Dienstag, 4. Februar 2020

Klickworker (II)

Mitten in ei­nen Blog aus der Ar­beits­welt sind Sie rein­ge­ra­ten: Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier stehen kurze (anonymisierte) Episoden aus meinem mit­un­ter sehr vielseitigen Alltag, Gedanken zu Kultur und Sprache sowie Hinweise zu meinen Arbeitsfeldern.

Heute bereite ich meine Vokabelliste von letzter Woche nach. Dazu höre ich auch eine Radio­sendung, die noch auf meiner Liste war. Dabei werde ich überrascht.

Clickworking ist heute keine Nische mehr, es betrifft bis zu zwei Prozent der Be­schäf­tigten Deutsch­lands. Für viele handelt es sich um einen Nebenverdienst; die Anzahl jener, die versuchen, damit ihren Lebens­unterhalt zu gestalten, nimmt zu. Fach­leute rechnen damit, dass sich in­ner­halb von einigen Jahren der Anteil der über Web­sei­ten kurz­fristig Be­schäf­tigten verzehnfachen wird.

Lange haben solche Beschäf­tigungs­verhältnisse unterhalb des Radars von Ge­werk­schaf­ten und Arbeitsmarktpolitikern gelegen. Die unternehmerischen Ri­si­ken müs­sen die sogenannten Selbständigen selbst tragen, sie arbeiten oft mit ei­ge­nem "Werk­zeug". Schutz durch das Arbeitsrecht, soziale Errungen­schaften: Meis­tens Fehl­an­zeige. Hier ent­steht ein neues Pre­ka­riat.

Clickworking umfasst unqualifizierte Tätigkeiten (das Klassifizieren von Fotos zum Beispiel), aber auch hochqualifizierte Aufgaben wie Online-Nachhilfe­unterricht, Design von Webseiten oder Program­mie­rungs­aufträge.

Damit verbunden sind andere Beschäfti­gungen der Plattformökonomie wie zum Bei­spiel Bringdienste für Essen oder Haushaltstätigkeiten, sowie Tätigkeiten, die es vorher nicht gab, Mystery Shopping oder das Dokumentieren der Sauberkeit von Au­to­bahn­rast­stät­ten.

Auch wir Sprach­arbei­terinnen und Sprachar­beiter sind längst in den Fokus der An­bie­ter geraten. Ich habe hier wiederholt über Pseudo-Agen­tu­ren ge­schrie­ben.

Graffiti-Auge
Augen auf in der Arbeitswelt!
Problem: Die offerierten Ho­no­rare reichen bei fast allen nicht zum Le­ben und füh­ren gerade bei Aka­de­mi­kern zu einer sol­chen Un­ter­­be­­zah­­lung, dass für sie die Ar­beit nicht wirt­schaft­lich ist. Makro­öko­no­misch be­trach­tet ist die­ses Modell nur kurz­fris­tig mög­lich, denn so rückt nie­mand mehr nach.

Kein Mensch wird lange Studien- und Ausbildungs­zeiten in Kauf nehmen, um am Ende weniger Ein­kom­men zu haben als ein Müll­mann.

Hier der Link zu einer Radiosendung, an der ich letztes Jahr teilgenommen habe, das war mein Über­ra­schungs­mo­ment, ich hatte es fast ver­ges­sen: Digitale Tage­löh­ner­ / Aus­beutung durch Crowdworking, Platt­form­öko­nomie und Startups, DLF, vom 27.4.2019. (Ich spreche ab 18'28'' vom Ende her be­tra­chtet, da der DLF-Player die verbleibende Zeit anzeigt. Merksatz für mich selbst: Beim Interview soll­te ich mir künftig (wie sonst beim Dol­met­schen) direkt zuhören, denn nur so spre­che ich alle Sil­ben aus und ins­ge­­samt etwas lang­­samer.)

Und ja, ich denke, dass es auch in fünf bis zehn Jah­ren noch Über­setzerinnen und Dolmetscher (und Dolmetscherinnen und Übersetzer) geben wird, denn Sprache ist zu komplex für Bits & Bytes.

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Foto: C.E.

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