Freitag, 14. März 2025

Motivation

Aus dem Ar­beits­all­tag der Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen be­rich­te ich hier, ge­nau­er: Hier schreibt ei­ne Dol­met­sche­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch. Ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Ne­ben Po­li­tik und Wirt­schaft, Kul­tur und So­zia­les ha­be ich mich auch auf Ur­ba­nis­mus und Bau spe­zia­li­siert.

Neu­lich ste­he ich mit einer In­nen­ar­chi­tek­tin in einer frisch ge­kauf­ten Ber­li­ner Alt­bau­woh­nung. Der Be­sit­zer, ein Fran­zo­se, wünscht sich Um­bau- und Ein­rich­tungs­vor­schlä­ge. 

Weiße Dielen, weiße Wand
Eine "weiße Leinwand" (white canvas)
Ich dol­met­sche. Mon­sieur als Auf­takt­sta­te­ment: „Ich hät­te das hier ger­ne sehr ber­li­nisch. Eine ech­te Ber­li­ner Woh­nung.“
 
Die In­nen­ar­chi­tek­tin: „Gut. Was stel­len Sie sich vor?“
Er (au­gen­zwin­kern­d): „Qua­dra­tisch, prak­tisch, gut. Ge­nau so se­he ich Deutsch­land.“
Sie nickt: „Krie­gen wir hin.“

Er zeigt auf den Bo­den, wo die Die­len un­ter­schied­li­che Far­ben ha­ben, hier ist eine brei­te Li­nie aus hel­ler Fich­te ne­ben satt oran­ge­far­be­ne Fich­te. „Was ist denn hier pas­siert?“ Sie sieht ge­nau hin. „Hier stand mal ei­ne Wand. Da war die Toi­let­te …“ und sie zeigt auf zwei schma­len, über­ein­an­der an­ge­ord­ne­te Fens­ter. „Von Spei­se­kam­mer und Toi­let­te.“ Er über­legt und fragt: „Und wo war die Kü­che?“

Sie atmet tief durch und zeigt, wo frü­her die Küche war und wo das hand­tuch­schma­le Klo. Heute gibt es ein fens­ter­lo­ses Bad, das vom Flur ab­geht, die Küche wur­de ver­klei­nert. Die Ar­chi­tek­tin er­klärt ihm, dass es zu­vor kein Bad in der Woh­nung ge­ge­ben ha­be.

Er nickt lang­sam. „Hm, könn­ten wir den Flur­an­teil et­was ver­klei­nern? Und wo sind die Ein­bau­schrän­ke ge­blie­ben?“ Ich über­tra­ge. Die In­nen­ar­chi­tek­tin blin­zelt. Nicht nur ich weiß genau, was er meint. In Frank­reich zäh­len Ein­bau­schrän­ke zur Grund­aus­stat­tung.

Sie so: „Nun, wir kön­nen ja etwas Frank­reich rein­brin­gen …“, und sie schlägt vor, den ent­stan­de­nen zwei­ten klei­nen Flur, den Durch­gang zur an der Fens­ter­sei­te ge­le­ge­nen Küche, mit Wand­schrän­ken zu ver­se­hen und ein Stück Wand weg­zu­neh­men: „Zum Glück ist hier kein tra­gen­des Mau­er­werk.“

„Wie soll denn die Grund­stim­mung sein?“, möch­te sie wis­sen. Mon­sieur dar­auf: „Ich wün­sche mir eine war­me, ge­müt­li­che At­mo­sphä­re.“ „Kein Pro­blem“, meint die In­nen­ar­chi­tek­tin. „Wel­che Far­ben stel­len Sie sich denn vor?" und zückt ei­nen Farb­fä­cher. Er ist schnel­ler: „Son­nen­gelb, Fla­min­go­rot und La­ven­del­blau!“ Ma­da­me: „Wie schön, ich woll­te Ihnen auch gera­de vor­schla­gen, lie­ber Pro­ven­ce­bunt als Ber­lin­grau zu wäh­len. Ber­li­ner Win­ter kön­nen lan­ge dau­ern!“

