsident gestern abendfüllend dem Volk erzählt hat sowie die Reaktionen dazu, eine alte Lexik weiter wiederholen, Thema: Klimawandel und last but not least am Dolmetschthema für Samstag weiterarbeiten. Da geht's um Filmproduktion, ein mir durchaus bekanntes Thema, aber ich möchte für für die zweite Dolmetscherin einige Fachtermini ihrer Häufigkeit nach neu sortieren und Begriffsabgrenzungen texten. Dazu Hintergrund lesen - und einfach nur lernen.

Meine Lernphasen sind immer eher kurz, dafür gibt's davon mehrere über den Tag verteilt. Ich konzentriere mich volle 45 Minuten lang, dann lockere ich den Kopf auf: komische Filme sehen oder Nachrichtensprecherversprecher hören, denn wer lacht, lernt besser. Sehr gerne räume ich auch zwischendurch die Küche auf und kümmere mich um die Waschmaschine (wobei ich Internetradio höre). Andere Pausenaktionen sind an diversen Blogtexten weiterschreiben, fotografieren oder Motive ausdenken wie z.B. einen Weihnachtsgruß der Agentur. Einen Schwung Belege einzuheften wäre auch nicht schlecht (Routine, Konzentration auf Zahlen), Klassik zu hören oder Autogenes Training zu üben.
Was immer es auch heute sein wird - bei der Pausenbeschäftigung geht es darum, komplett andere Hirnareale anzusprechen - und intensiv etwas anderes zu tun. Meine Pausen dauern gerne mal eine halbe Stunde, mindestens aber 15 Minuten.

Oder aber ich lege eine Lernphase direkt vor die Mittagspause ... für die ich mich heute mit einem Kameramann verabredet habe - in der Kantine auf der anderen Uferseite. Bei der Gelegenheit werde ich auch Zeitungen kaufen gehen: In Frankreich erscheinen mittwochs die Filmkritiken, parallel zu den Neustarts. Dann werde ich noch schnell das im Netz entdeckte und bei der Kiezbuchhandlung bestellte Buch abholen. Derzeit bin ich in meinem Arbeitsalltag vor allem zu Hause, was zwischendurch auch mal gut tut.

Zur Routine meines Arbeitstages gehören eindeutig definierte Momente, in denen ich nur eine Sache erledige. Gerade als Multitaskerin liebe ich derlei Monotasking. Die Mailbox öffne ich auch nur in verschiedenen Phasen und arbeite dann rasch ab, was anliegt: Will ich morgen auf die nächste Filmfestivaleröffnung - in Berlin gibt es jede Woche mindestens ein kleines - oder gehe ich lieber zum Franzosenstammtisch? (Der ist dieses Mal zwei Straßen weiter ...) Gibt es schon eine Antwort von Filmproduktion XYZ? Ist mein Korrektorat gut eingetroffen? Außerdem nachfragen, ob sich Jacob und Uli zum Untertiteln verabredet haben. Und wann gehen Katia und ich Kaffeetrinken? Die kleinen Kinder der Kollegin sind größer, wir können sie jetzt öfter in die Arbeit der Agentur einbinden.

Außerdem für heute vorgesehen: Meine Drehbuchübersetzung der letzten Woche nochmal lesen, einen grafischen Auszug malen, unter den Szenennummern die Stimmungen, die Figuren und die "Farben" vermerken. In den nächsten Tagen wird mich der potentielle Koproduzent zur Dramaturgie befragen, da will ich mir vorher "ein Bild" machen.

Ach, das ist zu viel für einen Tag, die Drehbuchvisualisierung 'bau' ich mir morgen. Denn da ist doch die alte Managementweisheit: Immer nur den halben Tag verplanen, die andere Hälfte füllt sich von allein.

Das wichtigste für den Tag kommt am Abend, da geh ich beizeiten ins Bett, um die halb durchgetanzte Nacht nicht erst am Wochenende aufzuholen. Denn, wo ich grad schon bei den Weisheiten bin: Wer viel lernt, braucht ausreichend Schlaf, sonst kann das Hirn die Infos nicht dauerhaft verarbeiten.

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- Und auch mit dem Fotoapparat kreise
ich derzeit um den Lernschreibtisch ...
- Typischer Berlinale-Alltag hier

Montag, 15. November 2010

Musteranfrage

Immer wieder werde ich nach einer Musteranfrage für Übersetzungsaufträge und Einsätze als Dolmetscherin für die französische Sprache gefragt.

Der Vorgang an sich schien mir kein Problem zu sein. Wir schreiben in den Berliner Büros und Arbeitszimmern täglich Kostenvoranschläge, auch von unterwegs aus. Seit der Krise hat sich ihre Zahl verdoppelt, was aber auch an der Zunahme von Übersetzer- und Dolmetscheragenturen liegen kann, die oftmals gar nicht selbst arbeiten, sondern Aufträge weitervergeben.

