Freitag, 30. August 2019

Auf dem Schreibtisch (LIV)

Was und wie Dolmetscher und Übersetzer arbeiten, können Sie hier ab und zu mit­le­sen. Mein digitales Arbeitstagebuch schreibe ich im 13. Jahr. Heute wieder: Blick auf den Schreibtisch!

Und zwar zum 54. Mal. Dieser Tage ging und geht es um:

Sekretär, Bilder an der Wand, Regal
Im Arbeitszimmer
⊗ Wind- und Solar­ener­gie
⊗ Grun­dstücks­verkauf
⊗ Öko-Architektur
⊗ (Zwangs)­Pros­ti­tu­tion
⊗ Kom­pos­tie­ren in der Stadt
⊗ Literatur und Über­setzen als Wirt­schafts­fak­tor
⊗ Para­dig­men­wech­sel in der Wirt­schaft

Vor allem müssen sich meine müden Sehnen erholen.
Die letzte Woche war hart.
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Foto: eigenes Archiv

Donnerstag, 29. August 2019

Träger

Wie leben, ar­bei­ten und den­ken Dolmetscher? Wie ver­än­dert der Be­ruf ihr bzw. un­ser Leben? Da­rü­ber und über di­ver­se ty­pi­sche Situatio­nen aus der Ar­beit denke ich hier im 13. Jahr nach. Ich zähle zu den Fran­zö­sisch-Dol­met­schern, arbeite aber auch mit Eng­lisch (als Ausgangs­sprache). Tätig werde ich in Paris, Berlin, Mün­chen, Cannes, Frankfurt, Lyon und dort, wo Sie mich brauchen. Dabei achte ich immer besoners auf die Wörter.

Pappaufsteller mit kleinem Mädchen mit roter Muetze, rotem Schal und roten Struempfen
Mützenträgerin
Spaghetti­trä­ger, Stahlträger, Müt­zen­trä­ger, Gepäck­trä­ger, Träger einer Sänfte oder insti­tu­tionelle Träger: DER TRÄGER ist ein Wort mit verschiedenen Be­deu­tun­gen. So oft wie in dieser Wo­che habe ich es lange nicht gehört.
Ein Kunde und ich sind unterwegs auf der Suche nach Kindergar­ten­plätzen für seine Töchter. Er ist mit seiner Familie gerade nach Berlin gezogen. Es handelt sich um gewünsch­te Migration, Stichwort Fach­kräf­te­man­gel, seine Speziali­sierung ist hier sehr gefragt. Die USA kennen die Green Card, Europa nennt das ent­spre­chende Dokument Blue Card. In Berlin zu arbeiten ist die eine Sache, hier zu leben die andere.

Auf Kinder­gar­tensuche also: Eine Behörde übergibt uns eine mehrseitige Liste von städti­schen Kinder­gärten und Ein­rich­tungen freier Träger. Eine Behörde hat alle bekannten Stellen erfasst, „aber es werden regelmäßig Kitas gegründet, die sich nicht gleich hier melden, Sie müssen die Augen selbst aufhalten“, rät die Amts­dame. Auch Tages­pfle­ge­stellen seien selten.

Überall dort, wo wir in Berlin anklop­fen oder anrufen, heißt es: ausgebucht! Ein­mal wird die Direktorin konkret, sie habe 150 Anmel­dungen für zwölf Plätze. Das 17 Monate alte Mäd­chen könne ja noch bei Mut­tern bleiben, die Vierjährige mit viel Glück möglicher­weise in einem Jahr irgendwo nach­rücken, im Grunde aber erst 2022. In diesem Jahr wird sie dann bereits in die zweite Klasse ein­ge­schult werden.

Die Kinder brauchen nicht nur Gleich­altrige, um Deutsch zu lernen, auch ihre Mut­ter braucht die Plätze. Sie ist ebenfalls Aka­de­mi­kerin in einem ge­such­ten Beruf und möchte bald ihre mageren Deutsch­kenntnisse erweitern, um dem Arbeits­markt zur Ver­fü­gung zu stehen (und um zur hor­ren­den Miete der Wohnung beitragen zu können).

Wir suchen weiter. Es gibt interne Warte­listen, Jugend­amts­listen, wir entdecken weitere Türen, an die zu klopfen eventuell etwas bringen könnte. Zu erwähnen, dass man um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz weiß, solle helfen, vernehme ich irgendwo zwischen den Worten.

Nach einer Woche Suche kann ich sagen, dass dieses Berliner Kinder­gar­ten­drama für die total verfehlte Bevölkerungs- und Zuwan­derungs­politik Deutschlands steht und mich fatal an die Schulen erinnert, die wir auch besucht haben, denn die Familie hat auch ein größeres Kind: Überall wird repariert, gemalert, gepflastert, aber nur das Aller-aller-allernötigste. Die meisten Gebäude sind in einem be­kla­gens­wer­ten Zu­stand, irgendwas zwischen DDR-Provinz, wo nie für mal eilig den Besuch einer wichtigen Person aufgehübscht wurde, Nachkriegsbundesrepublik und Ent­wick­lungs­land.

Historisches Foto: Schulklasse
Volle Klassen, damals und heute
Parallel zu unserer Suche brin­gen die Zei­tungen un­fass­ba­re Zahlen, die den Reno­vierungs­rückstand der Ber­liner Schulen beziffern, sowie die Zahl der fehlenden Leh­rer. Nur 40 Prozent der dieses Schul­jahr neu ein­ge­stellt­en Grund­schul­lehrer hat diesen Beruf überhaupt stu­diert. Pä­da­go­gik ist ein ei­gen­stän­di­ges Fach, die Arbeit mit Kindern was für Profis.

Hat sich auch irgendwie nicht richtig bis in die Berliner Stadtverwaltung rum­ge­sprochen. Und auch die Berliner Bundespolitiker scheinen erst lan­­gsam zu ahnen, dass es mit der Schwarzen Null und der Schuldenbremse viele Verlierer gibt.

Wir werden weiter auf freie Träger und Neugrün­dungen achten. Und wenn auf ei­ner Kon­fe­renz zu einem Bil­dungsthe­ma demnächst wie­der theoretisch ge­spro­chen wird, werde ich aktu­el­le Bilder im Kopf haben, wie es draußen wirklich aus­sieht.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 28. August 2019

Den Köchen vertrauen

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­ar­bei­terin werde ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort tä­tig, wo man mich braucht. Manche Episode aus der Frühjahrssaison fällt einem erst bei Beginn der Herbstsaison wieder ein ...

Hände an einer Tafel, Gabeln, Gläser, Pfeffermühlen und ein Notizblock
Konsekutivdolmetschen beim Arbeitsessen
In un­se­rem All­tag gibt es eine Reihe klei­ner Epi­so­den, die ver­ges­sen worden wä­ren, hätte ich sie nicht kurz auf­ge­schrie­ben.

Bei der Vor­be­rei­tung einer Konferenz mit Part­nern aus dem Ausland: Wir befinden uns irgendwo in offi­ziel­ler Mission auf Bun­des­­ebene. Wir dolmetschen für eine kleine De­le­ga­tion, die eine Kon­fe­renz am Rande eines Staatsbesuchs mit­plant. Wir sitzen am Esstisch und werfen ge­mein­sam einen Blick auf die für das Event vor­ge­se­he­ne Speisen­folge. Einer der Gäste aus dem fernen Land fragt vor­sich­tig an, ob nicht an einem der drei Tage Es­sen aus seiner Hei­mat kre­denzt werden könne.

