Mittwoch, 14. August 2024

Ein Zug kann einen anderen verdecken

Aus dem Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch, ein we­nig mit Eng­lisch. Wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ha­ben un­se­re Haupt­spra­chen, da­bei ist die A-Spra­che die Mut­ter­spra­che, B steht für die Haupt­ar­beits­spra­che, C für die so­ge­nann­te pas­si­ve Spra­che.

In der Welt der Technik, ins­be­son­dere im Be­reich der Künst­li­chen In­tel­li­genz, er­le­ben wir der­zeit ei­nen be­mer­kens­wer­ten Wan­del. Die In­te­gra­ti­on von KI in ver­schie­de­nen Bran­chen wird an im­mer mehr Stel­len for­ciert. Doch was be­deu­tet das für un­se­ren Be­ruf, der zwi­schen Mund­werk und Kunst an­ge­sie­delt ist? 

Ein Zug kann ei­nen an­de­ren ver­de­cken
Ei­ne Kol­legin hat­te vom to­ta­len Ein­spar­ungs­mo­dell be­rich­tet: den Dol­met­sche­rin­nen wurde im Früh­jahr ein Auf­trag ab­ge­sagt, es hieß, die KI wür­de über­neh­men. Ich konn­te und woll­te das erst nicht glau­ben. Im Netz ha­be ich ei­ni­ge An­bie­ter ge­fun­den, die die KI ohne mensch­li­ches Zu­tun 'dol­met­schen' und 'über­set­zen' las­sen möchten. 

Es lo­cken schö­ne Um­sätze, so­gar dann, wenn die Er­spar­nis für die Kund­schaft "nur" auf ca. 60 Pro­zent be­zif­fert wird. 

Geld­gier und Sca­ling vs. Nach­hal­tig­keit und Pro­fi­ar­beit

Die Fra­ge, ob die KI dazu tech­nisch und sprach­lich über­haupt in der La­ge ist, habe ich schon be­ant­wor­tet: Nein! Je­ne, die sol­che "Lö­sun­gen" an­bie­ten, sind we­der Sprach­wis­sen­schaf­tler noch Dol­met­scher:in­nen, es sind Tech­ni­ker. (Es gibt wohl die ei­ne oder an­dere Tech­nik­bu­de, die sich als Fei­gen­blatt ei­ni­ge äl­te­re Kol­leg:in­nen ge­gönnt ha­ben soll, das weiß ich nur vom Hö­ren­sa­gen.)

Wichtig ist, dass in der For­schung an den Uni­ver­si­tä­ten und bei den gro­ßen Ent­wick­lern nie im Fo­kus stand, die mensch­li­che Ar­beits­kraft durch Ma­schi­nen zu ersetzen. Hier sind die Pro­fis. Sie wusst­en ge­nau, dass das Set­ting un­realis­tisch ist. Und jetzt kommt das Glei­che wie bei der Kli­ma­ka­tas­tro­phe: Die Wis­sen­schaft klärt auf, an­de­re hal­ten sich (la­chend) die Ohren zu oder schrei­en ge­gen den Wind. Zum Bei­spiel diese fin­di­gen, win­di­gen Tech­nik­bu­den, die jetzt das Ge­gen­teil be­haup­ten. Sie ver­su­chen, drei un­ab­hän­gig von­ein­an­der ent­wi­ckel­te Sys­te­me hin­ter­ein­an­der­zu­schal­ten und es als "ein" Mo­dell zu ver­kau­fen. Wie ist es mög­lich, dass sie mit ih­rer rein tech­nisch qua­li­fi­zier­ten In­sel­mei­nung so weit in den Markt ein­drin­gen kön­nen, selbst beim Be­weis der ei­ge­nen Un­fä­hig­keit?