Nach längerem Nachdenken leuchtet mir die Frage ein: Wer nicht in unserer Haut steckt, hat unsere Systematik auch gar nicht verinnerlicht, kann gar nicht wissen, worauf es ankommt. Gut, ich probier's mal. Hier die Kategorien einer Anfrage, die wir heute erhielten, ergänzt um den Übersetzerbereich.

Anfrage mit der Bitte um Kostenvoranschlag
  • Art der Veranstaltung / Art des Dokuments (bitte Programmentwurf oder Dokument anhängen):
  • Tag(e) der Veranstaltung / Übersetzung bitte fertig zum:
  • Dauer der Veranstaltung:
  • Erforderliche Sprachen / Ausgangs-/Zielsprache der Übersetzung:
  • Dolmetschart: simultan/konsekutiv/Begleitdolmetschen/Bühne 
  • Dolmetschanlage vorhanden (falls nein, können wir bei der Anmietung behilflich sein):
Bitte teilen Sie uns Ansprechpartner, Telefonnummer und Uhrzeiten mit, zu denen ein Anruf passt, damit wir Rücksprache mit Ihnen nehmen können.

Und noch eine Bitte: Bitte fragen Sie uns beizeiten an, damit wir unsere Arbeitsabläufe gut planen können. Etliche Tage (Dolmetscheinsätze) und Wochen (in denen ich morgens immer übersetze) sind für die kommende Zeit schon optioniert ...

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Foto: Tischkalender auf Sekretär

Sonntag, 14. November 2010

Vertrauenssache!

Als Französischdolmetscherin stehe ich in Berlin regelmäßig neben Regisseuren auf der Bühne, oder aber ich sitze irgendwo in Deutschland auf Konferenzen in der Kabine, wenn ich nicht gerade Geschäftsleute auch ins frankophone Ausland auf Werks- oder Messebesuch begleite.

Das sind die großen Jobs. Bei den weniger sichtbaren Aufträgen, die den Großteil meines Umsatzes ausmachen, sitze ich am heimischen Rechner, recherchiere, übersetze, schreibe - oder ich lese Korrektur, gerade mein erstes eigenes Buch, das im Frühjahr erscheinen wird.

Und dann sind da die Ausnahmeaufträge, die ich sehr liebe, die aber auch nicht unbedingt lukrativ sind. Hier investiere ich in diplomatische Beziehungen - und wenn gedreht wird, dolmetsche ich ein paar Tage am Set. Hintergrund ist eine deutsch-französische Koproduktion (die leider unterfinanziert ist).
In Vorbereitung der Dreharbeiten kommt ein junger französischer Schauspieler, den ich mal auf der Berlinale dolmetschte, zum Deutschkurs nach Berlin. Da ich ihm einst zwischen Pressekonferenz, Einzelinterviews und Empfang beim Botschafter im Vorbeirennen zwei, drei Eindrücke von der Stadt und ihrer Geschichte vermittelt habe, bekomme ich einen Sonderauftrag. Ich zeige ihm die Stadt, ergänze durch Konversationsstunden den Unterricht, den er am Goethe-Institut erhält, und helfe damit, die Rolle mit "Hinterland" auszustatten, die der Mann bald spielen soll: Einen jungen Franzosen, der seit Jahren in Berlin lebt.

Zu dieser landeskundlichen Ausbildung gehören Museums- und Theaterbesuche ebenso wie ausgedehnte Spaziergänge ... Mitte November ist es in Berlin nochmal richtig warm, wir ergehen uns in der Sonne und sind wie alle Menschen im Park deutlich zu warm angezogen. Und wie die anderen auch ziehen wir unsere Herbstjacken aus und wickeln sie uns um den Leib, die Ärmel vor dem Bauch verknotet. Dann zücken wir die Fotoapparate. Es strengt an, in einer Fremdsprache zu sprechen bzw. Fehler zu sortieren und mit Regeln zu verknüpfen, also lockert ein kleiner Fotowettbewerb unsere grauen Zellen auf.

Wir beschließen unseren Nachmittag in einem der französischen Cafés der Gegend, bei les enfants gatés (die verwöhnten Kinder) oder im salon sucré (süßer Salon), die beide hervorragend sind, auch viele Franzosen als Kunden anziehen und einmal mehr beweisen, dass Berlin gerade eine neue französische Stadt wird, wenn wir uns die steigende Zahl der französischen Neubürger vergegenwärtigen.


P.S.: Natürlich wird die Identität der Person genauso vertraulich behandelt wie der Inhalt unserer Gespräche. Das gilt auch für alle anderen Aufträge. Uns Dolmetschern ist die Schweigepflicht heilig, sie ist eine der zentralen Grundlagen unseres Arbeitsalltags.
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Foto: C. Elias

Werkstoffprobe

Sechs Millionen Anschläge - so sieht eine Apple-Tastatur danach aus. Das Ergebnis (m)einer Werkstoffbelastungsprobe von fünf Jahren ist heute das zugegeben etwas langweilige Sonntagsbild.

Freitag, 12. November 2010

Weihnachtsdatenbank ...