Der Behördenmensch aus Deutschland darauf sibyllinisch grinsend: "Besser nicht. Wir könnten unseren Köchen durchaus die passenden Rezepte in die Hand drücken, und auch die Zutaten finden sich in Berlin. Was die dann aber daraus machen, steht auf einem anderen Blatt. Das möchten Sie im Anschluss vielleicht doch lieber nicht probieren."

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Foto: C.E.

Dienstag, 27. August 2019

Zedernholz

Willkommen auf der Seite einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin mit Hauptarbeitsort Berlin. Hier können Sie Einblicke in unseren Alltag erhalten, zu dem auch das Sammeln von Vokabeln gehört.

Und da ist dann noch der Tag, an dem ich höchst selten gebräuchliche Begriffe ler­ne, die aber sehr gut bezahlt sind ... Begriffe wie "Fliesen"spiegel aus Carrara-Mar­mor (crédence marbre de Carrare), Bade­zim­mer­möbel mit integriertem Wasch­becken aus einem fünf Meter langen Moor­ei­chen­stamm (ensemble de meuble et vasque intégrée taillée dans un tronc de chêne des tourbières), Ankleide­zimmer mit Wand­ver­tä­fe­lung aus Zedernholz (dressing aux parois lambrissées de cèdre).

Von den drei ge­nannten Luxus­wohn­ele­menten hat mich nur der begehbare Klei­der­schrank aus motten­festem Zedernholz überzeugt. Das andere ist zu viel Pfle­ge­auf­wand (abgesehen davon, dass ich mir für den Preis des mehrere Jahr­hu­nderte alten Mooreichen­stamms vermutlich eine größere Altbau­wohnung kaufen könnte).

Ich betrachte solche Eska­paden übrigens als angewandte Soziologie. In Berlin ent­steht Wohn­raum wie aus den teuersten Lifestylemagazinen in Vierfarbdruck auf Hochglanzpapier. Traurig macht mich, dass hier nur selten gewohnt werden wird. Eines ist sicher: Außer dem täglich vorbeischauenden Wachschutz sehen die Wände regelmäßig nur noch die Putzfrau, die alles propper vorhält; es könnte ja dem Ei­gen­tü­mer gefallen, Berlin als spontanes Reiseziel auszuwählen.

Dass damit Arbeitsplätze entste­hen, ist nur ein milder Trost. Im Grun­de ist ein sol­cher Umbau in der In­nen­stadt Miss­brauch öffentlicher Gel­der, denn die Woh­nung liegt nur deshalb in einer attraktiven Stadt, weil die All­ge­mein­heit das ganze Um­feld fin­an­ziert.

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Fotos ... leider keine. Fotografierverbot.
It goes without saying.

Montag, 26. August 2019

Rufzeichen!

Was Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer so umtreibt, davon können Sie sich hier einen kleinen Eindruck verschaffen. Im 13. Jahr blogge ich über meinen höchst sprachbetonten All­tag. 

Heute ist der letzte Au­gust­mon­tag: schnell, schnell: Bald geht das ge­sell­schaft­li­che Le­ben wieder los und ich kann mir hier keine Un­an­stän­dig­kei­ten mehr leisten, weil dann wieder mehr Menschen mitlesen.

Der Fund der Woche, getätigt von Be­kannten in Sachen Machine Translation, ist der da:

Abspritzen der Maschine verboten! - Cumshot of the machine prohibited!


Beim Überprüfen fiel mir auf, dass die Sinn­ent­stel­lung durch das Aus­ru­fe­zei­chen kommt.

Abspritzen der Maschine verboten - Spraying the machine prohibited



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Illustration: Gargoyle "translate"

Sonntag, 25. August 2019

E-Scooter und E-Laternen

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, und sonntags werde ich privat. Jedes Jahr lege ich knapp 1000 Euro zur Seite, um mobil zu bleiben.

Liegender E-Scooter (an einer Kreuzung, zwischen zwei Autos)
E-Scooter (etwas aus dem Weg geräumt)
Wohl­be­fin­den und si­che­res Bewegen im öffent­lichen Raum sollte für alle hier­zu­lan­de selbst­ver­stän­dlich ge­ge­ben sein. Für mich wird beides gerade stark ein­ge­schränkt.

Ich bin aus­rei­chend seh­be­hin­dert, um das als Behinderung zu empfinden. Diese Be­hin­de­rung wird allerdings nicht anerkannt.

Einen Behinder­ten­ausweis bekomme ich nicht, denn dank Hilfsmitteln lebe ich mit Ein­schrän­kun­gen bis­lang gut damit. Ich bin froh, nur dieses Problem zu haben. Seit der willkürlichen "Privatisierung" mancher Körperteile (es hätte auch das rechte Bein sein können) erstatten die deutschen Kassen kei­ne re­le­van­ten Beträge bei An­schaf­fung der Sehhilfen mehr. Mit minus zwölf Dioptrien und einer Achs­­krüm­­mung brauche ich High-Tech-Brillen vom Profi, vergessen wir die Exis­tenz von Bril­len­dis­coun­tern. Ohne jährliche Rücklagen von bis zu 1000 Euro wäre ich nicht über­le­bens­fähig, die wilden Tiere auf der Straße, die Autos, hätten mich längst ge­rissen. (Die Brille kostet 1200, die Ersatz­brille deutlich weniger, Kindergestell, Mi­ni­glä­ser; eine passende Son­nenbrille wird auch angeraten. Alle zwei bis drei Jahre ändern sich die Werte. )

Zu altbekannten Lebensrisiken einer solchen Behinderung kommen ge­ra­de neue hin­zu: Wild abgestellte E-Scooter. Anders als z.B. in Paris oder Brüssel müs­sen die Teile in Berlin nach Ge­brauch in eine gut mar­kier­te Lade­sta­tio­nen ge­­parkt wer­­den. Stattdessen bleiben sie irgendwo stehen ... oder auch lie­gen­. Neulich konnte ich zusehen, wie drei Stück aus dem Land­wehr­ka­nal gefischt wurden. Aus Mar­seille sind solche Praktiken auch bekannt.

Was die FAZ als "Roller­mikado auf den Gehwegen" beschrieb, stellt für mich eine ernst­zuneh­mende Sturzgefahr dar. Drei Mal hat es mich schon hinge­schmissen. Denn nicht immer können wir Fehl­seher im Halb­dunkel am Boden liegende Rol­ler erkennen.

Daher müsste ich mich eigentlich freuen über den in Berlin laufenden Umbau der Straßen­la­ter­nen: früher funzelige Gas­flamme, künftig kraftvolle Ha­lo­gen­strahler. Ein Unheil kommt aller­dings selten allein. Hin­terher sind die La­ter­nen so hell, dass sie mich blenden. Menschen mit hoher Kurz­sich­tig­keit sind licht­em­pfind­lich. Die für mich gleißenden Halogenlampen machen helle Punkte, die auf der Netzhaut nach glühen. Bei jedem Lid­schlag zum Be­net­zen des Augapfels habe ich zudem Ar­te­fak­te, helles Licht wird in die Re­gen­bo­gen­farben zerlegt, ich sehe tanzende Flecken.

