Samstag, 3. August 2024

Fortbildung (2)

Was Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher so ma­chen, ist hier seit 2007 The­ma. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; die Bü­ro­kol­le­gin ist Über­set­ze­rin (schrift­lich) mit Ziel­spra­che Eng­lisch. Life­long lear­ning ge­hört zum Be­ruf; heu­te folgt ein Sams­tag­link.

Die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung for­dert mich auf, mich in Sa­chen Künst­li­cher In­tel­li­genz (KI) fort­zu­bil­den, ob­wohl ich es bin, die Fort­bil­dungs­in­hal­te an­zu­bie­ten hät­te, lie­be FAZ. Die Zei­tung schreibt, dass je­de/r Drit­te in Deutsch­land Angst ha­be, bald durch die Künst­li­che In­tel­li­genz (KI) ar­beits­los zu wer­den. 37 Pro­zent der Er­werbs­tä­ti­gen hät­ten zwar schon mal mit ChatGPT her­um­ge­spielt, aber sonst we­nig Er­fah­rung, und 63 Pro­zent sei­en noch völ­lig 'un­be­darft', so die Er­geb­nis­se ei­ner re­prä­sen­ta­ti­ven Um­fra­ge des TÜV vom Ok­to­ber letz­ten Jah­res.

Gut, die Zah­len sind nicht tau­frisch, aber dass es Vor­be­hal­te gibt, liegt auf der Hand. Ich emp­feh­le ger­ne die Volks­hoch­schu­len, die sind un­schlag­bar.

Drei Gra­zi­en im Chor vor Mi­kro­fo­nen
So sieht die KI un­se­ren Be­ruf
Gleich­zei­tig emp­feh­le ich aber ge­ra­de de­nen, die bei den Ver­spre­chun­gen der KI nur Dol­lar- oder Euro­zei­chen in den Au­gen se­hen, Kur­se zu be­su­chen; Se­mi­nar­an­ge­bo­te, die es viel­leicht erst im Herbst gibt. Denn zu vie­le ge­hen fälsch­li­cher­wei­se da­von aus, dass KI die Lö­sung al­ler Pro­ble­me ist, vor al­lem der Text- und Sprach­pro­ble­me. Wir kön­nen schon von ei­nem KI-Hy­pe spre­chen.

Da­bei, und scu­si für die Re­dun­danz, lie­be Stamm­le­se­rin­nen und Stamm­le­ser, ar­bei­tet die Ma­schi­ne nach ma­the­ma­ti­schen Wahr­schein­lich­kei­ten, ist selbst nichts an­de­res als Hard­ware, Strom und Si­gna­le. Sie kann per de­fi­ni­tio­nem kein "Sprach­GE­FÜHL" ha­ben. Sie bil­det den Durch­schnitt al­ler Tex­te ab, die dem Sys­tem bis zum Zeit­punkt x zu­gäng­lich wa­ren. Und das Sys­tem "lernt" wei­ter, er­kennt For­men, Far­ben und Mus­ter. Aber das lässt noch lan­ge nicht auf ein Ge­fühl schlie­ßen, denn die­ses müss­te auf Er­fah­rung, Angst, Schmerz und Ver­letz­lich­keit be­ru­hen.

Viel­leicht soll­ten auch wir Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher, Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer uns fort­bil­den, und zwar da­rü­ber, wie wir die­se gan­ze Pro­ble­ma­tik ver­mit­teln. Als Ein­stieg emp­feh­le ich hier, da Sie auf mei­nem Blog le­sen, ei­ni­ge äl­te­re Posts von mir, zum Bei­spiel die­ses Schman­kerl hier: klick! Auf den Sei­ten des Be­rufs­netz­werks Linked­In lau­fen der­zeit die bes­ten De­bat­ten zum The­ma.

Die Sprach­ar­bei­ter:in­nen­welt muss aus dem Schat­ten tre­ten und ei­gen­stän­dig In­hal­te an­bie­ten. Lan­ge Zeit wa­ren wir stolz auf un­se­re Un­sicht­bar­keit. Kol­le­ge Kon­stan­tin An­gou­rias sprach so­gar von der "Ide­a­li­sie­rung der Un­sicht­bar­keit als Cre­do". Tou­ché.

Wenn man un­se­re Ar­beit nicht be­merkt hat, war al­les gut; im Prin­zip fal­len nur Feh­ler auf. Wer auf dem rut­schi­gen Par­kett der di­plo­ma­ti­schen Welt ver­kehrt, ist von Be­rufs­we­gen Lei­se­tre­ter. Kon­stan­tin An­gou­rias hat ein wei­te­res Pro­blem be­nannt, näm­lich dass ganz grund­sätz­lich und auch in an­de­ren Bran­chen ge­ra­de der Wert mensch­li­cher Ar­beit durch Tech­nik­gläu­big­keit ent­wer­tet wird.

Was wir als Ant­wort dar­auf brau­chen, ist ein Schlacht­ruf! Wir brau­chen ei­nen Slo­gan, ei­ne schlag­wort­ar­ti­ge Zu­sam­men­fas­sung der Mi­se­re, Ana­lo­gi­en, in­ter­na­tio­nal taug­li­che Be­grif­fe mit aus­sa­ge­kräf­ti­gem Hin­ter­land. #In­vi­si­ble­Trans­la­tors oder #Ghost­Trans­la­tors wa­ren die ers­ten Ide­en von Kon­stan­tin, dabei fehlen ne­ben Un­ter­ti­tel- und Dol­met­scher­welt auch die Leu­te, die in ein­fa­cher Spra­che schrei­ben so­wie die Film­be­schrei­ber:in­nen für Men­schen, die aufs Hö­ren an­ge­wie­sen sind. Als Er­wei­te­rung könn­te man an #In­visib­Lin­guists den­ken.