Für Ihre Weihnachtspost in alle Welt finden Sie auf der kostenlosen Weihnachtspostdatenbank des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) Weihnachtswünsche in über 70 Sprachen.
Darunter sind nicht nur die Weltsprachen Englisch, Spanisch und Französisch, sondern auch Amharisch, Urdu oder Mongolisch.
« Nedeleg Laouen! »
... das war Bretonisch.

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Foto: C. E. (aus dem Jahr 2008 und leicht verändert ... denn bei uns ist es noch gar nicht weihnachtlich ...)

Donnerstag, 11. November 2010

Uhr, die

Ein Wort, zwei Bewegungen.

Tick: Zwei Wochen nach der Umstellung auf Winterzeit, pardon!, Normalzeit, ist meine innere Uhr noch immer irritiert. Normalerweise habe ich durch frühere Medienerfahrung ein gutes Zeitgefühl und kann auch Längen recht gut schätzen.

Das ich nicht mehr aus dem Effeff weiß, wie spät es ist, fühlt sich komisch an. Das höre ich auch von anderen Leuten, die ähnlich wie ich immer orientiert sein wollen. Es ärgert mich, weil es Energie raubt, vor allem unterwegs. Denn seit langem besitze ich keine Orientierungshilfe namens Uhr mehr, die ich stets bei mir tragen würde.

Umso irritierter war ich, als auch noch das Wort "Uhr" dieser Tage in der Arbeit Probleme bereitete. Ich übersetzte einen Newsletter (auf Deutsch: Rundbrief), da ging es um une horloge, die ein Schweizer Kanton einem anderen Staat zum Geschenk machen wird. Und ich fragte mich, weil mir dieses Uhr zu allgemein gefasst schien, ob es jetzt eine Standuhr ist oder vielleicht eine Aufsatzuhr? Wo wird sie hängen, eingebaut oder aufgestellt werden? Ich konnte zur Optimierung meines Textes die Redaktion in einer Randbemerkung nur auf Fotos verweisen, die im Text erwähnt, aber nicht mitgeliefert worden waren.

Und irgendwann schwante mir, warum ich diese Anmerkung schrieb. Das Wort "Uhr" ist im Deutschen sehr viel weiter gefasst als im Französischen. Was auf Deutsch eine Kirchturmuhr ist, ist auf Französisch ... erraten, schon wieder une horloge (und zur Spezifizierung natürlich l'horloge du clocher). Aber für die Deutschen fällt auch die Armbanduhr unter den Oberbegriff "Uhr". Auf Französisch heißt sie une montre, wörtlich übersetzt eigentlich 'die Zeige'.


Tack: Eine kleine Beobachtung am Rande, neulich, in der Botschaft. Das Tragen von Armbanduhren ist ein gesellschaftlicher Marker. Das Gros der Mittel- und Unterschicht nestelt dauernd am Handy rum, das gleichermaßen Uhr- und Weckerersatz ist.

Die führende Klasse (oder wer sich dafür hält), ist auch mal ohne Mobiltelefon unterwegs. Stichwort: Nur Lakaien sind immer erreichbar! 

Die Uhrzeit zeigt in nämlichem Falle zuverlässig eine Armbanduhr an. Merke: Je wichtiger jemand ist, desto zurückhaltender ist das Modell, dessen Wert am Ende nur jene erkennen, die sich schlau gemacht haben. Wie war das gleich noch? Die Uhr ist eine Orientierungshilfe ...

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Foto: C. Elias

Mittwoch, 10. November 2010

Französischdolmetscher in Berlin

"Gutène Taggué, daphisch Fransössisch chpraichène ?" — klingt eine weibliche Stimme aus dem Telefonhörer, aber natürlich, die Dame darf sehr wohl Französisch sprechen, denn ganz offenbar sind ihre Deutschkenntnisse maximal angelesen.

Als Dolmetscherin in Berlin erhalte ich manchmal solche Anrufe, die in eilige Aufträge münden — und kann von Glück sagen, wenn ich gerade wieder meinen derzeitigen Lieblingsanzug und den Wintermantel aus der Reinigung geholt habe (wie am Vortag geschehen). Hier werde ich von jetzt auf gleich angeheuert, habe gerade eine halbe Stunde Zeit, mich fertigzumachen und den wichtigen Teil des Tagewerks — das Empfangen, Korrekturlesen und Weitersenden einer kleinen Übersetzung — zu delegieren.

Zuvor schickte ich eins, zwei, fix einen Kostenvoranschlag an die Firma, die hinter meiner Anruferin steht, er kommt unterschrieben zurück, und während die Lockenwickler trocknen, habe ich die Firma noch etwas gründlicher via Internet geprüft. Ich kann ja nicht für alle und jeden arbeiten ... Kurz darauf bestätige auch ich meinen Einsatz, dann wartet unten schon das Taxi.

Es wird ein Halbtagsjob der merkwürdigen Art. Zwei Kaufleute hatten im Internet ihren Traumwagen in Berlin entdeckt, gebraucht zwar, aber neuwertig, wie es hieß, den Kaufbetrag überwiesen — und keine Ware erhalten. Nach etlichen Mahnungen wollten sie vor Ort nachsehen, was geschehen war.