Die Sache mit den Licht-Artefakten kenne ich von manchen Videoprojektoren. Immer wieder musste ich diverse Kinos verlassen, weil ich vom Film zu wenig sah. Kurz: Durch diese E-Laternen sehe ich im Dunkeln weniger als vorher, weil meine Augen sich nicht auf diese Art von Helligkeit und Dunkel­heit einstellen können.

Nein, ich möchte nicht künftig keine vierte Brille anschaffen müssen, deren Gläser oben son­nen­brillenartig getönt und unten nor­mal sind. Wegen der starken Kurz­sich­tig­keit sind mei­ne Brillen­gläser immer klein, große Glä­ser wären zu schwer; wer läuft schon gerne mit Flaschen­böden im Gesicht durch die Ge­gend. Ich müsste die Au­gen zusätz­lich nach oben mit einer Schirm­mütze schützen. Und für unten bräuch­te ich eine Taschen­lampe.

Ich stelle mich mir selbst grade vor. Es ist Nacht. Mir begegnet eine Person mit Sonnenbrille, Schirm­mütze und Taschenlampe. Hochgradig suspekt. Drei Lö­sun­gen: Nur noch mit Be­glei­tung rausgehen, zu Hause bleiben oder einen Blin­den­stock zum Weg­ab­tas­ten. Wie sagen Be­hin­der­ten­ver­eine immer so richtig? Wir sind nicht be­hin­dert, wir werden be­hin­dert.

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Foto: C.E.

Donnerstag, 22. August 2019

Vortrag vs. Vorlesung

Was Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer so umtreibt, davon können Sie hier ein wenig mitbekommen. Im 13. Jahr blogge ich über meinen sprachbetonten All­tag. Oft ha­de­re ich mit der Welt und ret­te mich dann mit lin­gu­is­ti­schen Be­trach­tun­gen vor ernsthaften Verstimmungen.

Bilder einer Vorlesung
Du oder Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, ahnen ja gar nicht, wie viele un­ver­öf­fent­lichte Blogein­träge hier im Archiv schlum­mern. Es ist immer das Gleiche. Geschrie­ben ist es schnell, dann geht's ans (immer schnel­lere) Über­ar­bei­ten. Steht der Text, folgt das Edi­ting, also die An­pas­sung an die Bilder, Trenn­zei­chen­setzung und derlei.

Manchmal stellt sich mir zwischendrin die Fra­ge, ob ich den Text veröffentlichen soll. Die freie Pub­lizistik hat ihre Fallen. Zumal ich ja hier überwiegend einen Blog aus dem Arbeits­leben verfasse. Mit der Um­­welt- und der Welt­po­litik bin ich schon lange nicht mehr ein­ver­stan­den. (War ich das jemals?)

Wie äußert eine Dolmetscherin, die per defini­tionem immer im Hinter­­grund blei­ben muss, ihre Meinung? Nicht einfach. Kurz: Das Schat­ten­ar­chiv umfasst genauso viele Blogeinträge wie der veröffent­lichte Teil, davon wäre mög­li­cher­wei­se ein Drittel eine gute Grundlage. Lieber schreibe ich über Sprache. Und auch heute rettet mich wieder eine Bitte wie diese hier aus Marokko: "Bedeuten Vor­le­sung und Vortrag die gleiche Sache?"

Der Begriff "Vor­le­sung" stammt aus dem universitären Bereich, auf Französisch wä­ren das die cours généraux. An der alten "Ordinarien­universität" stand tat­säch­lich jemand vorne am Pult, in eine Robe gekleidet, hat ein Papier vorgelesen. (Manche weniger guten Redner machen das heute noch, allerdings ohne Robe.) Eine Vor­le­sung hält die Profes­sorin oder der Professor oder die Assisten­tin/der Assistent oder auch Habili­tanden oder Promo­venden des Studiengangs, wenn die Letztgenannten auch Lehrbeauftragte sind. Der Inhalt einer Vor­le­sung ist an einen akademischen Kanon gebunden, den klar definierten Stoff, den es zu lernen gilt.

Also wird es zum Beispiel jeden Dienstag um 10.00 Uhr im Fach Wirt­schafts­geo­gra­fie um ein anderes Thema gehen, um am 8. Oktober ist das Thema "La­ger­stät­ten fossiler Rohstoffe" dran. (Das liest sich für mich wie das Wort "Or­di­na­rien­uni­ver­si­tät".)

An der Universität, Kurzform "Uni", gibt es aber auch Vorträge: Durchreisende Wis­sen­schaftler, Gastdozenten, Forscher berichten über ihre Fachthemen. Die Vor­trä­ge sind freier in Inhalt und Form. Spricht der Redner wirklich frei und blickt nur ab und zu auf sein Papier, ist es ein "freier Vortrag", was für uns Dol­met­­sche­rin­nen und Dol­met­scher immer die bessere Variante ist.

Auch außerhalb des akademischen Betriebs werden Vorträge ver­an­stal­tet. Alle, die etwas zu sa­gen haben, können einen Vortrag halten (auf Französisch übrigens la conférence). Vor Erfindung der Volks­­hoch­schu­len und der Massen­medien gab es oft "Vortrags­reisende", die aus fernen Ländern oder über wis­sen­­schaftliche Erkennt­nisse berichtet haben. Alte An­kün­di­gungs­zet­tel solcher Vor­trags­orte lesen sich wie das hal­be Pro­gramm von Phoe­nix und Arte.

Ironisch ausge­drückt kann ich jemandem, dem ich mal tüchtig "die Meinung gei­ge" oder eben etwas vor­sich­ti­ger einen Vor­trag halten; halte ich sie oder ihn für dumm, ihr oder sein Ver­halten für schwer fehler­haft, kann es sogar eine "Stand­pau­ke" sein.

Zusam­men­fassung: Eine Vor­le­sung wird an Bildungsstätten von Lehr­körpern im Rahmen eines festen Programms gehalten. Vorträge kann jede und jeder halten, der oder die etwas zu sagen hat, ganz gleich, ob Wissen­schaftler oder nicht. Auch der Ort des Vortrags ist frei.

Obdachlose gegenüber der Sorbonne
Merksatz: In der Regel kann eine obdachlose Person einen Vortrag über das Leben auf der Straße halten, aber keine Vor­le­sung. (Es sei denn, er oder sie ist Soziologe, die Woh­nungs­frage steht auf dem Lehr­plan und er oder sie lebt im Hotel oder bei Freunden. Dann ist er oder sie im ei­gent­li­chen Wortsinn aber nicht obdachlos. QED.)

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Foto: C.E.

Mittwoch, 21. August 2019

Bummelant

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, München, Hannover und dort, wo Sie mich brauchen. Wer so viele Orte nennt, spricht auch gerne über den Zugverkehr.

Kopfbahnhof, Detail am Gleis
Manchmal geht nichts mehr
Der­mal­einst hießen die Bahnen, mit der un­se­re Groß­müt­ter ein­schweb­ten, die "Ei­sen­bahn" oder die "Reichs­bahn", was als Begriffe alt, staubig und nach nicht im­mer rost­frei­em Metall geschmeckt hat. Sie hat­ten einen großen Vorteil: Sie ver­kehr­ten hoch­pünkt­lich und zu jeder Jahres­zeit.

