Freitag, 2. August 2024

Landware

Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier bloggt eine Sprach­ar­bei­te­rin. Fran­zö­sisch in Ber­lin, Deutsch in Frank­reich, so stelle ich mich manch­mal mit mei­ner Sprach­kom­bi­na­tion vor und erkläre, was Dol­met­scher machen. Wir Dol­met­sche­rin­nen müs­sen uns im­mer wie­der mit Leich­tig­keit an die Um­ge­bung an­pas­sen, die wir ver­to­nen. Heu­te: So klingt mein ak­tu­el­ler Ar­beits­platz.

Mein Sound­scape im zwei­ten Be­rufs­feld, dem Über­set­zen: Wenn live vor dem Fens­ter Gas­sen­hauer der 1920-er Jah­re oder ku­ba­ni­scher Swing ge­spielt wer­den, ha­be ich nichts da­ge­gen. Die Tech­no­mucke mit Ge­wehr­sal­ven, die mei­nen Puls zum Ja­gen bringt, weil der dazu neigt, sich an­zu­glei­chen, ge­fällt mir nicht. Aber das ist dann schon am spä­te­ren Nach­mit­tag und droht in der Nacht.

Blick in die Straße auf den Markt
Romantischer Markt
Mor­gens höre ich lange Ita­lie­nisch auf der Stra­ße, da gibt es Luigi, aber in­zwi­schen auch noch ei­ni­ge an­de­re. Neu­lich haben sie sich un­ten ge­strit­ten wie die Kes­sel­fli­cker. Spä­ter kommt die asia­ti­sche Gar­kü­che. Seit die da ist, koche ich gar nicht mehr im Wok, der Ge­ruch reicht mir. Aber trotz­dem, ich mag das al­ter­tüm­lich an­mu­ten­de Mo­ment hier. Der Markt sieht gut aus vom Bal­kon: Holz­ge­stän­ge, Stoff­pla­nen, der Kaf­fee­wa­gen aus Blech. Mor­gens sind die Far­ben noch kräf­tig, Licht­fle­cken tan­zen über die Straße.

Am spä­te­ren Nach­mit­tag sind die Far­ben ein we­nig ver­blasst, als ich mit dem Wei­den­korb run­ter zum Ein­kau­fen gehe. Die Kar­tof­feln kom­men in den alten Stoff­beu­tel, vie­les kaufe ich lose. 

Das mag alt­mo­disch er­schei­nen. Ich sehe den Stand mit Holz­kis­ten und freue mich. "Land­wa­re" hat auch et­was Al­ter­tüm­li­ches, das klingt nicht nach heute.

Mit die­sen bei­den Bild­aus­schnit­ten sieht mein Wo­chen­markt ganz nach­hal­tig aus, dabei be­stim­men mehr­heit­lich noch die Plas­tik­kis­ten den Ein­druck, die abends dann rol­len­wei­se mit Plas­tik­fo­lie mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den.

Aber in die Rich­tung plas­tik­freie Ma­te­ria­li­en muss die Rei­se ge­hen, back to the fu­ture. Ich schwei­fe ab in ei­nen Tag­traum. In den 80er Jah­ren gab es in Pa­ris noch auf je­dem Markt die glei­chen Holz­kis­ten; es gab die gu­ten, sta­bi­len wie auf dem Bild hier, aber im­mer öf­ter auch die leich­ten aus dün­nem Sperr­holz.

Holzkisten, Schild "Landware"
Fast eine Zeitreise
Von den fes­ten Kis­ten wan­der­ten si­cher ei­ni­ge in die Stu­den­ten­bu­den. Ich ha­be bei mir al­les Scharf­kan­ti­ge von Hand ab­ge­schlif­fen, die Kis­ten dann mit sei­den­mat­ten Far­ben in Moos­grün und Va­nil­leeis­bei­ge ge­stri­chen und ge­sta­pelt: Das war ein­mal mein Bü­cher­re­gal, acht Stück, et­was asy­mme­trisch ge­sta­pelt mit ei­ner schnell wu­chern­den Efeu­pflan­ze oben drauf. (Da­rin war die­se Epo­che kom­plett an­ders als heu­te: Es gibt kein Fo­to da­von.)

Als Stu­den­tin ha­be ich nicht in Hör­wei­te des Mark­tes ge­lebt. Die­se Klang­land­schaft ha­be ich erst heu­te. Am Abend dann, wenn in Ber­lin die Stra­ßen­fe­ger weg sind und bevor ab 22.00 Uhr der Tech­no­lärm im Club ne­ben­an los­geht, ein Un­ding in ei­nem Wohn­ge­biet, höre ich die Gril­len zir­pen und die En­ten schnat­tern. Ab und zu flie­gen Schwä­ne über den Ka­nal, das klingt wie ros­ti­ge Gieß­kan­nen. Die Mau­er­seg­ler, die Ber­lin ei­gent­lich erst um den 6. Au­gust ver­las­sen, schei­nen schon weg zu sein, der An­fang vom Ende des Som­mers. Wir dür­fen mit ei­nem frü­hen Käl­te­ein­bruch und hohen Mi­nus­gra­den im Win­ter rech­nen.

Schluss­vol­te in Rich­tung Über­set­zen: So sehr ich mich als Dol­met­sche­rin der Um­ge­bung an­pas­sen muss, so sehr zählt beim Über­set­zen nur der Text. Manch­mal ist mir die Mu­sik zu viel, ich brau­che Stille, um der Mu­si­ka­li­tät der Spra­che fol­gen zu kön­nen. Tech­no ist in die­sem Zu­sam­men­hang im­mer Schei­ße, ex­cuse my French, auch was den Nacht­schlaf be­trifft.

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Fo­tos: C.E.

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