Wir pilgern von Ladengeschäft über Büroadresse in eine exklusive Wohngegend — und plötzlich habe ich das Gefühl, gar nicht als Dolmetscherin zu arbeiten, sondern als Privatdetektivin. Dann folgen Behördengänge: Die vermeintlichen Verkäufer sind abgetaucht, die Firma erloschen, die Polizei weiß von ähnlichen Vorfällen. Auf der Suche nach einem Auto nehmen wir oft das Taxi. Immer wieder müssen wir aber große Strecken laufen, denn manchmal sind die selbst in Berlin rar.

Im Restaurant ziehen wir Bilanz. Das war viel Geld für nichts, der Wagen sei ein Schnäppchen gewesen, der Traum währte, bis die schillernde Seifenblase heute zerplatzte. Die Gier hat die Herren blind gemacht ... denn wie sich am Ende herausstellt, lag der Preis inklusive Reisekosten und meinem Honorar bei knapp der Hälfte dessen, was für eine solche Luxuskarosse sonst hinzublättern gewesen wäre.

Meine Bilanz lautet aber auch: Das Internet macht das Wirtschaftsleben nicht einfacher. Ich werde meine Kunden künftig auch besser prüfen müssen. Zum Glück kommen 96 % der Aufträge von Bestandskunden oder über Empfehlungen rein. Und für die nächsten Einsätze mit vielen Fußmärschen muss ich mir bequemere Schuhe kaufen.

Copy & Paste

Schlussredaktion einer Drehbuchübersetzung: Hundertausend Anschläge auf ca. hundert Seiten - wenn man wie Hollywood bei der Kategorie "Drama" von einer Drehminute je Seite ausgeht, so bringt es einem jedenfalls in Venice Beach jeder x-beliebige Taxifahrer bei, ist das perfekt. Damit es auch richtig schön aussieht, formatiere ich es für den deutschen Produzenten mit der von mir wegen ihrer Langsamkeit verhassten Drehbuchsoftware "Final Draft". Die ist teuer, weshalb sie nicht jeder hat, und sicher gut, um Drehpläne und Profile der Figuren zu erstellen, ich kann auch Listen ausdrucken, welcher Darsteller wie oft in welchen Dekos gebraucht wird oder nur eine Liste der Motive, aber in meinem Geschäft brauche ich das nicht.

Ich bräuchte die Verbindung mit einer Übersetzungssoftware, die manche Redewendungen erkennt, Orte und andre Wiederholungen einfach schon mal für mich überträgt, das nennt man "Translation Memory". Ich könnte sie vorher verwenden und dann erst auf Final Draft gehen - aber da ist noch der nicht unerhebliche Vorteil zu erwähnen, dass, wenn ich mir schon den Praktikantenjob des Neuformatierens als megagroße Ausnahme für einen Superkunden ans Bein binde, ich das ganz am Anfang mit intensivem Lesen des Buchs verbinde. Kurz: ich kenne nachher wörtlich, was ich übersetze, und könnte es auch diktieren.

Moment mal - es gibt doch auch Diktiersoftware! Ja, die ist leider auch nicht mit nämlicher Drehbuchsoftware kombinierbar oder war es bis vor kurzem. Und für Apple bietet die Firma meines Vertrauens sie auch erst seit letztem Sommer an. Ich merke, ich muss mal wieder mit neuer Technik rumprobieren, indes: derlei macht vorab den Erwerb eines neuen Rechners nötig, kurz: Ich darf dann weniger für super ambitionierten Nachwuchs übersetzen. Die Katze beißt sich hier in den Schwanz.

Erstmal hilft mir copy & paste weiter. Aber Achtung: manches französische Wort kommt als Wortendung vor. Aus einer früheren Phase meiner Drehbuchübersetzerlaufbahn ist mir, und hier muss ich schmunzeln, eine "TAGnée" in Erinnerung, das TAG von der Orts- und Uhrzeitangabe in der Überschrift, das née vom Betonen der Dauer des Wortes la journée, dem zweiten französischen Wort für "der Tag", das den Ablauf, die Dauer betont. Und das war der Arbeitstitel und wurde zum Titel eines Films von Jacob Berger, einem in Paris lebenden Schweizer Regisseur ...

Noch eins gefällig? Von diesmal (daher noch keine 'Urheberangaben'), ich musste sehr grinsen. France -> Frankreich, soweit, so gut. Dann stolperte ich über "soufFrankreich" von la souffrance, das Leiden.

Ja, manchmal leide ich am Land meiner zweiten Sprache ;-

Und das mit der optimalen Drehbuchseitenanzahl vergesse ich liebe gleich wieder, da sollten nur die Anschlagzahlen gelten, wie bei uns in der Übersetzerei auch, denn mir war mal kurz entfallen, dass ein Papierbogen in den USA ja nicht so hoch ist wie bei uns ...

