Mittwoch, 10. November 2010

Französischdolmetscher in Berlin

"Gutène Taggué, daphisch Fransössisch chpraichène ?" — klingt eine weibliche Stimme aus dem Telefonhörer, aber natürlich, die Dame darf sehr wohl Französisch sprechen, denn ganz offenbar sind ihre Deutschkenntnisse maximal angelesen.

Als Dolmetscherin in Berlin erhalte ich manchmal solche Anrufe, die in eilige Aufträge münden — und kann von Glück sagen, wenn ich gerade wieder meinen derzeitigen Lieblingsanzug und den Wintermantel aus der Reinigung geholt habe (wie am Vortag geschehen). Hier werde ich von jetzt auf gleich angeheuert, habe gerade eine halbe Stunde Zeit, mich fertigzumachen und den wichtigen Teil des Tagewerks — das Empfangen, Korrekturlesen und Weitersenden einer kleinen Übersetzung — zu delegieren.

Zuvor schickte ich eins, zwei, fix einen Kostenvoranschlag an die Firma, die hinter meiner Anruferin steht, er kommt unterschrieben zurück, und während die Lockenwickler trocknen, habe ich die Firma noch etwas gründlicher via Internet geprüft. Ich kann ja nicht für alle und jeden arbeiten ... Kurz darauf bestätige auch ich meinen Einsatz, dann wartet unten schon das Taxi.

Es wird ein Halbtagsjob der merkwürdigen Art. Zwei Kaufleute hatten im Internet ihren Traumwagen in Berlin entdeckt, gebraucht zwar, aber neuwertig, wie es hieß, den Kaufbetrag überwiesen — und keine Ware erhalten. Nach etlichen Mahnungen wollten sie vor Ort nachsehen, was geschehen war.

Wir pilgern von Ladengeschäft über Büroadresse in eine exklusive Wohngegend — und plötzlich habe ich das Gefühl, gar nicht als Dolmetscherin zu arbeiten, sondern als Privatdetektivin. Dann folgen Behördengänge: Die vermeintlichen Verkäufer sind abgetaucht, die Firma erloschen, die Polizei weiß von ähnlichen Vorfällen. Auf der Suche nach einem Auto nehmen wir oft das Taxi. Immer wieder müssen wir aber große Strecken laufen, denn manchmal sind die selbst in Berlin rar.

Im Restaurant ziehen wir Bilanz. Das war viel Geld für nichts, der Wagen sei ein Schnäppchen gewesen, der Traum währte, bis die schillernde Seifenblase heute zerplatzte. Die Gier hat die Herren blind gemacht ... denn wie sich am Ende herausstellt, lag der Preis inklusive Reisekosten und meinem Honorar bei knapp der Hälfte dessen, was für eine solche Luxuskarosse sonst hinzublättern gewesen wäre.

Meine Bilanz lautet aber auch: Das Internet macht das Wirtschaftsleben nicht einfacher. Ich werde meine Kunden künftig auch besser prüfen müssen. Zum Glück kommen 96 % der Aufträge von Bestandskunden oder über Empfehlungen rein. Und für die nächsten Einsätze mit vielen Fußmärschen muss ich mir bequemere Schuhe kaufen.

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