Daran durften wir dann selbst weiterdenken.
Gemälde von Eduard Hau (1860) |
Bulimisches Pauken, reinfressen, rauskotzen, reicht da meistens nicht; wir lernen prüfungsresistent, also unter Druck reproduzierbare Inhalte.
Wir Dolmetscher:innen sind Lernjunkies. Etwas nicht zu wissen, ist Ansporn fürs Lernen. Manches fällt uns aber auch zu. Das Glück der Geburt hilft da weiter.
Beim Einsatz neulich rollte die Kollegin mit den Augen, denn jemand sprach plötzlich von "Petersburger Hängung". Es ging eigentlich gar nicht um Kunst, sondern um klimaresistentes Bauen und um einen Technikraum, in dem alles eng auf eng steht bzw. teilweise hängt. Die erfahrene Dolmetscherin würde sowas erstmal überspringen, denn der Sinn war durch das projizierte Foto klar: kaum Luft dazwischen, und alles passt rein. Nun hat das Publikum nachgefragt und es war doch plötzlich ein selten verwendeter Begriff aus Kunstgeschichte oder Innenarchitektur nötig.
Hier war ich im Team die Ältere und hatte damit schon zu tun. Ich habe also bei meinem Schaltpult auf "On" gedrückt und weitergemacht. Der Begriff bezeichnet Kunstwerke in extrem dichter Hängung, auf Französisch accrochage pétersbourgeois oder à la Saint-Pétersbourg oder style salon. Wer Kunst liebt, gerne sammelt und nicht auswählen mag, hängt die Werke eng auf eng. (Oder, wer, wie einst der Adel, aus einem Geltungsdrang heraus handelt.)
Wir Dolmetscher:innen sind Lernjunkies. Etwas nicht zu wissen, ist Ansporn fürs Lernen. Manches fällt uns aber auch zu. Das Glück der Geburt hilft da weiter.
Beim Einsatz neulich rollte die Kollegin mit den Augen, denn jemand sprach plötzlich von "Petersburger Hängung". Es ging eigentlich gar nicht um Kunst, sondern um klimaresistentes Bauen und um einen Technikraum, in dem alles eng auf eng steht bzw. teilweise hängt. Die erfahrene Dolmetscherin würde sowas erstmal überspringen, denn der Sinn war durch das projizierte Foto klar: kaum Luft dazwischen, und alles passt rein. Nun hat das Publikum nachgefragt und es war doch plötzlich ein selten verwendeter Begriff aus Kunstgeschichte oder Innenarchitektur nötig.
Hier war ich im Team die Ältere und hatte damit schon zu tun. Ich habe also bei meinem Schaltpult auf "On" gedrückt und weitergemacht. Der Begriff bezeichnet Kunstwerke in extrem dichter Hängung, auf Französisch accrochage pétersbourgeois oder à la Saint-Pétersbourg oder style salon. Wer Kunst liebt, gerne sammelt und nicht auswählen mag, hängt die Werke eng auf eng. (Oder, wer, wie einst der Adel, aus einem Geltungsdrang heraus handelt.)
Der Terminus geht auf die dichte Hängung, ober-, über- und nebeneinander in der Eremitage in Sankt Petersburg zurück, siehe oben. In der Doktorarbeit meines Vaters kam die als anhaltinische Prinzessin geborene russische Kaiserin Katharina die Große vor, der Gründerin dieser Eremitage.
Die nächsten Zeilen sollen keine Oberschlaumeierei sein, ich kann wirklich nichts dafür. Ich hab im Museum laufen gelernt, unter den Augen eines kunsthistorischen Seminars, und bin später in meinem Leben noch öfter Menschen begegnet, die davon berichtet haben (o-ber-pein-lich, sag ich da nur, o-ber-pein-lich).
Die nächsten Zeilen sollen keine Oberschlaumeierei sein, ich kann wirklich nichts dafür. Ich hab im Museum laufen gelernt, unter den Augen eines kunsthistorischen Seminars, und bin später in meinem Leben noch öfter Menschen begegnet, die davon berichtet haben (o-ber-pein-lich, sag ich da nur, o-ber-pein-lich).
Auf jeden Fall haben wir, als die Eltern noch studiert haben, in einer sehr kleinen Hinterhauswohnung am Hang unterhalb des Marburger Schlosses gelebt und es gab wenig Platz, dafür umso mehr Bilder. Sie ahnen es, an den Wänden hing alles recht eng. Irgendwann meinte mal ein Besuchsgast: "Ihr habt aber viele Bilder!" Darauf Fräulein Naseweis, also ich, in anderen Worten "noch ein Dreikäsehoch" und gerade imstande, in korrekten Sätzen zu sprechen: "Das ist die Petersburger Hängung".
Noch so 'ne Episode, die mir früher oft aufs Brot geschmiert wurde, lange zu meinem Unmut. (Heute würde ich das gerne öfter hören, aber die Generation dünnt sich aus.)
Und hier noch rasch eine Parallele zur "Neuköllner Möblierung": Alles, was vier Beine hat und sich nicht von selbst bewegt, landet als Stuhl, Tisch, Buffet oder Bücherregal in den Kneipen und Cafés des Berliner Bezirks Neukölln, einst ein Arbeiterbezirk, dann ein Arbeitslosenbezirk mit Besserverdienerinseln, jetzt ein Bezirk mit Turbogentrifizierung und hier und da sogar Luxuswohnungen, die 30 Euro den Quadratmeter kosten.
Dieses Ameublemang darf auch als Protest auf den Minimalismus des beginnenden 21. Jahrhunderts und die aus dem Mangel entstandene Schlichtheit der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts gelesen werden, die industrielle, nüchterne, funktionale Fertigung und Ausstattung von Gebäuden und Innenräumen, die oft den Charme eines Bahnhofswartesaals verströmen.
Dieses Ameublemang darf auch als Protest auf den Minimalismus des beginnenden 21. Jahrhunderts und die aus dem Mangel entstandene Schlichtheit der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts gelesen werden, die industrielle, nüchterne, funktionale Fertigung und Ausstattung von Gebäuden und Innenräumen, die oft den Charme eines Bahnhofswartesaals verströmen.
"Von was bitteschön?", höre ich ein Echo hämisch lachen. Schon klar, in der Totalkommerzialisierung aller Lebensbereiche, auch Neoliberalismus genannt, gibt es keine Bahnhofswartesäle mehr!
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Illustration: Die erwähnte Eremitage / Wikimedia
Illustration: Die erwähnte Eremitage / Wikimedia
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