Sonntag, 23. Juni 2024

Fine Dining

Bon­jour und will­kom­men! Hier bloggt eine Sprach­arbei­terin. Fran­zösisch in Ber­lin, Deutsch in Frank­reich, so geht mit meiner Sprachkombi meine Definition für Dol­metscher los. Als Dol­met­scher­in muss ich da­bei die Gäs­te im­mer so ver­to­nen, als wür­den sie selbst in der Ziel­spra­che spre­chen. Man­ches Ar­beits­es­sen in Re­stau­rant­hin­ter­zim­mern ge­hört da­zu. Gut, dass ich ge­wis­se Co­des schon im El­tern­haus mit­be­kom­men ha­be. Heu­te ei­ne neue Epi­so­de zum The­ma "Ler­nen".

Gleich kom­men sie!
Oma und Tan­te hat­ten die Fräu­leins zu Gast. Auf dem Tisch lag ein Stoff­tisch­tuch, in der Kü­che war ein Vier-Gang-Me­nü ent­stan­den.
We­der die Tisch­decke noch die Stoff­ser­vi­et­ten in den Sil­ber­rin­gen wa­ren ge­büg­elt. Da­für kam spä­ter noch ein klei­ner, ver­schwitz­ter Wie­sen­blu­men­strauß (Mit­bring­sel) auf die Ta­fel. (Es ist der hier erwäh­nte eng­li­sche Gate­leg Table).


Die La­dies sind im Kin­der­gar­ten­al­ter. Fine Di­ning für ei­ne Zwei­einh­alb- und ei­ne Fünf­jäh­ri­ge? Ha­ben Mémé Hélène und Ta­ta La­li­ne noch al­le Por­zel­lan­täss­chen im Buf­fet?

Ha­ben sie. Fine Di­ning gilt als au­ßer­ge­wöhn­li­ches Er­leb­nis, ein be­son­de­res Am­bi­en­te, ex­klu­si­ve Spei­sen und her­vor­ra­gen­den Ser­vice, so fin­de ich es im In­ter­net be­schrie­ben, Zi­tat: "Der Gast darf sich auf ei­ne in­di­vi­du­el­le Me­nü­fol­ge und Ge­trän­ke freu­en, die op­ti­mal auf­e­i­nan­der ab­ge­stimmt sind und schon bei der Prä­sen­ta­ti­on für Be­wun­de­rung sor­gen."

So war es denn auch. Die Mäd­chen, die manch­mal ab­ends, wenn sie zu­hau­se es­sen, ei­nen "lau­ten Kra­ke­el an­stim­men", so hät­te es ihr Opa ge­sagt, wir hö­ren sie von Kü­chen­bal­kon zu Kü­chen­bal­kon, ent­pupp­ten sich als jun­ge Da­men. Vor­füh­ref­fekt! Sie wa­ren das, was frü­her wohl "ge­sit­tet" ge­nannt wor­den wä­re, au­ßer­dem sehr auf­merk­sam, was die Spei­sen an­ging. Die Gro­ße hat nach dem Re­zept der Sa­lat­so­ße ge­fragt, denn wir ko­chen mit­un­ter ge­mein­sam (Lein­öl, Him­beer­es­sig und Fei­gen­senf, frisch ge­hack­te Kräu­ter und Gar­ten­ge­mü­se­salz (*)).

Das Fräu­lein war­tet und hört zu
Los geht's mit dem Apé­ri­tif und Ge­mü­se­stics mit Dip. Die Klei­ne möch­te dann kei­nen grü­nen Sa­lat ha­ben. Sie fragt so­gle­ich nach dem Haupt­gang. Dar­auf ich: "Wenn du kei­nen Sa­lat es­sen möch­test, dann über­springst du die­sen Gang ein­fach. War­te bit­te kurz auf uns, wir es­sen dann al­le ge­mein­sam den Haupt­gang." Und sie legt selbst Mes­ser und Ga­bel quer über den Tel­ler und war­tet ruhig.

Wir sit­zen un­ter den Ah­nen­bil­dern aus dem Bie­der­meier und be­trei­ben Tisch­kon­ver­sa­tion, klei­ne lus­tige Kin­der­gar­ten­anek­do­ten. Es ist lus­tig.

