Gegen das Grau draußen: Tulpen, Zimtschnecke und Kaffee |
Der Nachbar bekommt einen Schrank, irgendjemand im Haus eine neue Wand (so klingt es jedenfalls, die alte muss zuvor raus), Müll wird abgeholt, ein Flaschensammler klingelt wie jeden Montag ("Guten Morgen, ich bin's, der Flaschenmann!"), dann kommt der Gasmann zum Ablesen und Frau Müller aus dem Erdgeschoss bringt der Paketbote mal wieder neue Schuhe.
OK, Termine klären: Ich sitze eine Stunde am Schreibtisch, und ich habe keine Sekunde zu früh damit angefangen. Eine Konferenz heute verlängert sich um einen größeren Block, und weil mit der Bahn diesen Montag ja nicht mehr gerechnet werden kann, bekomme ich einen Abendeinsatz von einer Kollegin, muss dafür morgen einen Vormittagseinsatz an eine andere Kollegin geben.
Das muss ich jetzt nur noch vermitteln. Ich kommuniziere mit Engelszungen in alle Richtungen, bis sich alle freuen. Dann noch Angebote rausschicken für April 2021, Mai 2021. Das sind Zahlen, die sich ungewohnt anfühlen, jetzt, wo ich endlich nicht mehr 2019 schreibe.
Inzwischen knurrt der Magen. Die Apfel-und-Wasser-Diät vor der morgendlichen Videokonferenz war vielleicht doch nicht ausreichend kalorienhaltig. Wir schreiben respektable 13.00 Uhr, also ab zum Bäcker. Dort lieber nur ein Käffchen, single shot, ich optiere anschließend für eine Siesta. Dann weiterlernen für heute Abend. Dieser Abendeinsatz und ein anderer, in einigen Tagen bin ich nochmal abends "auf Sendung", werden meinen "Konferenzdolmetscherjetlag" verlängern. Ich werde das Wochenende nutzen, mich wieder auf MEZ einzupegeln.
Sonst auf dem Schreibtisch: Großküchenbauantrag, Frauenrechte im Maghreb, Urheberrecht, Stadt-und Raumplanung, Filmwirtschaft, neue psychotherapeutische Ansätze.
Aber an diese Themen ist im Café nicht zu denken. Dort sitze ich eingeklemmt zwischen Soziologie und Krankenhausmanagement. Vier Frauen arbeiten in zwei Sprachen links und rechts von mir beim kleinen Bäcker, wo man sich an die großen Tische einfach hinzusetzt. Mein Problem: Das Dolmetscherhirn hört immer mit. Immer. Ich könnte Zusammenfassungen schreiben. Der Grund: Das alles könnte ja gleich im Einsatz relevant werden, wenn ich gebeten werde, die Verdolmetschung zu übernehmen. Wir sind schon komisch gepolt. OK, dann versuche ich‘s mal mit Konzentration auf leeres Hirn, Zimtschnecke essen, lieber doch keinen Kaffee, den bekommt der Kollege, dann Siesta.
Der Arbeitstag endet schließlich nach netto neun Stunden Arbeitszeit, von denen ich drei Stunden lang im "On" war, je zur Hälfte im Solo und im Duo. Die Vergütung: zwei verkürzte Tagessätze. Grund: Rahmenvertragskunde (am Vormittag) sowie Kulturbranche (mit nachvollziehbarem akutem Geldmangel). Morgen bin ich nur einen halben Tag im Büro, dann darf ich (einige Tage lang ohne Extravergütung) zu Dienstag in einer Woche pauken und mich vorbereiten, da habe ich wieder einen Konferenztag, allerdings in einem neuen Wissensgebiet.
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Foto: C.E.
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