Damals fuhr im Kinder­zim­mer die Bim­mel­bahn aus Holz. Und heute spre­che ich oft von der Bummelbahn. Ich bin Viel­fah­re­rin. Einer­seits reise ich für den Beruf, an­de­rer­seits aus Kultur­in­ter­esse, am häu­figs­ten aber aus pri­vaten Grün­den. So ist das, Teil ei­ner Familie zu sein, in der es nicht nur vie­le Men­schen gibt, son­dern diese auch schön alt werden.

Jede zweite Verbindung ist fehlerhaft, zu spät, manch­mal nur fünf Minuten, nicht selten er­heb­lich längerm, oft klappt auch noch etwas anderes nicht: Mal pfeift die Klima­an­lage ohren­be­täu­bend, mal funktioniert sie gar nicht; die Monate, in denen das nicht auffällt, sind gar wenige, ich würde das eher Tagen bezif­fern. Nicht sel­ten fehlt im Speise­wa­gen das heiße Wasser, dann bleibt halt die Küche kalt. Pas­send dazu ist in der Regel auch die eine oder an­dere Toilette ge­sperrt. Wer nichts isst, der/die muss auch nicht ...

Scherz beiseite. Neulich hieß es: "Personen im Gleis". Das scheint die pietis­tische Variation von "Notarzt im Gleis zu sein", was wiederum nicht ganz so schlimm klingt wie "Unfall mit Personen­schaden". Ergeb­nis: Etliche Züge wur­den ersatzlos ge­stri­chen. Dumm nur, dass auch der letzte Zug nach Berlin dabei war. Die Aus­kunft (neudeutsch: "Infopoint") war übervoll; ein Bahner, der am Gleis be­stürmt wurde, gab nachweislich falsche Antworten, darunter "Die Bahn muss bei hö­he­rer Ge­walt nichts zahlen!" Englisch sprach der Betreffende auch nur allzu broken, aber Fehlinfos gehen gar nicht. Vor auslän­di­schen Gäs­ten schä­me ich mich im­mer wie­der für die Bahn ... nicht nur Flugscham, jetzt also auch Bahn(fremd)­scham.

"Nur schnell raus aus dieser Stadt!", habe ich mir gesagt. Ein Bereich der Gleise des Kopf­bahnhofs war noch nutzbar. Es ist die süddeutsche Großstadt, in der man trotz War­nun­gen Tunnel durch quell­fähiges Gestein baut und Bahn­steige, die nicht eben sein werden, also eine Ge­fahr darstellen für rol­len­des Material wie Roll­stühle, Kof­fer, Kinder­wa­gen, und die beteiligten Passanten.

Es war durch­aus stürmisch am Wochen­ende. Wenig später stand auch mein Not­fall­zug. Gestan­den hat auch ein Teil der Pas­sa­giere. Lang. An Arbeiten war nicht zu denken, es gab natür­lich weder Strom noch Wlan. In Richtung Speise­wagen war kein Durch­kom­men, der Zug war wirklich zu voll. Daneben waren prompt alle Toi­let­­ten ge­sperrt, da sie nur elek­tro­nisch aufgehen. Irgend­wann ging es dann doch weiter. Es gab Hotel­voucher "aufs Haus" ... trotz höherer Gewalt. (Ist auch aktu­elles eu­ro­pä­isches Recht.) So schnell kann eine Halb­ta­ges­reise zur Lang­strecke werden, in Zeit ge­rech­net. Ein Aben­teuer, über das sich später den En­keln be­rich­ten lässt. So sorgt die Bahn für Familien! Danke, deutsche Bum­mel­bahn!

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Foto: C.E.

Dienstag, 20. August 2019

Getroffen

Was Über­setzer und Dol­met­scher beschäf­tigt, können Sie hier mitlesen. Seit vie­len Jahren be­rich­te ich über diese Berufe und meinen sprach­be­ton­ten Alltag. Dabei denke ich viel über das Material meiner Arbeit nach, die Sprache.

"Nailed it!", zwei Silben. "Auf den Punkt!", drei Silben. "Punkt­lan­dung", eben­falls drei.

Spiegelei wird an die Wand genagelt
Kein Serviervorschlag
Sprache schwankt ständig zwischen ma­xi­mal­mög­li­cher Genauigkeit und mi­ni­mal­mög­li­cher Ausführlichkeit. Diese Prag­ma­tik wird durch Moden beein­flusst. Derzeit, wo eng­lisch­spra­chige Länder der Takt an­ge­ben, hat der erste Ausdruck bessere Chancen, bald auch in Deutschland von jedem verwendet zu werden.

Erst wenn die mittel­alte Bau­ers­toch­ter auf dem Dorfe in der deut­schen Pro­vinz, die neben Näh­zeug- und Schreib­wa­ren­verkauf vier Mal die Woche für drei Stun­den auch die örtliche Poststation versieht, "nailed it!" sagt, oder der Se­nior­chef des dortigen Le­bens­mit­tel­la­dens, hat es die Re­de­wen­dung geschafft.

Die Langfassung von "nailed it", "das trifft den Nagel auf den Kopf", hat nur noch bei bewussten Ent­schleu­ni­gern eine Chance. So wie bei mir. Wobei ich alle Re­de­wen­dun­gen verwende, denn ich liebe Ab­wechslung.

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Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 19. August 2019

Auf dem Schreibtisch (LIII)

Über den Arbeitsalltag einer Dolmetscherin können Sie hier einiges lesen. Wenn ich nicht Konferenzen vertone, sitze ich am Über­set­zer­schreib­tisch. Blick auf den Schreibtisch!

Heute: der 53. Blick auf meinen Schreib­­tisch. Dieser Tage geht es um:

Draußen arbeiten ...
Open air-Büro
⊗ Un­tertitel­lek­to­rat (für ein Festival)
⊗ Pleitefirma (für einen Lie­fe­ran­ten)
⊗ Mahnwesen (für mich selbst)
⊗ Küchenbestellung (für einen Bauherrn)
⊗ Energie­wirt­schaft (für den Herbst)
⊗ Bodengesundheit (für alle)
⊗ Soziale und solidarische Ökonomie (auch für alle)

Die Sommerruhe wird in abseh­ba­rer Zeit enden. Wir mer­ken es schon an den Bu­chun­gen.
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Foto: eigenes Archiv

Museum der Wörter 24

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Was ein Buchstabe ausmachen kann! Wir hatten hier letztes Jahr den Rindergarten, die Froschung und die Schweinwerfer. Konzentrieren wir uns heute auf den Beruf.
                  
             Das Gericht verzichtet auf die Hinzuziehung eines beleidigten Gerichtsdolmetschers. Die anwesende Kon­fe­renz­dol­met­scherin wird ad hoc beeidigt.

             Dieser beleidigte Dolmetscher ist der Berufskollege des Simulantdolmetschers.
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Idee: H.F.

Sonntag, 18. August 2019

Verbindungen

Was Über­setzer und Dol­met­scher beschäf­tigt, können Sie hier mitlesen. Seit vie­len Jahren be­rich­te ich über diese Berufe und meinen sprach­be­ton­ten Alltag. Was macht die Dolmetscherin an einem verregneten Sonntagvormittag? Nun, sie dol­metscht. Sonntagsfotos!