Montag, 8. November 2010

Mein 9. November

Vor 21 Jahren war ich Studentin — und blutjunge Anfängerin in den Medien. Ich hatte ein Jahr zuvor mein Praktikum beim SFB absolviert, wo ich für die aktuelle Redaktion eingeteilt war, aber mindestens die halbe Zeit ein Stockwerk darunter, in der Feature- und Hörfunkredaktion, verbracht hatte. Im Jahr des Mauerfalls schickte ich dann zunächst Rundfunkbeiträge aus meiner Studienstadt Paris. Und im Herbst fuhr ich dann wieder nach Berlin — zu den Hörspieltagen. Wir saßen tagelang im Literaturhaus in der Fasanenstraße, hörten, diskutierten, stritten. Soweit war alles wie im Vorjahr, nur, dass dieses Mal plötzlich auch die Kollegen vom Rundfunk der DDR dabei waren. Danach aßen wir alle miteinander.

Später am Abend stieg ich mit einer Kollegin ins Auto, wir fuhren gemeinsam nach Kreuzberg, wo ich bei einem Maler untergekommen war. Die Kollegin machte das Radio an — es folgten Beschreibungen von Grenzern, es ging um Passierscheine von Ost nach West und Grenzübergangsstellen. Unsaubere Atmo, schlecht gepegelt, der Text war unglaubwürdig, wir machten dieses Hörspiel aus, hatten genug von Feature, Hörspiel und Co.

Dann schlug ich bei dem Maler auf. Die Wohnung war leer, nur ein Zettel lag auf dem Küchentisch: "Sind am Grenzübergang Heinrich Heine-Straße. Die Mauer ist auf!"

Wie ich dorthin kam oder ob der Maler nochmal zurückkam und was dann geschah, ich weiß es nicht mehr. Filmriss. Ich weiß nur noch, wie ich an der Grenze stehe und weine und lache zugleich. Meine erste große Liebe hatte hinter der Grenze gelebt, als Ost-/West-Kind zähle ich zu den wenigen meiner Generation, die regelmäßig "drüben" waren. Für mich war Deutschland immer eins mit zwei Teilen.

Später war ich noch am Brandenburger Tor, am Tag danach ohne Mindestumtausch bei meiner Cousine Bettina in der Linienstraße. Die waren aber auch grad unterwegs ...

Berlin war euphorisch in diesen Tagen, unglaublich, peinlich, phantastisch und phantasielos zugleich, doch, ja: Wenn so vielen Menschen nach so vielen Jahren der Trennung nur "Wahnsinn!" einfällt, ist das phantasielos! Und die Tatsachen sprengten ja auch zugleich die Grenzen alles bis dato Vorstellbaren. Und ich, die ich meine Pappenheimer hüben und drüben kannte, war euphorisch und hatte zugleich düstere Vorahnung über düstere Vorahnung, kurz: ich fühlte mich plötzlich schrecklich alt.


Es würde lange dauern, bis die verlorene Zeit aufgeholt sein würde, das war mir klar. Die Menschen hatten sehr unterschiedliche Sozialisationen erfahren: im Westen war die größtmögliche Selbstentfaltung möglich — aus östlicher Perspektive die ewige Selbstdarstellerei —, im Osten zählten eher die inneren Werte — aus westlicher Perspektive das ewig Verhuschte ... um nur dieses eine Beispiel zu nennen.

In der Phase des Zusammenwechsens befinden wir uns noch immer. Ohne diese Nacht würde ich heute nicht in Berlin leben, und unter dem Strich überwiegt eindeutig das Positive. Aber mit mehr Bildung, Achtsamkeit, Kultur und Gerechtigkeit wären viele Schäden an Menschen, Seelen und Gütern zu vermeiden gewesen. Ich nenne da nur durch die Wende zerstörte Altstädte oder Altstadtteile durch die gedankenlose Übernahme westdeutscher Baugesetze.

Und so stand ich da mit meinem Wissen in der bewussten Nacht, ein Grünschnabel, der sich im Eiltempo gereift fühlte und sehr einsam inmitten der Menschenmassen. Die Deutschen in Ost und West waren sich fremd geworden in den Jahren der Trennung, und sie hätten Kulturdolmetscher gebraucht, Vermittler oder einfach nur viel, viel Zeit, einander unaufgeregt die jeweilige Geschichte mit den jeweiligen Begriffen zu erzählen. Denn die gemeinsame deutsche Sprache hatte sich auch verändert, zum Teil die Worte, aber vor allem die Art des Argumentierens, die Hierarchien in der Mitteilung, die Fähigkeiten, Zwischentöne zu hören. Die gemeinsame deutsche Sprache, die gemeinsame Geschichte trennte die Deutschen in Ost und West.

In jener Nacht fielen mir als Historikertochter sehr bald auch die anderen neunten November ein und ich wusste, dass Deutschland ein Problem haben würde mit diesem historischen Ereignis. In logischer Folge reihen sich die Termine aneinander, 1918, 23, 38  und 89 — und da den Deutschen das Jubeln doch meist misslingt, hätte ich es angemessen gefunden, den 9.11. zum deutschen Gedenktag zu machen.

