Der ältere Glatzkopf mit dem markanten Bart steht am offenen Grab und ringt mit den Worten. Ihm wird schummrig, er schwankt leicht, als würde sich der Boden unter seinen Füßen bewegen. Von links und von rechts greifen Arme nach ihm, stützen den Mann, als er zur Grabrede anhebt, die voller Sprichwörter, idiomatischer Redewendungen und Wortspiele ist. Für uns Spracharbeiter ist so ein Filmanfang eine Herausforderung.
Wir arbeiten im Vier-Augen-Prinzip, Übersetzerin und Korrektorin. Auch in der Kabine sind wir auch immer doppelt vorhanden. In einem französischen Drehbuch, ich habe das Korrektorat übernommen, dreht sich alles (oder die Hälfte) um diesen älteren Herrn, Typ fideler Opa aus der Nachbarschaft, nein, Gérard Depardieu soll ihn nicht spielen.
Der ältere Herr im Stil von Matisse |
Es ist Monsieur le maire, der Bürgermeister, der neben einem kleinen Stadtrat immerhin noch über eine Halbtagssekretärin und einen Halbtagssachbearbeiter verfügt, der aber eigentlich schon in Rente ist, dazu eine Stadtbauamtsfrau, allerdings nur ehrenhalber, die Dame geht fast in der Pflege eines Angehörigen auf und kommt stundenweise.
Erwartet wird der jugendliche Chauffeur, das ist die zweite Hauptfigur, der hier nach einer Straftat sein Bewährungsjahr ableisten muss. Dem kleinen Winzerort droht die Eingemeindung in die Nachbarkommune, die bereits andere Ortsschaften verschluckt hat. Nun steht ein weiterer Kampf an. Der Film beginnt am ersten Tag mit der Ankunft des jungen Chauffeurs, den der Glamourfaktor der Parisnähe begleitet.
In der Gemeinde ist alles in Sorge, denn sie schrumpft seit Jahren. Der Neuzugang war nötig, um die Mindestgröße der Ortsschaft zu erhalten. Und dann gab es den Hintergedanken, durch soziales Engagement Punkte bei jenen in der Entscheidungshierarchie die Unabhängigkeit des Weinbaudorfes mit verteidigen könnten.
Ort und Rathaus werden so eingeführt: Beerdigung einer hundertjährigen Einwohnerin, siehe oben, der Pfarrer lässt sich wegen Altersgebrechen entschuldigen, der Bürgermeister springt ein und improvisiert eine Grabrede, sein Nebensatz "dass alles so schnell ging" klingt überraschend angesichts des hohen Alters der Dame, der Chefin des größten Weinbauernhofs. Hier wird der Grundton etabliert, die Doppeldeutigkeit, denn im Grunde äußerte der Bürgermeister nur seine Überraschung, dass die für seine Gemeinde fatale Zahlenschwelle so schnell erreicht sein würde.
Der älteste Sohn der Verstorbenen lebt in Paris. Nach dem Leichenschmaus überreicht ihm der Bürgermeister persönlich die Sterbeurkunde auf dem Rathaus, das zu groß ist für die wenigen Verbliebenden.
Wie es ihm hier so gehe, fragt der Sohn, ein früherer Mitschüler von Monsieur le maire. Darauf der Bürgermeister, dessen Frau aus Südfrankreich stammt: On fait aller. Der Satz ist sowas wie ein "läuft", aber mit einem pessimistischen Grundton, außerdem ist ein My Aktivismus drin, on fait kommt von faire, machen, also wörtlich: "man macht, dass es geht". Der Kopf rattert und ich lasse ihn frei laufen, bevor ich mir die Übersetzung ansehe. Ich stecke das Wortfeld ab: könnte besser sein; geht so; man lebt vor sich hin; man tut, was man kann; keep going; könnte schlechter sein; wat mut, dat mut. Hier mischt sich Dialekt mit einem englischsprachigen Literaturzitat, aber nichts gefällt mir.
Die Kollegin (bzw. offenbar DeepL) hat den Satz als "Wir machen's möglich" übertragen. Befriedigt mich nicht. Dann suche ich online. Keines der digitalen Wörterbücher hat eine überzeugende Lösung anzubieten. Google translate wirft ein "wir machen uns auf den Weg" aus.
Später, beim Staubsaugen, die Eingebung: "Für mich reicht's noch!" Den Spruch habe ich letztens in einer Fernsehredaktion gehört, ich habe ihn aber auch schon in von Menschen vernommen, die die eigene Einkommensquelle wegen der KI als "aussterbenden Berufen" bezeichnen. Den Satz nehme ich, auch wenn das Aktive daran fehlt.
Außerdem fehlt das "Wir", das bei on fait aller mitschwingt. In Frankreich sprechen viele Menschen von sich in dieser grammatischen Form (übrigens eine Parallele zu DDR-Deutsch). Man schlägt sich so durch, wäre auch eine Lösung, allerdings zu lang für eine deutsch-französische Koproduktion, die in eine Synchronisation mündet (da sind Silbenüberhänger immer ein Problem, wenn das Mundbild gut zu sehen ist).
Résumé: Hier lesen Sie etwas über die Komplexität literarischer Übersetzung, zu der eine Drehbuchübersetzung zählt, sowie zu den Grenzen der KI, die solche Lösungen nicht einfach so finden kann, da sie nur aus Bits and Bytes besteht, Strom an / Strom aus, kalter Technik. Kreative Texte, von Menschen geschrieben, müssen ebenfalls von "homoiothermen Tieren" übertragen werden, von gleichwarmen Lebewesen mit Erfahrungen, Gefühlen und subjektivem Gedächtnis.
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Illustration: Dall:e
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