Montag, 10. Februar 2020

Am Montag zum Beispiel

Was und wie Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer (und Dolmetsche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) arbeiten, darüber berichte ich auf diesen Blogseiten im 13. Jahr. Noch sind wir vor der Konferenzhochsaison.

Draufsicht auf Holztisch mit Kaffee und Zimtschnecke
Gegen das Grau draußen: Tulpen, Zimtschnecke und Kaffee
Nach meinen Abendeinsätzen der letz­ten Woche bin ich noch im Jetlag — und zwar ganz ohne Flugzeug. Die in­nere Uhr zeigt mir Ortszeit Mon­te­vi­deo an. Eine mor­gend­li­che  Te­le­fon­kon­fe­renz per Video-Chat um 8.00 Uhr ist ... naja, nen­nen wir's "eine sport­li­che Her­aus­for­de­rung". Nach der „Visio“ (la vi­sio­con­fé­ren­ce) ist an Wei­ter­schla­fen nicht zu denken.

Der Nachbar bekommt einen Schrank, irgendjemand im Haus eine neue Wand (so klingt es jedenfalls, die alte muss zuvor raus), Müll wird abgeholt, ein Fla­schen­samm­ler klin­gelt wie je­den Mon­tag ("Gu­ten Mor­gen, ich bin's, der Flaschenmann!"), dann kommt der Gasmann zum Ablesen und Frau Müller aus dem Erdgeschoss bringt der Paketbote mal wieder neue Schuhe.

OK, Termine klären: Ich sitze eine Stunde am Schreibtisch, und ich habe keine Se­kun­de zu früh damit angefangen. Eine Konferenz heute verlängert sich um einen größeren Block, und weil mit der Bahn diesen Mon­tag ja nicht mehr gerechnet wer­­den kann, bekomme ich einen Abendeinsatz von einer Kollegin, muss dafür mor­­gen einen Vormit­tags­einsatz an eine andere Kollegin geben.

Das muss ich jetzt nur noch vermitteln. Ich kom­mu­ni­zie­re mit En­gels­zun­gen in alle Rich­tungen, bis sich alle freuen. Dann noch Angebote rausschicken für April 2021, Mai 2021. Das sind Zahlen, die sich ungewohnt anfühlen, jetzt, wo ich endlich nicht mehr 2019 schreibe.

Inzwischen knurrt der Magen. Die Apfel-und-Wasser-Diät vor der mor­gend­lichen Vi­deo­kon­ferenz war vielleicht doch nicht aus­rei­chend kalorien­haltig. Wir schreiben respek­table 13.00 Uhr, also ab zum Bäcker. Dort lieber nur ein Käffchen, single shot, ich optiere an­schlie­ßend für eine Siesta. Dann weiterlernen für heute Abend. Dieser Abend­einsatz und ein anderer, in einigen Tagen bin ich nochmal abends "auf Sendung", werden meinen "Konfe­renz­dol­met­scher­jetlag" verlängern. Ich werde das Wochenende nutzen, mich wieder auf MEZ einzupegeln.

Sonst auf dem Schreibtisch: Groß­kü­chen­bau­antrag, Frauenrechte im Maghreb, Ur­he­ber­recht, Stadt-und Raumplanung, Filmwirtschaft, neue psychotherapeutische Ansätze.

Aber an diese Themen ist im Café nicht zu denken. Dort sitze ich ein­ge­klemmt zwi­schen So­zio­lo­gie und Krankenhaus­­ma­­na­­ge­­ment. Vier Frauen arbeiten in zwei Sprachen links und rechts von mir beim kleinen Bäcker, wo man sich an die großen Tische ein­­fach hin­zu­setzt. Mein Problem: Das Dol­met­­scher­­hirn hört immer mit. Im­mer. Ich könnte Zu­sam­­men­­fas­­sun­gen schreiben. Der Grund: Das alles könnte ja gleich im Einsatz rele­vant werden, wenn ich gebeten werde, die Ver­dolmet­schung zu über­neh­men. Wir sind schon komisch gepolt. OK, dann ver­suche ich‘s mal mit Kon­zen­tra­tion auf leeres Hirn, Zimtschnecke essen, lieber doch keinen Kaffee, den be­kommt der Kol­le­ge, dann Siesta.

Der Arbeitstag endet schließlich nach netto neun Stunden Arbeitszeit, von denen ich drei Stunden lang im "On" war, je zur Hälfte im Solo und im Duo. Die Ver­gü­tung: zwei ver­kürz­te Tages­sätze. Grund: Rah­men­ver­tragskunde (am Vor­mittag) sowie Kul­tur­bran­che (mit nach­voll­zieh­ba­rem akutem Geldmangel). Morgen bin ich nur einen halben Tag im Büro, dann darf ich (einige Tage lang ohne Ex­tra­ver­gü­tung) zu Diens­tag in einer Woche pauken und mich vor­be­rei­ten, da habe ich wie­der einen Kon­fer­enz­tag, allerdings in einem neuen Wis­sens­ge­biet.

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Foto: C.E.

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