Spä­ter zer­drückt die Gro­ße ih­re Erd­äpf­el mit der Ga­bel. Ich lo­be sie da­für. Sie fragt nach dem Grund, we­shalb Kar­tof­feln nicht mit dem Mes­ser ge­schnit­ten wer­den sol­len. Frü­her ist das Be­steck beim Kon­takt mit Stär­ke, Säu­re oder Ei­weiß an­ge­lau­fen, so ent­stand die­se Be­nimm­re­gel, die heu­te of­fi­zi­ell nicht mehr gilt, de­ren Kennt­nis aber zu den 'ge­hei­men Co­des' zählt. Was für Kar­tof­feln gilt, gilt üb­ri­gens auch für Klö­ße.

Und ich er­zäh­le, na­tür­lich stark ver­ein­facht, den Mäd­chen die Ge­schich­te, als ei­ner ih­rer Ur­groß­on­kel vor lan­ger, lan­ger Zeit mal, es war im Krieg, zu Hei­lig­abend im Aus­land als ein­zi­ger Gast im Of­fi­ziers­ca­si­no saß, das ei­gent­lich ein sehr gu­tes Ho­tel war, und Gän­se­bra­ten mit Klö­ßen aß. Mein Va­ter hat die Sze­ne be­schrie­ben: "Da trat der Di­rek­tor des Eta­blis­se­ments an sei­nen Tisch und sag­te: Ich ha­be Sie be­ob­ach­tet. Sie sind der ein­zi­ge der Her­ren, die hier es­sen, der den Kloß reißt und nicht schnei­det. Ge­stat­ten Sie, dass ich Ih­nen ei­ne gu­te Fla­sche auf Kos­ten des Hau­ses ser­vie­ren las­se?"

Ein­schub und note to self zum The­ma Auf­stiegs­chan­cen von Kin­dern der Mi­gra­tion: Ei­gent­lich müss­ten wir die Codes, das gan­ze Im­pli­zi­te, das Men­schen aus der so­genannten "bes­seren Ge­sellschaft" von Kin­des­bei­nen an mit­be­kom­men, in den Pro­jekt­wo­chen vor den Sommer­ferien an Mit­tel­schu­len ver­mit­teln. Den Pro­jekt­wo­chen­kurs "Ler­nen ler­nen", den die ol­le Pan­de­mie un­ter­bro­chen hat, wer­de ich nach mei­nen Pfle­ge­jah­ren auch wie­der an­bieten. Da ha­ben wir wei­ter­ge­geben, was Kin­der in Bil­dungs­haus­halten an Ar­beits­me­tho­den und -tricks am Abend­brot­tisch ne­ben­bei ler­nen. Ein­schu­bende.

Für die größ­te "Be­wun­de­rung bei der Prä­sen­ta­ti­on" der Spei­sen hat übri­gens das Des­s­ert ge­sorgt. Es gab Erd­bee­ren mit Ahorn­sirup. Als Tan­te weiß ich, was mit Ju­bel be­grüßt wird.

Der vier­te Gang war eine statt­liche Kä­se­plat­te wie in ei­nem fran­zö­si­schen Fünf-­Sterne-­Re­stau­rant. Al­les wur­de pro­biert, und was für gut be­fun­den wurde, ha­ben wir ver­sucht, in Wor­ten zu be­schrei­ben. Statt "Das schmeckt mir nicht!" zu sa­gen, habe ich die jun­gen Da­men ge­be­ten, "Das schmeckt mir noch nicht!" zu sa­gen. Das klei­ne Wört­chen macht den gro­ßen Un­ter­schie­d.

Der fünfte Gang be­stand aus Bil­der­buch­vor­le­sen. Das Fern­seh­ge­rät ken­nen sie, wird aber sel­tenst ge­nutzt. (Das Sand­männ­chen kann uns mal ... ge­stoh­len blei­ben.)

Na­tür­lich ha­ben sich die Fräu­leins zwi­schen­durch auch wie ei­ne Zwei­ein­halb- und ei­ne Fünf­jäh­rige ver­hal­ten. "Da­neben­be­ne­hmen" (aus Oma­sicht) darf ger­ne wört­lich ge­nom­men wer­den. Die Klei­ne hatte noch ihr "Schlab­ber­lätz­chen" mit Auf­fang­scha­le da­bei. Un­fall­spu­ren auf Tisch­de­cke und Ser­vie­tten wur­den spä­ter mit Fle­ckent­fer­ner (Fir­ma Frosch, einiger­maßen um­welt­freund­lich) be­ar­bei­tet und nach län­gerem Ein­wei­chen ge­wa­schen.

Die jun­gen Da­men möch­ten bald wie­der bei Oma spei­sen. Vor­her be­sor­ge ich uns ein Bü­ge­leisen.

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Fotos:
C.E.
(*): "Adios Salz" aus dem Bio­la­den

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