Oft leiden wir Dolmetscher darunter, dass unsere sehr verehrte Kundschaft ein Sprechtempo pflegt, das nicht natürlich ist: Zum Beispiel beim Ablesen von Texten unter Einfluss des Stresshormons Adrenalin. Und dann kennen wir auch das leidvolle Problem, dass manche Begriffe in der Ausgangssprache existieren, nicht aber in der Zielsprache.
Die Frankfurter Rundschau beschreibt in ihrer heutigen Ausgabe den Hamburger Prozess gegen die somalischen Piraten, die letzten April ein deutsches Frachtschiff gekapert haben. In der Berichterstattung von Bernhard Honnigfort wird deutlich, dass im Hamburger Landgericht Welten aufeinandertreffen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Honnigfort schreibt: "Die Beweislage ist eindeutig, der Rest ein mühseliger Lernprozess und Exkurs in gänzlich andere Lebenswirklichkeit. Deutsche Gerichtsgründlichkeit trifft auf Angeklagte, die in Somalia groß wurden, einem bettelarmen Land, das seit 19 Jahren in Bürgerkriege verstrickt ist." So entspricht die Namensnennung der Betreffenden natürlich nicht deutschen Meldegesetzen.
Viele Angeklagte kennen nicht einmal das eigene Geburtsdatum, und einer der Piraten ist noch im Jugendalter. So kommt die Forderung auf, dass Ärzte die Frage nach der Strafmündigkeit klären mögen. Da hebt der Verteidiger laut Artikel zu einem Vortrag von einer Dreiviertelstunde über die Unsinnigkeit von derlei Altersschätzungen an. Dann fallen Worte wie Standardabweichungen, Skelettalter, Weisheitszähne, Methoden nach Tanner und Whitehouse und Atlas-Verfahren. Der Artikel schließt mit dem Satz: "Irgendwann stöhnt der Dolmetscher auf, bittet um etwas langsameres Sprechtempo und weist daraufhin, dass es für viele dieser Dinge im Somalischen überhaupt keine Wörter gebe."
Ein lapidarer Satz, und für den zeitungslesenden Dolmetscher tun sich Dramen auf.
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