Unter dem Pflaster ... |
Das Gelände ist ein 1,3 Hektar großes Dreieck mit vielen Bäumen, dazwischen stehen sargähnliche Betonkästen, die mit Holz beplankt sind. Wir haben uns gefragt, ob es sich um Lüftungsschächte des Bahnhofs handelt, dessen unterirdische Ausläufer bis hierher reichen könnten, um ein Kunstwerk oder um Sitzbänke.
An der Breitseite des Geländes wurde an der breiten Böschung ein schmales Treppenband freigelegt, das zur Straße hinaufführt.
Zwischen den anderen Stufen wachsen Bäume. An vielen Stellen ist halbverwitteter Müll zu sehen, irgendwo schnarcht ein Obdachloser.
... liegt ein Tatort! |
In einem französischen Reiseführer lesen wir, ich übersetze mal schnell in Rohfassung: "1879 gingen die ersten Besucher diese Treppe hinunter auf ihrem Weg zum frisch eröffneten Messegelände "ULAP". Die erste Ausstellung war der Industrie gewidmet, die nächste der Hygiene, und bis Mitte der 20er Jahre folgten weitere", darunter jährliche Kunstausstellungen, und "1936, im Jahr der Olympischen Spiele, präsentierte sich hier die Deutsche Luftfahrtsammung Berlin mit dem größten Flugzeug der Welt ...". ULAP steht für Universum Landes-Ausstellungspark. Das Messegelände war einst 61.000 Quadratmeter groß, also ist weniger als ein Fünftel des einstigen Ausstellungsbereichs übrig.
Die frühere Größe wird überhaupt erst beim Nachlesen im Netz deutlich, nämlich der ganze Zwickel zwischen dem damaligen Lehrter Stadtbahnhof, kleiner als der Bahnhof heute, und dem Güterbahnhof im Norden, von der Bahnlinie durchschnitten. Von den zum Teil festen Gebäuden und Anlagen ist nicht mehr viel übrig. Irgendwo scheint sich ein großes Rund im Boden abzuzeichen.
Doch der Boden birgt auch andere Geheimnisse, und zwar dramatische! Immer wieder war das Gelände Schauplatz politischer Morde, von den Anfängen der Weimarer Republik bis Ende April 1945, als hier politische Häftlinge aus dem nahe gelegenen Gefängnis Moabit ermordet wurden. Die Ruinen der letzten massiven Gebäude des Messegeländes wurden kurz nach dem Bau der Berliner Mauer abgerissen, weil sie durch die Mauer plötzlich am Stadtrand lagen, unweit des Niemandslandes.
Die frühere Größe wird überhaupt erst beim Nachlesen im Netz deutlich, nämlich der ganze Zwickel zwischen dem damaligen Lehrter Stadtbahnhof, kleiner als der Bahnhof heute, und dem Güterbahnhof im Norden, von der Bahnlinie durchschnitten. Von den zum Teil festen Gebäuden und Anlagen ist nicht mehr viel übrig. Irgendwo scheint sich ein großes Rund im Boden abzuzeichen.
Doch der Boden birgt auch andere Geheimnisse, und zwar dramatische! Immer wieder war das Gelände Schauplatz politischer Morde, von den Anfängen der Weimarer Republik bis Ende April 1945, als hier politische Häftlinge aus dem nahe gelegenen Gefängnis Moabit ermordet wurden. Die Ruinen der letzten massiven Gebäude des Messegeländes wurden kurz nach dem Bau der Berliner Mauer abgerissen, weil sie durch die Mauer plötzlich am Stadtrand lagen, unweit des Niemandslandes.
Ausstellungshalle |
Dass das ULAP-Gelände zugewachsen ist, sei Absicht, lese ich später bei Wikipedia, die Kästen seien Bänke, die nachts von innen leuchten, ein Werk der "Rehwaldt Landschaftsarchitekten", hier entlang zum Zustand bei Übergabe. Die Anlage stammt von 2008 und bekam 2009 den Preis für Deutsche Landschaftsarchitektur. Inzwischen ist die Sichtachse zum Hauptbahnhof mit renditeoptimierter Wegwerfarchitektur verstellt.
Was hier fehlt: Beschilderung in mehreren Sprachen, informative Tafeln, gerne auch mit scannbaren Codes, die zu mehrsprachigen Audioquellen zum Ort führen, um die verschiedenen historischen Schichten zu erzählen, dazu ein wenig Pflege und vielleicht sogar eine Stele am Eingang als Kranzabwurfstelle mit Nachbarschaftseffekt. Denn direkt vis-à-vis habe ich wiederholt im Restaurant Paris-Moskau gedolmetscht oder direkt im Innenministerium; dass sich dort auf der anderen Straßenseite ein Mahnmal gegen Krieg und Faschismus befindet, war nicht zu erahnen. Und gemeinsames Gedenken mit ausländischen Gästen an Gewaltopfer passt doch meistens.
Aus dem Stadtplan von 1915 |
Wir sind dann noch ein wenig in der Gegend spazieren gewesen und wollten eigentlich zum Zollpackhof. Doch die Nachbarschaft war irritierend. Unter den Gleisen in Bahnhofsnähe: Vergessene Big-Bags und Bauteile hinter einem Zaun mit viel Staub darauf, als wäre dieser Verkehrsknotenpunkt eben erst der Öffentlichkeit übergeben worden. Dabei war das 2006, zur Fußball-WM. Und hinter dem Innenministerium ein Bauzaun ohne jegliche Beschilderung (was, wie lange, wohin stattdessen ...?), zum Ministerium hin der Sicherheitszaun mit rohen Brettern ergänzt.
Das einzige moderne Moment in der Zone waren viele Kameras. Auf mich wirkte das Ganze wie die Müllkippe neben dem Luxushotel, eine Szenerie, die ich in einigen weniger industrialisierten Ländern schon öfter gesehen habe. Ich musste schlucken.
Einer der April 1945 auf dem ULAP-Gelände Ermordeten war der Geograph Albrecht Haushofer. In seiner Jackentasche wurden später Verse seiner "Moabiter Sonette" gefunden, für mich eine Entdeckung. Zitat aus dem Sonett "Schuld": "Ich kannte früh des Jammers ganze Bahn.| Ich hab gewarnt — nicht hart genug und klar! | Und heute weiß ich, was ich schuldig war."
Zum Weiterlesen:
Einer der April 1945 auf dem ULAP-Gelände Ermordeten war der Geograph Albrecht Haushofer. In seiner Jackentasche wurden später Verse seiner "Moabiter Sonette" gefunden, für mich eine Entdeckung. Zitat aus dem Sonett "Schuld": "Ich kannte früh des Jammers ganze Bahn.| Ich hab gewarnt — nicht hart genug und klar! | Und heute weiß ich, was ich schuldig war."
Zum Weiterlesen:
— 1895 Berlin, Landesausstellungs-Palast am Lehrter Bahnhof, sammlung-online.stadtmuseum.de
— Richters Reiseführer. Berlin und Umgebung. Hamburg 1915, über Wikipedia
— Die Neubauplanung für die Nachbarschaft löst Kontroversen aus: www.moabitonline.de
— Berlin insolite et secret, Stadtführer, auf FR, www.jonglezpublishing.com
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Fotos: C.E. und die genannten Quellen
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