Beine auf Holzboden, Punkte, alles ist miteinander verbunden
Verbindungen
Wir sitzen am Boden in einem Kreis. Um mich herum krei­sen Ta­schen­tü­cher. Beim Dol­met­schen rücke ich etwas näher an "mei­­nen" Fran­zo­sen ran, damit ich andere, die aus mei­ner Pers­pek­ti­ve zu direkt vor einem Fenster hocken, besser sprechen sehen kann. Je mehr Men­schen im Raum ihre Ta­schen­tü­cher auch be­nut­zen, desto mehr muss ich von den Lip­pen ablesen.

Nicht nur ich werde jetzt schlechter verstehen, denke ich, die andren auch, zumal ich ja ständig reinquatsche. Also richte ich mich auf, strecke das Kreuz durch, at­me in den Unterbauch hin­ein, lockere das Zwerch­fell, deute beim Zuhören kurz ein Gähnen an, lockere damit den Gaumen, vergewissere mich meines eigenen Re­so­nanz­kör­pers und artikuliere kurz darauf klarer und mit mehr Volumen.

Blumen: rot, gelb
Farbenspiel ...
Das Ganze kommt mir wie eine Psychotherapie zu zwölft vor. Neben der Therapeutin ist eben auch eine Dol­met­sche­rin dabei. Alle 14 können be­quem atmen in diesem zum Yoga­saal aus­ge­bau­ten, luf­ti­gen Dach­ge­schoss. Wir befin­den uns in irgendeinem Ber­liner Kiez in ein­em ehe­mals be­setzt­en Haus.

Es beherbergt heute ein großes Wohnprojekt ist und gehört den Bewohnern selbst. Wo viele Köpfe sind, sind auch viele Nationen, Sprachen, Miss­ver­ständ­nis­se, Kon­flik­te, Bles­su­ren.

Worum es geht, kann ich emotional nachvoll­ziehen. Den Kloß im Hals bekom­me ich durch die bewusste Kon­zen­tration auf die Sprech­technik weg. Schreiben werde ich weiter nichts darüber, Inhalte sind Berufs­geheimnis und bleiben vor Ort. Die Er­grif­­fen­­heit im Saal wächst von Mi­nu­te zu Mi­nu­te. Je an­spruchs­vol­ler die Inhalte wer­den, desto ruhi­ger wird mei­ne Stimme. Am Ende das große Versöh­nen. Kaffee­pau­se.

Bevor ich gehe, wird mir ein durchaus schon sehr erwachsener Mensch, der aus dem globalen Süden zu­ge­wan­dert und der des­halb mehr­spra­chig ist, au­gen­zwin­kernd sagen: "Das will ich auch mal können, wenn ich groß bin!"

Ein anderer lässt ein: "Du bist ja viel zu kost­bar für uns profane Groß-WG!" fallen. 

Blaue Passionsblume
... im Garten
Ich antworte, dass alles rich­tig so ist und dass ich manch­mal das Gefühl hätte, zu kost­bar für die Mi­nis­ter zu sein. 
Zu­frie­den trete ich meine Rück­reise quer durch die Stadt an. In einigen Wo­chen geht es weiter, ver­mut­lich dann an einem Werk­­tags­­nach­mit­tag mit etwas weniger Zeit.

Auf der Fahrt nach­hau­se, alle Gefü­­hle aus dem Dach­ge­schoss rau­schen noch­mal richtig durch mich hin­durch, tröste ich mich und bewundere Blumen.

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Fotos: C.E.

Samstag, 17. August 2019

Le waldsterben

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Spra­chen­welt. Ich bin Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Samstag kommen meine Links der Woche, dieses Mal nicht wochenaktuell, dafür steht das Thema leider ganz oben auf den Nachrichtenseiten des Sommers.

Baumstumpf, auf dem eine Rose liegt
Trauer über Baumverlust
Ein deutsches Wort meiner Kind­heit hat es leider in an­de­re Sprachen geschafft: the oder le wald­ster­ben. Das soll in Brüssel übrigens auch für den Begriff the/le/der Spit­zen­kan­di­dat gelten, nur die (Nicht)-Spit­zen­kan­di­dat­in ist plötzlich deutsch. Sie lesen meine leise Kritik. Ich bin an der DDR geschult. Nein, das war jetzt keine po­li­ti­sche Äu­ße­rung.

Die taz und Die Zeit haben diesen Som­mer über das alt­neu­e Lei­den der Bäu­me be­rich­tet. Jetzt ist alles online. Aufforstung könnte ein Teil der Lösung der Klima­ka­tas­tro­phe sein. Aber wir müss­ten schnell an­fan­gen und Ab­holzungen politisch ver­hindert werden.

Eine Wald­bi­lanz ziehen Förster, die immer ratloser werden: Die Zeit titelt: "Die Dürre trifft den deutschen Wald im Herzen". "Der Wald stirbt leise" schreibt die taz.

Anderer Link, der ist noch älter: Viele Menschen in Deut­schland sprechen nicht mehr offen. Nur noch 20 Prozent äußern sich einer Allensbach-Studie aus dem letz­ten Mai zufolge frei von der Leber weg. Hier der Niederschlag, den die Studie in der Zeit fand. Ich höre in mei­nem Um­feld immer öfter Ver­gleiche der Stim­mung hierzulande mit jener, die Ende der 80-er Jahre in der DDR geherrscht hat, sowas befinden nicht nur Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker.

Der große Un­ter­schied zu damals: Wir dürfen uns frei äußern, dafür droht hier kein Gefäng­nis. So viele halten op­por­tu­nist­isch mit ihrer Meinung hinter dem Berg, dass es wehtut. Aber mit der freien Meinung ist es exakt so wie mit Muskeln und der Kenntnis frem­der Sprachen: Wenn wir sie nicht nutzen, verschwinden sie.

Wir müs­sen also ler­nen, in der Umwelt­krise den Öko­no­men mit ihren urei­gens­ten Me­tho­den zu be­geg­nen. Nicht nur Schü­ler können rechnen. Die Kosten, die die Kli­ma­ka­tas­tro­phe in einigen Jahren bis Jahrzehnten verursachen wird, wer­den sehr viel höher sein als die Kosten, die heute und morgen aufzu­brin­gen sind, um sie zu |ver­hin­dern| verringern. Sie ist längst da. Es ist hohe Zeit.

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Foto: C.E.

Freitag, 16. August 2019

Schreibhilfe

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Sprache (und aus dem Englischen). Diesen Sommer denke ich über unsere Kunden nach.

Kleinkind mit Stift und Schreibblock in der Hand
Skandal: Kinderarbeit!
Neu­lich, wir haben ohne Dol­met­scher­kabine gearbeitet, im Duo. Die ge­neig­te Zu­hö­rer­schaft kam auch nicht allein. Mit von der Partie: Ein jun­ges Paar mit zwei kleinen Kin­dern. In den Dol­metsch­­­pau­­­sen ging es los. Erst ka­men die Klei­nen zu uns, dann liehen sie sich unser Arbeits­ma­te­rial, später un­ter­stütz­ten sie uns beim No­tie­ren von Fach­be­grif­fen.