Ein Pra­xis­bei­spiel

Des­halb hat­te ich letz­te Woche hier um Er­leb­nis­be­rich­te dazu ge­be­ten. Aus dem ge­neig­ten Pu­bli­kum ka­men lei­der kei­ne Be­rich­te. Als das Te­le­fon ge­klin­gelt hat, war ei­ne Per­son in fes­ter An­stel­lung aus der Tech­nik dran. Aus ver­ständ­li­chen Grün­den steht sie nicht na­ment­lich als Zeu­gin zur Ver­fü­gung und schil­der­te ein sol­ches Set­ting so, dass bei ei­ner Kon­fe­renz für drei Spra­chen im Raum erst zwei, dann fünf IT-Fach­leu­te hin­zu­ge­zo­gen wur­den, weil es in der Kaf­fee­pau­se un­ter der Hand hef­ti­ge Kri­tik an der "Über­set­zung" gab. (Ty­pisch für sol­che Ver­an­stal­tun­gen, die Leu­te äu­ßern sich eher dis­kret.)

Es sei ei­ne zwei­tä­gi­ge Ver­an­stal­tung ge­we­sen. Schon am Nach­mit­tag des ers­ten Ta­ges sei im Saal Eng­lisch ge­spro­chen wor­den, auch von Leu­ten, die of­fen­sicht­lich ... nun ja. Fran­zö­si­sches Eng­lisch klingt eben an­ders. Der Ver­an­stal­ter der Kon­fe­renz sei trotz­dem nicht zu­rück­ge­ru­dert, er ha­be sich selbst in der Schluss­re­de für den ei­ge­nen Mut, neue tech­ni­sche We­ge zu ge­hen, auf die Schul­ter ge­klopft. Auch hier ha­be der diplo­ma­ti­sche Grund­ton ge­führ­te Kri­tik oder ein­deu­ti­gen Wi­der­spruch ver­un­mög­licht.

Die Per­son aus der Tech­nik hat mir dann be­rich­tet, dass bei ei­ner an­de­ren Ver­an­stal­tung im Vor­feld mehr IT-ler mit hin­zu­ge­zo­gen wor­den wä­ren, Leu­te, die ver­sucht hät­ten, das Set­ting zu op­ti­mie­ren, so­wie ei­ni­ge Prak­ti­kan­ten. Auch hier wur­den die Er­war­tun­gen nicht er­füllt. Un­ter dem Strich ha­be die High Tech-Va­ri­an­te deut­lich mehr ge­kos­tet, als Dol­met­scher die gan­ze Zeit zu be­schäf­ti­gen, zu­mal für ei­ne sel­te­ne Spra­che und ei­ne Pu­bli­kums­ver­an­stal­tung durch­aus Ka­bi­nen auf­ge­stellt wor­den wä­ren. Und die be­rich­ten­de Per­son ist ein Mann.

Das un­sicht­ba­re Prob­lem

Bahn­über­gang in Deutsch­land
Hier ver­steckt sich hin­ter dem ei­nen The­ma mög­li­cher­wei­se noch ein an­de­res, könn­te es ähn­lich sein wie mit den Zü­gen in Frank­reich.
Die Sprach­bran­che ist in Deutsch­land zum über­wie­gen­den Teil weib­lich, laut Ver­band BDÜ zu 80 Pro­zent (Quel­le hier, Stand Ju­li 2021). Der kur­ze Blick auf die IT-Welt: 2021 wa­ren in Deutsch­land gan­ze 19 Pro­zent der in der IT-Bran­che Be­schäf­tig­ten Frau­en (Quelle: www.brainformatik.com, die Da­ten sol­len aus EU-Statis­ti­ken stam­men, nicht über­prüft). 

Die Tech­nik­nut­zung mag man­chen Ent­schei­dern so­gar Ver­trau­en ein­zu­flößen. Liegt es nur an der Be­geis­te­rung für al­les Neue? Ist es nur ein Tech­nik­hype?

Oder sind boys networks für man­che männ­li­che Auf­trag­ge­ber schlicht die sym­pa­thi­sche­ren Teams? Wir­ken wir (über­wie­gend Frau­en) auf sie zu do­mi­nant, wenn wir vor dem Ter­min mit sanf­tem Nach­druck Vor­be­rei­tungs­ma­te­ri­al ein­for­dern? Oder hat das mit der gro­ßen Rol­le rück­wärts zu tun, die wir in den west­li­chen Ge­sell­schaf­ten der­zeit be­ob­ach­ten müs­sen, in man­chen Län­dern wird Ab­trei­bung ver­bo­ten, wäh­rend in den aso­zia­len Me­dien ir­gend­wel­che "In­flu­en­ze­rin­nen" als "trad wives" Ge­schlech­ter­ver­hält­nisse wie in den 1950-er Jah­ren zu fei­ern schei­nen. Sie se­hen mich rat­los. 

