Dienstag, 13. August 2024

Clash of Cultures

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hin­ein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­set­zen und Kul­tu­ren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Spra­ch­mit­t­le­rin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Mar­burg und dort, wo ich ge­braucht wer­de. Heu­te wie­der ein Bei­spiel da­für, dass die KI uns Spra­ch­ar­bei­ter nicht er­set­zen kann.

Der äl­te­re Glatz­kopf mit dem mar­kan­ten Bart steht am of­fe­nen Grab und ringt mit den Wor­ten. Ihm wird schumm­rig, er schwankt leicht, als wür­de sich der Bo­den un­ter sei­nen Fü­ßen be­we­gen. Von links und von rechts grei­fen Ar­me nach ihm, stüt­zen den Mann, als er zur Grab­re­de an­hebt, die vol­ler Sprich­wör­ter, idio­ma­tisch­er Re­de­wen­dun­gen und Wort­spie­le ist. Für uns Spra­ch­ar­bei­ter ist so ein Film­an­fang eine He­raus­for­de­rung.

Wir ar­bei­ten im Vier-Au­gen-Prin­zip, Über­set­ze­rin und Kor­rek­to­rin. Auch in der Ka­bi­ne sind wir auch im­mer dop­pelt vor­han­den. In einem fran­zö­sisch­en Dreh­buch, ich ha­be das Kor­rek­to­rat über­nom­men, dreht sich al­les (oder die Hälf­te) um die­sen äl­te­ren Herrn, Typ fi­de­ler Opa aus der Nach­bar­schaft, nein, Gé­rard De­par­dieu soll ihn nicht spielen. 

Der äl­te­re Herr im Stil von Ma­tis­se
Die Be­set­zungs­lis­te steht aber noch nicht fest. Der gu­te Mann kämpft in einer sehr klei­nen, bil­der­buch­schö­nen Pro­vinz­ge­mein­de ge­gen die Wind­müh­len der Re­gi­onal­ver­wal­tung und die Vor­ga­ben der Haupt­stadt an.

Es ist Mon­sieur le maire, der Bür­ger­meis­ter, der ne­ben einem klei­nen Stadt­rat im­mer­hin noch über eine Halb­tags­sek­re­tä­rin und einen Halb­tags­sach­be­ar­bei­ter ver­fügt, der aber ei­gent­lich schon in Ren­te ist, da­zu eine Stadt­bau­amts­frau, al­ler­dings nur eh­ren­hal­ber, die Da­me geht fast in der Pfle­ge eines An­ge­hö­ri­gen auf und kommt stun­den­wei­se.

Er­war­tet wird der ju­gend­li­che Chauf­feur, das ist die zwei­te Haupt­fi­gur, der hier nach einer Straf­tat sein Be­wäh­rungs­jahr ab­leis­ten muss. Dem klei­nen Win­zer­ort droht die Ein­ge­mein­dung in die Nach­bar­kom­mu­ne, die be­reits andere Orts­schaf­ten ver­schluckt hat. Nun steht ein wei­te­rer Kampf an. Der Film be­ginnt am ers­ten Tag mit der An­kunft des jun­gen Chauf­feurs, den der Gla­mour­faktor der Paris­nähe be­glei­tet.

In der Ge­mein­de ist al­les in Sorge, denn sie schrumpft seit Jah­ren. Der Neu­zu­gang war nötig, um die Min­dest­größe der Orts­schaft zu er­hal­ten. Und dann gab es den Hin­ter­gedanken, durch soziales En­ga­ge­ment Punkte bei jenen in der Ent­schei­dungs­hier­archie die Un­ab­hän­gig­keit des Wein­bau­dorfes mit ver­tei­di­gen könnten.

Sie ah­nen es: Hier läuft al­les auf ei­nen Clash of Cul­tures hin­aus, Spieß­bür­ger­pro­vinz ver­sus Pa­ri­ser Vor­ort, alt ver­sus jung, weiß ver­sus beur, al­so nord­afri­ka­stäm­mig, vor dem Hin­ter­grund der im­mer wich­ti­ger wer­den­den Zen­tral­ver­wal­tung, die viel­leicht nicht im­mer so ge­nau weiß, was an der Ba­sis los ist. Es ist ein span­nen­des, nicht zu­fäl­lig auch leicht kaf­ka­es­kes Pro­jekt, das auch als Al­le­go­rie auf Eu­ro­pa ge­le­sen wer­den kann. (Die De­tails, die ich hier preis­ge­be, sind von der fran­zö­si­schen Pro­duk­ti­ons­fir­ma au­to­ri­siert.)

