Wie Übersetzerinnen und Übersetzer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten, beschreibe ich hier im 19. Jahr. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch (Muttersprache), Französisch und Englisch; meine Bürokollegin arbeitet als Übersetzerin, also schriftlich, mit Englisch als Zielsprache. Heute: KI-Mittwoch.
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Mensch oder Maschine? |
„Künstliche Intelligenz“: Das Wort hat einst ein Informatiker erfunden, um Venture Capital anzulocken. Intelligence wird hier im Sinn von Informationssammlung und Datenbank verstanden.
Darauf zu warten, dass die KI künftig ein „Bewusstsein“ erlangt, ist der schiere Animismus. Ohne Nerven, Organe, Krankheitsanfälligkeit, Familie und Liebste sowie ohne Sterblichkeit wird die KI niemals ein menschenähnliches Bewusstsein erlangen.
Die KI simuliert Kommunikation mit Bausteinen, Floskeln und Stehsatz. Ihr Auswurf ist der statistisch wahrscheinlichste Durchschnitt. Exakt darum geht es in meinem Berufskontext nicht — Konferenzen, Drehbücher, Preisreden, Gedenkveranstaltungen, innovative Texte, Nachrufe, Verhandlungen sind Ausnahmen, keine Durchschnittsfälle.
Ironie, Sarkasmus, Wortspiele, kulturelle Anspielungen und soziokulturelles Hinterland bleiben der Maschine verborgen. Sie erkennt keine Intonation, sieht nichts zwischen den Zeilen, hört keine „Untertöne“. Unvollständige Sätze ergänzt das System eigenmächtig, halluziniert, erfindet Informationen, vermischt sie mit Gesagtem oder behauptet das Gegenteil.
Kommunikation ist mehr als Wörter: Vorträge und Debatten, Publikumsrückfragen, angeregte bis hitzige Gespräche, spontane Programmabweichungen überfordern die KI. Sie ignoriert Kontext, Körpersprache, Sprechabsichten und Verhandlungsstrategien.
Pointierte Untertitel der KI anzuvertrauen ist ebenso riskant wie kreative Texte. Fingerspitzengefühl kann nur jemand haben, der/die Fingerspitzen und Gefühle hat. Sinnvolles Kürzen setzt Wissen voraus, das Gestrichene muss leise mitschwingen. Das Tempo und der Zuschnitt der Titel hängen von der jeweiligen Dichte der Sprache ab sowie von den Lesegewohnheiten der Zielgruppe.
Schlechte Tontechnik, leise, dialektale Stimmen — was falsch transkribiert wird, wird falsch von Text-to-Speech vertont. Auch Sprechfehler überfordern die KI. (Inklusion?)
Die Qualität des KI-Auswurfs hängt vom Input ab. Englisch ist die Muttersprache von 18,2 Prozent der Weltbevölkerung, aber 49 Prozent der Webseiten im Netz sind Anfang 2025 auf Englisch. Für kleine Sprachen gibt es kaum Trainingsmaterial. Eine dominierende Sprache in der Hand einer dominierenden Person, siehe Trumps Verbotsliste vom 8.3.25, darunter auch Begriffe wie „Frauen“ und „stillen“, führen zu Verzerrungen. Die KI hat in den USA neulich eine Seite über Transplantationsmedizin abgeschaltet, geht halt mit Trans… los.
Strukturschwaches Land? Netzausfall? Keine KI! Das wird strukturelle Ungleichheit verstärken.
Bei "Dolmetschtests" hat die KI oft pausiert, dann Inhalt in der fünffachen Sprechgeschwindigkeit „abgespult“. Profis würden intervenieren, wenn etwas unklar ist, und wir sprechen auch nicht sooo schnell.
Bei Texten sind wir Spracharbeiter:innen die ersten, die etwas kritisch gegenlesen, Fehler finden und zurückmelden.
Neben der erwähnten Begriffszensur sind KI-Systeme auch für Angriffe von außen anfällig. Strategien, Filmkonzepte, Patente etc. schützen menschliche Kommunikation, die weiß, wie sie ungebetene Zuhörer vermeidet.
Die KI ist ein Tool. Angehende Mediziner:innen wird aktuell nicht vom Studium abgeraten, anders als Linguist:innen.
Fachkräftemangel ist programmiert.
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Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)
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