Am Ende habe ich sogar mit Krab­bel­kind auf dem Schoß ge­dol­metscht. Die Eltern saßen in Sicht­weite und waren inhalt­lich genauso be­schäf­tigt wie wir. Sie haben das ge­na­uso normal gefunden, wie das Mini.

Und ja, eine der­art freund­liche Dol­metsch­hilfe wie diese Lütte hatte ich lange nicht! Wir habe sie am Ende unsere kleine Prak­ti­kan­tin genannt.

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Foto: C.E.

Donnerstag, 15. August 2019

In 2019

Hallo, hello, bon­jour, beim ersten Blog Deutsch­lands aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine und darüber hinaus. Hier berichte ich regelmäßig über meinen Alltag — auch als Über­setz­er­in. Gerade ist es ruhig, die Stadt ist fast noch in der Som­mer­pau­se.

Kleiner Leser als Schablone (Berliner Hauswand)
Kleiner Leser
Das macht Sinn: In 2019 wer­den wir Mei­len­stei­ne mar­kie­ren. Am Ende des Tages kön­nen wir uns alle uns zu­rück­leh­nen und chil­len. Aber dann kri­ti­siert das wieder je­mand, ich bin aber fein damit. Wir müs­sen doch außer­halb der Box denken!

Zu Hülf! Dieses schei­net gar schröck­lich trans­latie­ret zu sein und bar jeden Geschicks!

OK, jetzt bin ich doch nicht einver­standen bzw. I'm not fine with that. Da hatte der Kritiker aber echt einen Punkt, he's got a point für "da hat er recht" oder "in dem Punkt hat er recht". Think outside the box bedeutet Quer­denken und das Be­schrei­ten neuer Wege. OK, einfach nur engliche Begriffe wörtlich zu über­tragen ist noch kein neuer Weg. Das wusste man schon in früheren Jahr­hun­derten.

Was fehlt noch oben von der Liste? At the end of the day bedeutet "schließlich" und "letztendlich". "Am Ende des Tages" bedeutet im Deut­schen nicht übertragen wie im Engli­schen "letzt­endlich", sondern bezeich­net konkret den Abend eines bestimm­ten Tages.

Last but not least ist "in 2019" ein fetter Angli­zismus, bei manchen Rednerinnen und Rednern aber auch ein Gallizismus, dann leitet sich der Fehler aus dem Fran­zö­sis­chen ab, wo en 2019 ja sehr ähnlich klingt und richtig ist.

Auf Deutsch sagen wir: 2019 wird Deutsch­land seine Kli­ma­ziele dramatisch ver­feh­len. Wir hoffen, dass es im Jahr 2020 hof­fent­lich nicht mehr ganz so schlimm sein wird: To achieve / to mark milestones (siehe oben).

Wie dem auch sei, ich komme bald wieder auf Sie zu, I'll get back to you soon. Nein, bald sprechen wir erneut darüber.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 14. August 2019

Sprachspiel

Wie leben, ar­bei­ten und den­ken Dolmetscher? Wie ver­än­dert der Be­ruf ihr bzw. un­ser Leben? Da­rü­ber und über di­ver­se ty­pi­sche Situatio­nen aus der Ar­beit denke ich hier im 13. Jahr nach. Ich zähle zu den Fran­zö­sisch-Dol­met­schern, arbeite aber auch mit Eng­lisch (als Ausgangs­sprache). Tätig werde ich in Paris, Berlin, München, Cannes, Frankfurt, Lyon und dort, wo Sie mich brauchen.

Vertraute Hände
Wie beeinflusst der Be­ruf den Alltag? Wir spie­len mit Wör­tern ... oder die Wör­ter spie­len mit uns. Wir werden zum Me­dium für die Aus­sa­gen an­de­rer, die durch uns hin­durch in die an­de­ren Spra­chen rei­sen. "Wir den­ken mit dem Rücken­mark" beim Dol­met­schen, es pur­zelt direkt aus uns heraus, der Logik der Sprache des Vor­red­ners, des Haupt­red­ners, auf der Spur.

Und ich kann sogar im Halb­schlaf spre­chen. Für Außen­ste­hen­de klingt es so, als wäre ich schon wach. Für das di­rek­te Um­feld ist das in­des kei­ne Über­raschung mehr.

Nach diesen langen Vorreden sind wir endlich unter uns. Im Som­mer so­wie­so, da die halbe Re­pu­blik noch im Ur­laub ist. Daher kann ich mir heute etwas er­lauben, was sonst gar nicht ginge. Ich werde ero­tisch.

Am Morgen sammelt mensch ge­wöhn­lich alle Kör­perteile zusam­men. Das ge­schieht meist wort­los und einsam. Es geht aber auch mit Gegen­über.

Der Mann an meiner Seite hat sich neulich beim Fußball­spiel eine leichte Zerrung zugezogen. Daher kam es heute früh zu folgendem Monolog:
'Was macht das Kreuz, mein Herz?'
... fragt Caro. Das klingt ja
wie ein Kartenspiel.
'... und wie geht's eigentlich
Pik?'
"Du, mein Sprach-Ass!", hätte mein Gegenüber ant­wor­ten können. Hat er aber nicht. Er ist ja kein Dolmet­scher. Dann ging die Kommunikation wortlos weiter.

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Foto: C.E. (Archiv)

Dienstag, 13. August 2019

Chipperfield-Neubau mit Café

Hallo! Sie lesen im 1. Blog Deutschlands aus der Inneren der Dolmetscherkabine. Ich bin Französischdolmetscherin und -übersetzerin, derzeit allerdings im Ur­laubsmodus, denn es ist allenfalls Vorsaison.

James-Simon-Galerie
Treppe mit Lichtspielen
Was macht die Dolmet­scherin in der Vor­sai­son? Sie übersetzt. Sie plant Ter­mine. Sie lernt für die nächs­ten Ein­sätze. Sie liest Bücher. Und sie testet Restau­rants für das Rahmen­pro­gramm von Veranstal­tungen mit Gästen. Wir bera­ten immer gern bei der Auswahl von Dol­met­sche­rin­nen und Dolmet­schern, aber auch von Be­sich­ti­gungs­zielen und Restaurants.

Die James-Simon-Galerie des Neuen Mu­se­ums habe ich noch nicht bis ins letzte Eck bei allen Tages- und Nacht­zei­ten be­sucht. Der erste Ein­druck ist gut. Uns hat vor al­lem das Museums­café "Cu29" in­ter­es­siert. Vor der abschlie­ßen­den Res­tau­rant­kri­tik wer­de ich noch ein-, zwei­mal hingehen.

Wir aßen eine Erbsensuppe, die sehr fein im Geschmack war und dekoriert wie eine japanische Lackschatulle: Ein wunderbares Gemälde aus Sprossen in hell­grü­nem Sud. Später förderte der Löffel halbe Weintrauben zutage. Eine schöne Er­gän­zung.

Übergang zum Neuen Museum
Mit halben Säulen wie im Pariser Palais Royal
Hauptgang: eine Back­kar­tof­fel. Sie wur­de eben­falls mit Spros­sen sowie dem be­kann­ten Kräuter­rahm ser­viert. Interessant war hier der farb­li­che Kontrast der oran­ge­far­be­nen Süßkartoffel zum Rest der Veranstaltung. Schmorgürkchen als aro­ma­ti­scher Kon­trast wa­ren eine gute Idee. Lobenswert: Es wurde kei­ne Alu­folie zum Backen benutzt.