Wir ge­hen ins Bad. Er zeigt auf die Du­sche. „Könn­te die grö­ßer wer­den? Und mit Re­gen­du­sche?“ Die In­nen­ar­chi­tek­tin mus­tert die Flä­che. „Dann müss­ten wir die Wasch­ma­schi­ne in die Küche ver­la­gern.“ So soll es sein. „Und wa­rum gibt es in deut­schen Woh­nun­gen kei­ne Bi­dets?“ Die In­nen­ar­chi­tek­tin macht sich No­ti­zen, ver­schiebt die Ob­jek­te in Ge­dan­ken, fin­det die per­fek­te An­ord­nung, zeich­net. Al­le lä­cheln.

Dann geht es ins Wohn­zim­mer und das da­hin­ter­lie­gen­de Schlaf­zim­mer. Mon­sieur be­zeich­net das alles als „nackt“. "Ich brau­che prak­ti­sche Lö­sun­gen“, sagt er. „Wie in Paris!“ Die In­nen­ar­chi­tek­tin nickt. „Al­so kom­pak­te Mö­bel?“

„Ja, genau!“, sagt er, „Stau­raum!“. Sie schlägt vor, ein Bett mit viel Stau­raum da­run­ter ein­zu­bau­en und de­cken­ho­he Schrän­ke, dazu eine Lei­ter, um oben noch Sa­chen ver­stau­en zu kön­nen.“ Er strahlt: „Ja, das habe ich letzt­ens in Vogue Li­ving ge­se­hen, so­was ist gut!“ Ma­da­me strahlt zu­rück.

Er: „Ich möch­te mög­lichst viel Platz spa­ren.“ Sie schaut sich im 30-Qua­drat­me­ter-Wohn­zim­mer um, auch hier wurde eine Wand ent­fernt, und auch das Schlaf­zim­mer ist über 20 Qua­drat­me­ter groß. „Das müs­sen Sie doch gar nicht!“

Er wirkt un­si­cher. „Aber ich möch­te den Platz ef­fi­zi­ent nut­zen! Schön wä­re auch ein klei­nes Ar­beits­zim­mer, so eine Art Box, gerne mit Bett da­rü­­ber für meine Gäste. Nicht so ein Mö­bel­haus­hoch­bett, son­dern mit ech­ten Trenn­wän­den und Fens­tern en se­cond jour, mit in­di­rek­tem Licht, hier hin­ten in der Ecke.“ Er greift zum Stift und zeich­net es auf: „Glau­ben Sie, dass so etwas mög­lich ist?“

Die In­nen­ar­chi­tek­tin macht gro­ße Augen. „Ja, das ist mach­bar, und so würde ich es ver­bes­sern“, sagt sie und zeich­net es fer­tig. „Wun­der­bar!“, dar­auf Mon­sieur. Mein Kopf ist ir­ri­tiert, weil in Paris sol­che Lö­sun­gen an der Ta­ges­ord­nung sind.

Nach zwei Stun­den ist er zu­frie­den. Als wir gehen, sagt er zu mir: „Ber­lin ist an­ders als Paris, da muss mehr er­klärt wer­den.“

Ver­mut­lich habe ich ihn ver­wun­dert ge­nug an­ge­se­hen. Prompt lädt er mich zum Essen ein. Ich er­fah­re, dass er sich im Grun­de seine Pa­ri­ser Woh­nung hier nach­bau­en lässt, denn er pen­delt, um in Ber­lin sei­nen klei­nen Sohn zu be­su­chen, der mit sei­ner Mut­ter nach Ber­lin ge­zo­gen ist.

Ich fra­ge ihn, wa­rum er am An­fang et­was von „Ber­li­ner Stil“ ge­sagt ha­be. Er grinst. „Jetzt hat die In­nen­ar­chi­tek­tin das alles mit­ent­wi­ckelt und wird per­fekt sein als Bau­lei­te­rin ih­rer ei­ge­nen Ide­en“, sagt er au­gen­zwin­kern­d.

______________________________
Foto: pixlr.com (Zu­falls­fund)

Keine Kommentare: