Samstag, 22. Februar 2020

Über Untertitel (1)

Bonjour, hello, guten Tag. Hier bloggt im 14. Jahr eine Dol­met­sche­rin, übli­­cher­wei­­se mehr­­mals die Woche. Vor der Früh­jahrs­sai­son liegt die Berlinale. Hier lau­fen Filme in der OmU-Fassung, Original mit Untertitel. Kein schönes Thema.

Vor 25 Jahren habe ich viel und gerne Filme untertitelt. Seither ist die Nachfrage explodiert, einerseits durch die Digitalisierung der Filme selbst, andererseits durch die Vervielfachung der Kanäle. Den Gesetzen des Marktes zufolge hätten die Preise für gute Untertitelung steigen müssen. Sind sie aber nicht, sie sanken vielmehr ins Bodenlose. Der Grund: Qualität scheint kein Kriterium mehr zu sein.

Denn die Industrie hat flugs erklärt: "Jede(r) kann untertiteln!" Dem ist aber nicht so. Dazu gehören sprachliche und kulturelle Kenntnisse sowie Talent. Untertiteln ist so, als würde man ein Gedicht übersetzen, das aber ins enge Schema eines Kreuz­wort­rätsels gepresst werden muss. Vom Pressvorgang darf al­ler­dings am En­de nichts mehr zu spü­ren sein, nicht einmal zwi­schen den Zeilen. "UTs" müssen ein­deutig sein, sich leicht lesen, schweben und das Wesentliche wiedergeben.

Spaghetti Wartesaal mit Knoblauch, Tomaten, Rucola und Schafskäse
Und ich hielt das Wort "Wartesaal" für ausgestorben
Der Platz beim Titeln ist meis­tens knapp, gute Un­ter­ti­tler verdichten stark. Viel Un­ge­sagtes findet seinen Echo­raum im Kopf der Re­zi­pien­ten, zum Schwin­gen brin­gen wir Sprach­ar­bei­ter­(inn­en) es durch die Aus­wahl der Wör­ter. Au­ßerdem wichtig: Tem­po, Schnit­te, Ästhe­tik. Profis haben das im Blick hat. Eine pro­fun­de Film­bil­dung macht es uns leichter.

Doch das war mal. Inzwischen werden sogar auf von Schülern bevorzugten Sozialen Netz­wer­ken "Un­ter­titler" gesucht. Und solange sich das Publikum nicht massiv be­schwert, kommen die Seggl damit durch. (Seggl: Schwä­bisch für "Idioten".)

Beleg für den Nie­dergang: Neulich fragte mich eine Kun­din, ob ich für sie für 25 Cent den Unter­titel ar­bei­ten würde. Das ist etwa ein Zehn­tel des Preises für Pro­fi­ti­tel ohne Festle­gung der Ein- und Aus­blen­de­zeiten ("Spotting"). Sie sagte am Telefon: "Die Titel müs­sen da nur drunter sein, ob sie lesbar sind, ist nicht so wichtig. Vergiss Deine Quali­täts­kriterien, das wird niemand so untertitelkritisch lesen wie Du befürchtest."

Ha, neues Wort! Erste! Den Begriff kannte Google bislang noch nicht. Übers­etzt bedeutet das: "Deine Arbeit ist egal, si­mu­liere sie doch einfach."

Das passt dazu, dass die Ge­sell­schaft insgesamt immer virtueller wird. Bullshit jobs, symbo­lische Politik, Theater­donner statt An­packen der ech­ten Probleme, dominieren den Alltag. Ich geh dann mal essen. "Spaghetti War­te­saal" klingt gut. Vielleicht be­kommen noch an­de­re diese Miss­stän­de mit und wir ändern das alle zu­sam­men. Weil: So geht's echt nicht weiter.

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Foto: C.E. (mit Schreibfehlern ...)
tags: #Berlinale2020 #1nt #xl8

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