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Foto von September 1989,
an der Dresdener Straße (?)

Sonntag, 7. November 2010

Schwäbischdolmetscherin

Als Dolmetscherin für die französische Sprache bin ich Dialekte gewöhnt. Wenn im Süden Frankreichs von "Wäng" die Rede ist oder der "Träng" verspätet ist, weiß ich, seit ich vierzehn bin: es windet oder es geht um die Eisenbahn. Auch einige andere französische Dialekte verstehe ich und sogar manche Verfärbung durch andere Sprachen, denn oft darf ich Menschen dolmetschen, die zwar gut Französisch können, aber es ist nicht immer das Pariser Hochfranzösisch ...

In deutschen Dialekten bin ich weniger bewandert. Indes, wie letzten Freitag angedeutet, habe ich ein paar Schuljahre im schönen Schwabenlande verbracht — und anfangs vom dort gesprochenen Idiom gar nichts verstanden. Daher habe ich dort mein Hochdeutsch gepflegt und konnte diesen Dialekt am Ende so halbwegs verstehen.

Und jetzt kommt das ebenfalls letzte Woche versprochene kleine Geständnis. Der Zeitpunkt scheint zu passen, so kurz nach den Herbstferien und vor dem Weihnachtsstress, für dessen Bewältigung noch in letzter Minute Sprachmittler gesucht werden, da sind wir hier ja ohnehin unter uns.

Einst habe ich mit Pascal Thibaut, der später RFI-Korrespondent wurde, bei Journalistenfortbildungen gedolmetscht. Die wurden vom CFJ oder der Journalistenschule in Lille organisiert und ein- bis anderthalb Dutzend angehender Kollegen waren eine bis anderthalb Wochen in Berlin auf Recherche, begleitet und betreut von uns. Und auch bedolmetscht, denn die wenigsten sprachen gut Deutsch.

Da liefen wir dann beide zu großer Form auf — und waren am Ende durch diese Doppelbelastung ordentlich geschafft. Einmal schien das K.O. aber schon bei der letzten Begegnung zu erfolgen: Wir waren mit den Studenten in einem Heim für Spätaussiedler zu Gast. Es war in den 1990-er Jahren, hier lebten viele Kontingentflüchtlinge und ihre Familien, außerdem frühere sogenannte Donauschwaben. Der Dorfälteste fing an zu sprechen — und ich fühlte mich in alte Gymnasialtage zurückversetzt oder besser: ins Dorf, denn es war das breiteste Schwäbisch, nicht mal "Honoratiorenschwäbisch".

Pascal, der gerade mit der Verdolmetschung an der Reihe war, schaute mich hilfesuchend an. Je länger der alte Mann sprach, desto größer wurden die Fragezeichen in Pascals Augen, er wies auf seinen Block, auf dem er sich anders als sonst keine Notizen machte, zuckte mit den Achseln, wurde fast panisch ...

Ich indes machte eine beruhigende Geste, verstand ich doch alles. So übernahm ich flugs die Tour, skribbelte mit, notierte, schrieb auch einen Begriff in Druckbuchstaben auf, den ich nicht verstand und kurz nachfragte, bevor ich dann das Gesagte ins Französische übertrug. Pascals Augen strahlten. Ich war zufrieden, weil sich meine mühevoll erworbenen Fremdsprachenkenntnisse des südwestdeutschen Dialekts endlich mal in einem beruflichen Zusammenhang als nützlich erwiesen hatten.

Was ich nicht ahnte: mein Triumph war verfrüht. Jetzt sprachen erstmal die Franzosen, Pascal machte sich Notizen, dann fing er an. Er sprach und spricht hervorragend Deutsch — mit einem süßen französischen Akzent. Der alte Mann schaute erst Pascal an, dann mich, schüttelte den Kopf, Pascal sprach konzentriert und unbeirrt weiter, dann sah mich der Redner von eben wieder an. Jetzt sah ich es wieder, diesen Anflug von Panik, dem diese kleinen Fragezeichen vorausgehen. Der alte Mann schien nichts zu verstehen — und das sagte er jetzt auch.

Zum Glück schien Pascal nicht gekränkt, er überlies mir das Feld. Ich setzte also nochmal an, als Muttersprachlerin mit Sprechausbildung, stolz auf meine Rundfunkstimme und mein Vorzeigedeutsch. Ich wiederholte das Gesagte, konzentrierte mich auf meine Worte, mein Blick ging nach innen ... bis es um mich herum unruhig wurde. Räuspern, Scharren mit den Füßen — als ich aufblickte, sah ich in eindeutig irritierte Augen. Und war selbst irritiert, Hilfe, mein Deutsch wird nicht verstanden!

