Dienstag, 18. Februar 2020

Der Mümmler

Hier bloggt eine Konferenzdolmetscherin. Heute geht es weiter in der wenig attraktiven Beschreibung anstrengender Kunden. Da hier niemand nie über Abwesende schlecht spricht, ist unser Kunde natürlich frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Aber bei Konferenzen gibt es leider nichts, was es nicht gibt.

„Was braucht sie noch zum Dolmetschen?“, fragt der Redner den Veranstalter in der Kaffeepause und nickt in meine Rich­tung, während ich unübersehbar daneben stehe. Die Kollegin ist gerade mit dem Konferenz­tech­ni­ker im Gespräch.

Hohe Kalauerologie: Stachbubenlasatsuniverum
Am Mittag waren wir beide bereits mit konsekutivem Dol­met­schen in Er­schei­nung ge­treten. Zuvor hat­ten wir ta­ge­la­ng freund­lich nach­ge­fragt und um Infor­ma­tions­ma­te­rial ge­beten. Aber auch jetzt gibt es keine Chance, das Ma­nus­kript zu be­kom­men: „Ich ha­be nur das eine Exemplar und nein, das kann ich leider nicht aus der Hand geben, auch nicht kurz.“

Diese Antwort gibt er dem Veran­stalter, nicht uns. Dann fällt ihm noch ein, dass er Präsentations­bilder hat und einen Film zeigen möchte. Der ist auf YouTube und es gibt eine englische Unterti­telung, das erfahren wir wenig später, als der Techniker Film und Untertitel bei einem Probelauf einblendet.

Wir waren sehr höflich, höflicher geht nicht. Wir suchen trotzdem nach Kom­mu­ni­ka­tions­fehlern auf unserer Seite. Später werden wir begreifen, dass er ein Kom­munikations­mümmler ist. Und ein Sprachmümmler. Nach der Pause wird er seine Worte so in sich hineinmümmeln, dass auch die deutschsprachigen Zuhörer unruhig werden, denn es ist schwer, ihm zu folgen: Lange Sätze mit zwei Punkten auf einer DINA 4-Seite, hochkomplexer Inhalt, zwei fette Buchstabendreher in der Power­Point­Prä­sen­tation, leise Stimme, unsaubere Artikulation.

Wir drehen die Lautstärke unserer Kopfhörer hoch. Er spricht, setzt eine Kunst­pau­se, trinkt etwas Wasser, setzt den Vortrag fort, merkt Unruhe im Saal, klopft ohne Vor­warnung auf das Mikro­fon, so dass es uns fast die Trommel­felle zerknallt. Nein, das gehört sich nicht. Jedes Mal, wenn jemand auf der Welt auf ein Mikro­phon klopft, stirbt irgendwo eine Biblio­thekarin. (Analog zu: „Jedes Mal, wenn man sich an einer Kerze eine Zigar­ette an­zün­det, stirbt irgendwo ein Seemann.“)

Kurz: Der Mümm­ler kommt direkt aus dem Schu­lungsvideo für schlechte Redner. Das Publi­kum straft seinen Vortrag nahezu mit Nicht­be­ach­tung. Er löst eine winzig­kleine Nach­frage aus, bei der es um eine Quelle geht. Dann schweigt der Saal. Und der Mümmler tritt er ab. Natür­lich kommt er später in der Pause nicht an der Ka­bi­ne vorbei, um sich bei uns zu bedanken, wie es so viele seiner Kolle­ginnen und Kolle­gen machen.

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Foto: C.E. (Archiv)

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