Was in der Welt des ge­schrie­be­nen Worts be­reits auf­fällt, ist die­ses Gut-ge­nug-Mo­ment. Man nut­ze die KI, weil de­ren Er­geb­nis­se "gut ge­nug" für die Be­dürf­nis­se sei­en, ist manch­mal zu hö­ren, wenn un­ser­ei­ner je­man­den auf grob ent­stel­len­de Feh­ler auf mehr­spra­chi­gen Web­sei­ten hin­weist. Es geht hier wohl­ge­merkt nicht um Pri­vat­sei­ten, son­dern um Fir­men­auf­trit­te.

Bit­te mehr Kon­text! Hier ist er!

Wich­tig ist hier ei­ne Klar­stel­lung. Durch die Zu­nah­me von Han­dels­be­zie­hun­gen und Tou­ris­mus wird je­des Jahr mehr Sprach­trans­fer ge­braucht. Na­tür­lich ha­ben wir Pro­fis nichts da­ge­gen, wenn je­mand ohne Dol­met­scher im Aus­land ei­ne Fe­ri­en­woh­nung bucht oder nach dem Weg fragt. Auch ein Teil der ein­deu­ti­gen, ein­fa­chen In­for­ma­tio­nen kön­nen un­ter den Au­gen von Men­schen, die sich aus­ken­nen und in­halt­li­che Un­stim­mig­kei­ten auf­spü­ren, von der KI über­tra­gen wer­den. Hier ist neu­er Be­darf ent­stan­den, da ist die KI ei­ne neue Lö­sung (für den bis­lang auch kein Bud­get ein­ge­plant war). Und ja, in der Pri­vat­nut­zung kön­nen die "Teile" bei kurzem, eindeutigem Info­aus­tausch und oh­ne je­den Zeit­druck, oh­ne Zwei­deu­tig­kei­ten und al­les, was die kom­ple­xe Re­de aus­macht, ei­ni­ger­ma­ßen bis or­dent­lich funk­tio­nie­ren. Vor al­lem aber dro­hen bei Feh­lern hier kei­ne mög­li­cher­wei­se schwer­wiegen­den Fol­gen. Dann steh­en Ber­lin­be­su­che:rin­nen eben in der Mau­er­stra­ße an­statt in der Ber­nau­er Stra­ße.

Im pro­fes­sio­nel­len Be­reich der in­ter­na­tio­na­len Kom­mu­ni­ka­ti­on aber ist die KI nur ein Werk­zeug für Pro­fis, zum Bei­spiel beim Er­stel­len und Ge­gen­le­sen von Wör­ter­lis­ten, un­se­ren Le­xi­ken. Es war nie ge­plant, uns zu er­set­zen. Und erst recht nicht, den Wert der mensch­li­chen Ar­beit zu ent­wer­ten.

Kurz­fas­sung: Der Aus­tausch mit ei­nem Tech­nik­an­bie­ter brach­te die be­un­ru­hi­gen­de Be­ob­ach­tung ans Licht, dass bei man­chen Kon­fe­ren­zen be­reits groß­zü­gig IT-Man­power ein­ge­setzt wird, hier wört­lich zu neh­men, über­wie­gend männ­lich, um die an­spruchs­vol­len Auf­ga­ben von uns Dol­met­sche­rin­nen, in der Mehr­zahl weib­lich, zu er­set­zen. Da­bei wer­den nicht ein­mal Mehr­kos­ten ge­scheut. Die KI-Sys­te­me sind da­für aber nicht ge­macht. Sie kön­nen zwar gut Vo­ka­bel­lis­ten er­stel­len, aber um Spra­chen, Fein­hei­ten, Emo­tio­nen, Wi­der­sprüch­lich­kei­ten von in­di­vi­du­ell vor­ge­tra­ge­nen In­hal­ten zu über­tra­gen, sind wir Men­schen un­er­setz­lich. 

Blei­ben Sie dran, kom­men­den Mitt­woch geht's mit dem The­ma hier wei­ter.

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Il­lus­tra­ti­on und Foto: C.E.

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