Gerade lief die Verständigung noch für mich problemlos, als der Dorfälteste Schwäbisch gesprochen hatte oder vielmehr ein Schwäbisch aus dem gefühlten 18. Jahrhundert, als viele Armeleutekinder aus Schwaben ihr Glück im Osten versucht und dort seither nur so und nicht anders Deutsch gesprochen hatten. Vor der Ausreise ins wiedervereinigte Deutschland hatte dieses Idiom durch andere Sprachkontakte mit dem Deutschen keinerlei Erschütterung erfahren; es war die Zeit, bevor Internet und TV-Satellitenschüsseln populär wurden. Kurz: In dieser Gruppe hatte sich eine Variante des Deutschen gehalten, ja war von den Sprechenden sogar für das einzige, echte Deutsch gehalten, das der Sprache von anno dunnemals näher war als unser modernes Idiom.

Dann tat ich, was seither zum Glück in meiner Karriere nie mehr nötig wurde. Ich sammelte all' meinen Mut, schaute mich um, ob noch andere Deutschsprachige im Raum wären, vielleicht sogar echte Schwaben, das war aber zum Glück nicht der Fall. Und dann versuchte ich mich an den schwäbischen Endungen, dem kollektiven, duzenden "Sie" und all den Verformungen, die dieser Dialekt nun mal mit dem Hochdeutschen anstellt, so gut es mir aus der Erinnerung nach einem Jahrzehnt möglich war. Ich schlüpfte im Geiste in die Haut von Fips oder anderen Mitschülern vom Dorfe und wunderte mich über das, was da so scheinbar mühelos aus meinem Mund purzelte.

Die Augen des alten Mannes strahlten. Auch Pascal war begeistert. Es wurde ein schönes, sehr lebendiges Gespräch. Am Ende war ich müde wie selten zuvor.

Samstag, 6. November 2010

Sonntagsbild

Heute mal ein lyrisches Sonntagsbild. Schön, wenn das Aufräumen des Rechners sowas zutage fördert ...


SPURENSUCHE

am abend strahlt es nimmt
die sicht ist
licht eingeschnitten in den
himmel neben rost
und grün und sand
die anderen häuser.
farben wie kurz zuvor

auch sie nehmen dir die
puste und schief stehen
die luftröhren, ach!
war doch nur ein
schluckauf des jahrhunderts,
genosse
kamerad.

reden ist
silber schweigen
wir gold
von den vergangenen tagen daneben
der verkehrsturm schaut
in jede richtung kennt
nichts wieder.

acht ecken verlaufen sich
im sande, preussen!
streu nichts
in die augen
büchse, alles nur pulver hier
am potsdamer
platz.

8.2.2001

Sprache lebt!

Heute auf Englisch ein sprachlich-grafisches Kunstwerk und Plaidoyer für mehr Fehlertoleranz. Denn: Sprache lebt! Viel Spaß!



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Film: Stephen Fry

Freitag, 5. November 2010

Zwischenzeitlich

Als Dolmetscherin für die französische Sprache lese ich vieles von dem, was mir in die Hände kommt, unterschiedslos von allen Seiten, in den verschiedensten Sprachen. Das ist mein Beruf, ich muss ja unter Umständen alle später mal "vertonen'. Auch lese ich auch Infomaterial zu Zukunftsprojekten der Bahn und südwestdeutscher Großstädte. Und ich arbeite auch mit den Infos. Das Thema "Stuttgart 21" habe ich neulich erst dem kanadischen Fernsehen vorgeschlagen, für dessen französisches Programm ich seit vielen Jahren ein- bis zweimal jährlich als Rechercheurin und freie Mitarbeiterin (auch in Sprachendingen) tätig bin, und zwar unter der Fragestellung "Europäische Demokratien auf der Suche nach neuen kommunikativen Formen in Deutschland und Frankreich."

Und frei nach dem genialen Motto Mir kennet elles, außer Hochdeutsch, schreiben die Autoren mancher Infohefte auch, wie ihnen das Schnäbele gwachse isch. Alles richtig in der Kommunikation, solange reigschmeckten (zugezogenen) 14-Jährigen nicht, wie mir einst passiert, das ihnen bis dato unbekannte Wort "la colle" mit dr bebb übersetzt wird. (Das ist lang schon verschmerzt und verziehen, hat aber mein Augenmerk für soziale Ausgrenzung geschärft.)

Zur erwähnten Veröffentlichung hier eine kleine Anmerkung, und zwar zu einem Wort:

Die Autoren hätten lieber das Wort inzwischen verwendet. "Zwischenzeitlich" suggeriert, dass das Bahnhöfle nur mal kurz verschwunden ist. Beispiel aus der Schulpost: "Die betreuende Klassenlehrerin Frau K. ist im Mutterschaftsurlaub, zwischenzeitlich wird die Sternenklasse von Frau W. betreut." Keine Sorge also, die bei den Schülern sehr beliebte Frau K. kommt wieder.

Und damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Ich dolmetschte bislang (bis auf eine klitzekleine Ausnahme, von der Montag mehr) weder ins noch aus dem Schwäbischen. Ich kann nicht mal richtig Schwäbisch! Ich hab einst im Mai im Ländle nur mein Abitur gemacht, genauer: in Ludwigsburg, wo die Bahn auch irgendwann den schönen, alten Bahnhof abgerissen hat und einen hässlichen Neualtbau hingestellt hat — unterm Strich wohl der vielen neuen Ladengeschäfte wegen.