Ort und Rat­haus wer­den so ein­ge­führt: Be­er­di­gung ei­ner hun­dert­jäh­ri­gen Ein­woh­ne­rin, siehe oben, der Pfar­rer lässt sich we­gen Al­ters­ge­bre­chen ent­schul­di­gen, der Bür­ger­meis­ter springt ein und im­pro­vi­siert ei­ne Grab­re­de, sein Ne­ben­satz "dass al­les so schnell ging" klingt über­ra­schend an­ge­sichts des ho­hen Al­ters der Da­me, der Che­fin des größ­ten Wein­bau­ern­hofs. Hier wird der Grund­ton eta­bliert, die Dop­pel­deu­tig­keit, denn im Grun­de äu­ßer­te der Bür­ger­meis­ter nur sei­ne Über­ra­schung, dass die für sei­ne Ge­mein­de fa­ta­le Zah­len­schwel­le so schnell er­reicht sein wür­de.

Der äl­tes­te Sohn der Ver­stor­be­nen lebt in Pa­ris. Nach dem Leich­en­schmaus über­reicht ihm der Bür­ger­meis­ter per­sön­lich die Ster­be­ur­kun­de auf dem Rat­haus, das zu groß ist für die we­ni­gen Ver­blie­ben­den.

Wie es ihm hier so ge­he, fragt der Sohn, ein frü­he­rer Mit­schü­ler von Mon­sieur le maire. Da­rauf der Bür­ger­meis­ter, des­sen Frau aus Süd­frank­reich stammt: On fait al­ler. Der Satz ist so­was wie ein "läuft", aber mit ei­nem pes­si­mis­ti­schen Grund­ton, au­ßer­dem ist ein My Ak­ti­vis­mus drin, on fait kommt von faire, ma­chen, al­so wört­lich: "man macht, dass es geht". Der Kopf rat­tert und ich las­se ihn frei lau­fen, be­vor ich mir die Über­set­zung an­se­he. Ich ste­cke das Wort­feld ab: könn­te bes­ser sein; geht so; man lebt vor sich hin; man tut, was man kann; keep go­ing; könn­te schlech­ter sein; wat mut, dat mut. Hier mischt sich Dia­lekt mit ei­nem eng­lisch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur­zi­tat, aber nichts ge­fällt mir.

Die Kol­le­gin (bzw. of­fen­bar DeepL) hat den Satz als "Wir ma­chen's mög­lich" über­tra­gen. Be­frie­digt mich nicht. Dann su­che ich on­line. Kei­nes der di­gi­ta­len Wör­ter­bü­cher hat ei­ne über­zeu­gen­de Lö­sung an­zu­bie­ten. Google trans­late wirft ein "wir ma­chen uns auf den Weg" aus.

Spä­ter, beim Staub­sau­gen, die Ein­ge­bung: "Für mich reicht's noch!" Den Spruch ha­be ich letzt­ens in ei­ner Fern­seh­re­dak­ti­on ge­hört, ich ha­be ihn aber auch schon in von Men­schen ver­nom­men, die die eigene Ein­kom­mens­quelle wegen der KI als "aus­ster­ben­den Be­ru­fen" be­zeich­nen. Den Satz neh­me ich, auch wenn das Ak­ti­ve da­ran fehlt.

Au­ßer­dem fehlt das "Wir", das bei on fait al­ler mit­schwingt. In Frank­reich spre­chen vie­le Men­schen von sich in die­ser gram­ma­ti­schen Form (ü­bri­gens ei­ne Pa­ral­le­le zu DDR-Deutsch). Man schlägt sich so durch, wä­re auch ei­ne Lö­sung, al­ler­dings zu lang für ei­ne deutsch-fran­zö­si­sche Ko­pro­duk­ti­on, die in ei­ne Syn­chro­ni­sa­ti­on mün­det (da sind Silben­über­hänger immer ein Problem, wenn das Mund­bild gut zu se­hen ist).

Ré­su­mé: Hier le­sen Sie et­was über die Kom­ple­xi­tät li­te­ra­ri­scher Über­set­zung, zu der ei­ne Dreh­buch­über­set­zung zählt, so­wie zu den Gren­zen der KI, die sol­che Lö­sun­gen nicht ein­fach so fin­den kann, da sie nur aus Bits and Bytes be­steht, Strom an / Strom aus, kal­ter Tech­nik. Krea­ti­ve Tex­te, von Men­schen ge­schrie­ben, müs­sen eben­falls von "ho­mo­i­other­men Tie­ren" über­tra­gen wer­den, von gleich­war­men Le­be­we­sen mit Er­fah­run­gen, Ge­füh­len und sub­jek­ti­vem Ge­dächt­nis.

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Il­lus­tra­tion: Dal­l:e

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