Den Service mit und um Betriebsleiterin Isabell Wendel fanden wir sehr auf­merk­sam und zu­ge­wandt, vor allem bei Allergien; die Preise der kleinen Gerichte von Küchen­chef Veit Kuschkow sind für die Berliner Innenstadtlage zivil.

Blick aus dem Restaurant
Kleine Tagesgerichte und Variationen der Berliner Stulle würden auf den Tisch kom­men, war zur Eröffnung des "Cu 29" (der be­nach­bar­te Kupfer­gra­ben lässt grüß­en) zu lesen. Bei Sonne und weniger Wind als an un­se­rem Be­suchs­tag of­fe­riert die Ter­ras­se neue und bis­lang un­ge­wohnte Pers­pek­tiven.

Bau­lich war ich vor allem vom Schat­ten­spiel die­ses neuen zen­tra­len Mu­se­ums­ein­gangs angetan. Mehr über die Galerie von Architekt David Chip­perfield (vielleicht) nach mei­nem nächsten Besuch. Als Dol­met­sche­rin muss ich im­mer sehr schnell ent­schei­den, als Pri­vat­per­son las­se ich mir ger­ne Zeit in man­chen Din­gen.
   
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Fotos: C.E.

Montag, 12. August 2019

Krimskrams und Co.

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­ar­bei­terin werde ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort tä­tig, wo man mich braucht. Vor der Saison lese ich zwei Stunden täglich Zeitung, verschlagworte Begriffe, übersetze Film­texte, lese Unter­titel gegen und ...

Dieser Tage krimskrame ich. Hier gibt es einiges zuviel an Krimiskrams. Ich ha­be mir beim Aufräumen über­legt, ob dieses Substantiv wohl im Singular steht oder ob das bereits der Plural ist.

Für französische Augen wäre die Sin­gu­lar­form diese da: Der Krimskram, denn das "S" bezeich­net den Plural. Über das Singular kam ich auch aufs Verb.

Weitläu­fig mit diesem Begriff ist das Wort "Kuddelmuddel" ver­wandt, das sind die Dinge, wenn sie sich in gewisser Unordnung befinden, z.B. der verfitzte (sächsisch für 'verknotete') Kuddelmuddel aus Socken und Knie­­strümpfen, der frisch aus der Wäsche­trommel purzelt; dieser Begriff kann auch im Über­­tra­­genen ver­wen­det wer­­den.

Diverse Pflanzen in unterschiedlichen Formen, zum Teil im Gegenlicht
Blumenfenster, mehretagig geschichtet

Ganz be­son­ders liebe ich im Kontext der per­so­nal be­longings übri­gens die Wört­chen "Sieben­sachen" und "Hab­se­lig­kei­ten". Die sieben wich­tigs­ten Sachen ist in der Tat die Habe, die mich se­lig macht. In­des, mit sieben ist es leider nicht getan. So sehr ich Mini­ma­lismus zuhause liebe, eine eher unglück­li­che Liebe übrigens, das geht dann doch nicht.

Es sei denn, die berühm­ten Sie­ben dürfen wir so zählen:
— die Bibliothek
— die Kunst- und Foto­samm­lung (nichts von Wert, aber alles emotional besetzt)
— die geerbten, ertrö­del­ten und zum Teil auf der Straße ge­fun­de­nen Möbel
— der Platz für Familie und Gäste
— die Küchen­aus­stat­tung
— die Pflanzen
— das Bett.

Nicht erwähnt habe ich jetzt Büro­tech­nik, Sound­archiv, Musik­archiv et cetera, aber das sind ja die schie­ren Be­rufs­not­wen­dig­kei­ten.

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Fotos: C.E.

Sonntag, 11. August 2019

Kressezoo

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Sprache (und aus dem Englischen). Sonntags werde ich privat.

Visuell dreht es sich hier derzeit oft um Pflanzen, vor allem um jene aus Balkon- und Hof­gar­ten. Das hat seinen Grund.

Als Sprach­ar­bei­te­rin könnte ich das so erklären: Bildung braucht Zeit für Wachs­tum, braucht regel­mä­ßige Pflege. Das gilt auch für Kennt­nis­se in den Be­rei­chen Spra­chen und Landes­kunde. Darin ähnelt die per­sön­liche und berufliche Bildung dem Gärt­nern. Außerdem ge­nie­ße ich mein Balkonien gerade sehr. Ich freue mich, dass ich schon im Früh­som­mer im Kurzurlaub war. Volle Autobahnen, Sehens­wür­dig­keiten und Restau­rants sind nämlich nicht so mein Ding.

Ich genieße also unsere Woh­nung in Berlin. Die deutsche Haupt­stadt ist im Sommer ein sehr angenehmer Ort, und Sommer ist eigentlich die beste Jahreszeit hier. Wa­rum also wegfahren? Ich fahre trotz­dem sehr oft weg, mittel­lange Kurztrips, und überlasse den anderen die Pflanzen­pflege. Nicht nur Kinder werden älter, auch Eltern, bis dann die großen Kinder wieder mehr Zeit mit ihnen verbringen dür­fen. Und wer öfter zwi­schen den Städten seiner Kindheit und Jugend und dem ei­genen Lebens­umfeld wech­selt, nimmt Orte plötz­lich bewusster war.

Kresseschwein mit Rucolasaat

Was auch für Gegenstände gilt. Das hier ist ein Kres­se­schwein. Es ist das Über­le­bende eines Kres­se­schwein­duos. Es zählt zu meinen frühen Kindheitserinnerungen. Ich verbinde es mit meiner Mutter, die sie einst auf einem Handwer­kermarkt er­wor­ben hat. Lei­der haben sie bei ihr nie funktioniert. Sie standen des­halb auf schön de­ko­rier­ten Fens­ter­bret­tern herum.

Kressezoo (Internetfund)
Irgendwann mussten wir als kin­der­rei­che Fa­mi­lie umziehen. Die Fen­ster­bän­ke im neu­en Haus wa­ren schmal, die „Schwein­derl“ lan­de­ten im Kel­ler. Im Öl­kel­ler, um ge­nau zu sein. Als ich sie dort vor zwei Jahren ent­deckt habe, stan­ken sie gräß­lich nach Heiz­öl, das heile und das ka­put­te. Das eine wan­derte in den Müll, das an­dere auf den Ber­li­ner Bal­kon — zu Deko­zwecken (und zum Lüf­ten).

Und nun, inzwischen riecht es wieder frisch, habe ich das Tontier sogar ausprobiert. Da ich mich des Kres­se­fias­kos mei­ner frühen Kindheit entsinne, ha­be ich das Schwein­chen vom ers­ten Tag an in ein Fußbad ge­stellt. Und siehe da: Es funktioniert doch!

Manche Dinge brau­chen Zeit, um uns ihre Ge­heim­nis­se zu ver­raten. Die Berliner Woh­nung ha­ben wir auch erst peu à peu ein­ge­rich­tet. Zu­nächst muss man sich ja erst mal ken­nen­ler­nen. Und seine Alltags­gesten am neuen Ort beob­achten, die auch die Zu­ord­nung von Stell­flä­chen und das Er­ken­nen von Bedarf erleichtern.