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Foto: Aus einem Broschbeckdle gegen S21,
Hg. Initiative Leben in Stuttgart

Mittwoch, 3. November 2010

Begleitdolmetschen

Eine kleine Delegation von drei Leuten nebst Sekretär kommt mit einer konkreten Frage nach Berlin. Vor Ort werden Wagen und Chauffeur angemietet. Da die Herren aus französischsprachigen Landen stammen und des Deutschen unkundig sind, bestellte deren Mitarbeiterin vorab auch eine Begleitdolmetscherin.

Es geht um eine sozialwissenschaftliche Fragestellung, die die Ärmsten der Gesellschaft betrifft. Wir haben drei Termine, zwischendurch sind Tourismus, Restaurant und Shopping angesagt. Sprachlich ist das alles Routine, denn ins Thema habe ich mich ausführlich einarbeiten können. Stressig wird es, als Läden abgefragt werden, die bestimmte Marken führen oder Gaststätten, an denen am besten dieser oder jener Politiker regelmäßig verkehren sollten.

Zum Glück kriege ich bei anderen Jobs nebenbei mehr mit, als mir bewusst ist, kenne dann tatsächlich doch das Gefragte - und auch die eine oder andere Studienfreundin von einst, die mich in Berlin besuchen kam, hat mir schon Orte gezeigt, die sie aus Paris vom Hörensagen kannte. So überspiele ich den Moment der Unsicherheit und gebe freundlich lächelnd die Bärenführerin.

... und am Ende darf der Fahrer eine Strecke allein fahren - wir gehen ein Stück in der Mittagssonne durch den Park. Nebenbei entsteht ein Gruppenfoto, einmal mit, einmal ohne Dolmetscherin.

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Foto: privat

Dienstag, 2. November 2010

Manchmal wünsch' ich mir ...

... nicht viel im Leben, aber eine Sekretärin!

Dann nämlich, wenn ein Kunde anruft und am besten gestern schon hätte entschieden haben wollen, wen er für morgen buchen wird, leider aber vergaß, beizeiten Kostenvoranschläge einzuholen; wenn ich auf einer Tagung dolmetsche, ein namhafter Sender mich anruft und umgehend für den Abend bestellen will - als ich zwanzig Minuten später in der Pause zurückrufe, hat man bereits eine Kollegin von außerhalb einfliegen lassen; wenn ich wochenlang zu Einsätzen und im Urlaub unterwegs war und anschließend Tage brauche, um mich wieder bis auf die Schreibtischplatte durchzuarbeiten; wenn mir die Belege über den Kopf wachsen; wenn ich kaum Zeit finde, meine in Etappen geschriebenen Privatbriefe fertigzuschreiben; wenn ich von der Fachkonferenz komme und Visitenkarten abarbeiten muss; wenn es abends wieder so früh dunkel wird, dass ich mich mittags gern noch eine halbe Stunde länger im Licht rumtreibe ...

Bislang hat es nur zum Sekretär gereicht. Aber immerhin. Und nun probiere ich noch, wie groß die Lederauflage für die Schreibplatte sein muss. Der Lederrest stammt von frisch bezogenen alten Stühlen und duftet herrlich. Ein Gefühl von Luxus stellt sich ein!

So, rasch weiter im Text, ein Termin für PR-Texte sitzt mir im Nacken, danach zwei Kostenvoranschläge schreiben und Vokabeln pauken. Und noch am anderen Text weiterarbeiten, gegen Ende der Woche darf das Drehbuch zur Korrektorin, dann etwas Buchhaltung und ...

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Foto: "Statt Erleuchtung | Licht auf
dem Tisch ..." (Richard Exner)

Montag, 1. November 2010

Honorarhöhe

Komischer Gedanke, der mich heute beschlich. Als Dolmetscher in Berlin und abroad werden wir nicht selten von großen Kunden gebucht, von politischen Institutionen, TV-Sendern, Großunternehmen, Filmverleihern und Verlagen zum Beispiel. Für sie arbeiten wir mit sehr unterschiedlichen Aufgaben, mal begleiten wir Pressearbeit, mal Recherche und Dreharbeiten, mal steht ein VIP, mal die Herausbringung eines Buches im Vordergrund.

Die Kunden buchen begleitend dazu für den fremdsprachigen Gast unterschiedlich teure Hotels. Und meist liegt der Tagessatz, den wir angeboten erhalten oder auf den wir uns nach einigen Verhandlungsrunden einigen, ziemlich exakt im Bereich dessen, was das Hotelzimmer je Nacht der Person kostet, für die wir tätig werden. Von 3-Sterne-Sätzen (öffentlich-rechtlicher TV-Mitarbeiter) bis zu sechs Sternen mit der Suite (Politiker, Stars) ist alles drin ...

Ich weiß jetzt jedenfalls, wie ich lange Verhandlungen abkürze. Ich frag' künftig einfach nach dem Hotel ;-)

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Foto: Kandelaber in einer Berliner
Fremdenverkehrseinrichtung