Das sieht lus­tig aus, ist aber wahr­schein­lich zu kom­pli­ziert für die Frau, den Mann von der Stra­ße. Ich hö­re schon: "Lin­gu-bit­te-was!?"

Wei­ter­suchen! Sicht­bar werden! Aus dem Schat­ten zu tre­ten ist für mich nichts Neu­es. Ich kann mei­ne fra­gen­den Au­gen trotz hoch­bre­chen­der Bril­len­glä­ser nur schwer ver­ber­gen, fal­le aus der Men­ge schon des­halb her­aus, weil ich erst kurz vor 180 cm das Wachs­tum ein­ge­stellt ha­be, und ich ma­che bei De­le­ga­ti­ons­rei­sen auf dem Weg von A nach B zwi­schen zwei Ein­sät­zen kei­nen Hehl aus mei­ner kul­tu­rel­len und stadt­ge­schicht­li­chen Bil­dung. Wenn es ge­wünscht wird, und in 99 Pro­zent der Fäl­le freu­en sich die Gäs­te dar­über, er­klä­re ich, wo wir ge­ra­de sind. Mit der Bil­dung ist es wie mit der Lie­be, sie ver­mehrt sich, wenn wir sie tei­len.

Aber für die ei­ge­nen In­ter­es­sen zu kämp­fen, ist ei­ne an­de­re Haus­num­mer. Das fällt auch mir schwer. Jetzt kön­nen, nein müs­sen wir ler­nen, laut zu wer­den. Wir dür­fen auf­zei­gen, dass die "Er­geb­nis­se" der ma­schi­nel­len Ver­ar­bei­tung oft ent­stel­len­de, feh­ler­be­haf­te­te #Übel­set­zun­gen sind. Dass die­se #Bau­stein­tex­te auf den ers­ten Blick ganz flüs­sig zu le­sen sind, merkt die wer­te Kund­schaft schon selbst. Das ist al­ler­dings ein Teil des Pro­blems, da es zu ei­ner zu ho­hen Ak­zep­tanz (ge­paart mit nai­ver Tech­nik­gläu­big­keit) ge­führt hat. Die Pro­ble­me lie­gen al­ler­dings im De­tail, in den Nuan­cen, und da sind wir auch schon wie­der beim The­ma Di­plo­ma­tie. Was nicht al­le wis­sen: Die KI über­springt, was ihr ko­misch vor­kommt, sie er­fin­det, fa­bu­liert frei oder spuckt ger­ne mal das Ge­gen­teil des­sen aus, was be­ab­sich­tigt war.

KI-Tools sind #Werk­zeu­ge für die Hän­de aus­ge­bil­de­ter Fach­leu­te, die sich ih­rer be­die­nen, die sie steu­ern, Ide­en sam­meln, Tex­te struk­tu­rie­ren und Ent­schei­dun­gen über die an­ge­bo­te­nen "Lö­sun­gen" tref­fen. Die Out­puts sind le­dig­lich An­ge­bo­te, ge­wis­ser­ma­ßen un­ter­schied­li­che Bau­stof­fe, und häu­fig schlicht un­brauch­bar. Es kommt im­mer auf den Aus­gangs­text an. Und dann auf die Pro­fis. Ein Hau­fen Ma­te­ri­al mit Perl­mutt und Ebe­nen­holz und der Ham­mer da­ne­ben macht noch kei­nen In­tar­si­en­tisch!

Es gibt noch ei­nen wich­ti­gen, bis­lang kaum be­ach­te­ten As­pekt. Die Über­schät­zung der KI droht jun­ge Men­schen da­von ab­zu­hal­ten, Spra­chen zu ler­nen und sich für Sprach- und Kul­tur­mitt­lung zu in­te­res­sie­ren. Wer nach­fragt, er­fährt, dass wir Lin­gu­is­t:in­nen die Kon­troll­in­stanz für die Tech­nik sein sol­len und dass am En­de nur die Bes­ten der Bes­ten für das di­plo­ma­ti­sche und po­li­ti­sche Par­kett ge­braucht wür­den, al­so dort, wo Fin­ger­spit­zen­ge­fühl und ab­so­lu­te Ver­trau­lich­keit ge­fragt sind. Ho­he Qua­li­tät for­dert aber auch die In­dus­trie, Stich­wort Pa­tent­ent­wick­lung und Da­ten­schutz, for­dert auch die In­ge­ni­eurs­welt, Stich­wort Si­cher­heit, for­dert auch die Ju­ris­te­rei, Stich­wort Ge­währ­leis­tung und dro­hen­de Pro­zess­wel­le bei Feh­lern.

Die Po­li­tik könn­te auf die Idee kom­men, an der Aus­bil­dung von uns Fach­leu­ten zu spa­ren. Wir Men­schen brau­chen aber, um per­fekt steu­ern zu kön­nen und un­se­re Be­ru­fe wei­ter­hin voll zu be­herr­schen, ne­ben gu­ter Aus­bil­dung vor al­lem eins: Pra­xis, Pra­xis, Pra­xis!

Die KI in ei­ner Ar­beits­welt oh­ne Men­schen ist brand­ge­fähr­lich. Oder wol­len Sie in ei­nem Flug­zeug sit­zen, des­sen Pi­lo­tin nicht rich­tig flie­gen ge­lernt hat? Oder auf dem OP-Tisch lie­gen und er­fah­ren, dass der Chir­urg oh­ne KI nicht mehr ar­bei­ten kann, weil ihm die Rou­ti­ne fehlt?

#Be­rufs­ethik #Mensch­Und­Ma­schi­ne #Tech­nik #Emo­tio­nen #Gren­zen #Ent­wick­lung

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