Bei diesem Kresseschwein werde ich mein Leben lang an meine Eltern denken, denn hier verbindet sich Vaters Erbe, der grüne Daumen, mit Mutters Erbe, dem Hang zum Schönen, Ausgefallenen.

Das Hirn sucht weiter nach einer französischen Entsprechung des Worts "Kres­se­schwein". Beim Suchen im Netz fin­de ich ei­nen Lie­fe­ran­ten ähn­li­cher Teile aus Me­xiko, der auch Kresse­la­mas und -pilze ver­treibt (siehe Fotostreifen). Dabei er­fahre ich, dass unser Kres­se­schwein eigentlich eine Kres­se­schild­kröte ist. Da­mit sind mei­­ne rein formalen Bedenken zu diesem Wesen endlich beseitigt. Und viel­leicht be­kommt das Über­le­ben­de bald wieder einen Partner. Die Viecher sind üb­ri­gens Fair Trade. Sehr char­mant das alles! Um die Fa­mi­lien­ge­schich­te voll­stän­dig zu ma­chen, wäre eine Kres­se­schnecke perfekt. Ob ich den Hersteller anschreibe? Hier der Link: Tumia/Tumi.co.uk (auch über Ebay erhältlich).

Vokabelnotiz
peu à peu (DE) — in Frankreich würde hier petit à petit vorgezogen
hérisson à cresson — Kresseigel (gefunden im Internet)

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Fotos: C.E. und Tumia (von mir bearbeitet)

Freitag, 9. August 2019

Auf dem Schreibtisch (LII)

Über den Arbeitsalltag einer Dolmetscherin können Sie hier einiges lesen. Wenn ich nicht Konferenzen vertone, sitze ich am Über­set­zer­schreib­tisch. Blick auf den Schreibtisch!

Heute der 52. Blick auf den Schreib­­tisch. Diese Woche ging und geht es um:

⊗ Untertitellektorat
⊗ Reise­planung in Sachen Be­­triebs­­kü­che, Berg­bau und Energie­wirt­schaft
⊗ All­ge­­mei­ne Politik (mise à jour)
⊗ Kostenvor­an­schläge
⊗ Buch­hal­tung und Mahn­we­sen
⊗ Korrespon­denz mit Zeit­zeu­gen im Rah­men einer Film­her­stel­lung
⊗  Agroökologie, Aquaponie, Agro­forst­wirt­schaft, Perma­kultur (Auffrischung)

Ansonsten herrscht noch Sommerruhe. Erste Termine für die Saison 2019/20 sind vegeben (bis zum Juli 2020). Es sind aber noch (wie zu dieser Jahreszeit üblich) Ka­pa­zi­tä­ten frei!

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Foto: eigenes Archiv

Donnerstag, 8. August 2019

Microsoft-Scam

Hallo! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in. Fran­zö­sisch ist mei­ne akti­ve, Eng­lisch meine passive Sprache. Ich arbeite für Politik, Wirtschaft und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Landwirtschaft und selten, ganz selten, auch in technischen Bereichen (Energie und Architektur). Wer sein eigenes Büro führt, hat Verantwortung und bekommt manchmal schräge Anrufe.

Unsere Fest­an­schluss­num­mer nutzen nur we­ni­ge Men­schen. Sie ist nicht ge­heim. Heute klin­gelte es mal wieder.

PC-Monitor von 1987
Unterm Schreibtisch fand sich einst dieses museale Stück an
Ein Fremder war dran, sprach Eng­lisch mit starkem Akzent und klang, als würde er ein Papier ablesen.

Er: "Guten Tag, ich rufe von Microsoft an, mein Name ist Ken. Haben Sie Computer?"
Ich: "Ja, warum?"
Er: "Auf ihrem Rechner ist ein Virus. Sitzen Sie am Com­pu­ter? Schalten Sie bitte einen Remote-Zugang für uns frei. Ich sage Ihnen dann Schritt für Schritt, was zu tun ist."
Ich: "Warum sollte ich?"

Er: "Wir müssen das sofort reparieren. Ihr Computer ist gehackt und greift andere
Computer an."
Ich: "Woher wissen Sie das?"
Er: "Wir haben eine Sicherheitswarnung mit ihrer IP-Adresse in unserem Windows-System festgestellt ...!"
Ich: "Dann nennen Sie mir bitte die IP-Adresse!"

PC-Monitor von 1987: Ç, ç, â etc.
Ausschnitt: ASCII-Code mit Sonderzeichen
Er ... nennt eine falsche Zah­len­fol­ge.
Ich: "Das ist nicht unsere IP-Adresse. Falsch ver­bun­den."
Er: "Haben Sie einen Proxy-Server?"
Ich: "Schon mög­lich. Wissen Sie, ich arbeite für den Ge­­heim­dienst. Da wurde mir letztens eine ge­si­cher­te Lei­tung gelegt. Und Ihre wahren Daten wurden auf­ge­zeich­net."
Er hängt ein.

Solche Gespräche lasse ich jetzt gerne ein wenig dauern, wenn ich es nicht eilig habe. Solange er mit mir telefoniert, kann er wo­an­ders kei­nen Unsinn anrichten. Beim ersten Mal war das Telefonat ganz kurz. Anschließend folgen einige Va­ria­tio­nen von Freun­den und Kol­legen (über soziale Netzwerke ausgetauscht). Mei­ne Kurz­variante: "Aber wir haben gar kein Mi­cro­soft, nur Li­nux und Apple!"
Variation Angelika: "Nein, nein, ich habe keinen Com­pu­ter. Haben Sie einen?"
Variation Wolf: "Nein, aber mein Sohn hat einen. Er ist auch bei Mi­cro­soft. Möch­ten Sie ihn sprechen?"
Variation Britta: "Ich weiß, dass wir einen Vi­rus haben, mein Mann ist schon dran. Er ist Po­li­zist."
Variation Pierre: "Sie sprechen mit der Staats­an­walt­schaft. Wir können den Anruf zurück­ver­fol­gen, auch wenn er ver­schlüs­selt ist."
Variation Anne-Laure ... sie nutzt die Vuvuzela, die neben ihrem Bücherschrank steht.
Variation Petra und Uta: "Ich bin zu alt für einen Computer!"

PC-Monitor von 1987: "Nulle dies sine linea"
Kein Tag ohne Zeile
Die letzte Lösung gefällt mir nicht. Sie könnte als Ein­la­dung für an­de­re Be­trugs­­ma­schen miss­ver­stan­den wer­den. Wer jetzt noch nicht weiß, wo­rum's hier geht: Mit sol­chen "Tricks" ver­su­chen bö­se Men­schen, Zu­griff auf frem­de Rech­ner zu er­halten, um ihre Opfer aus­zu­rau­ben oder zu erpres­sen. Mi­cr­osoft würde nie PC-Be­sitzer an­ru­fen, sagen Fach­leute, wirklich nie.

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Fotos: C.E. (Archiv, die Technik ist entsorgt)

Mittwoch, 7. August 2019

Donnerbalken

Was Fran­zö­sisch­über­­set­­zer und -dol­­met­scher be­­schäf­­tigt, können Sie hier mit­le­sen, zumindest aus meiner Pers­pek­ti­ve. Heute ein weiterer Eintrag in meinen "Sprachschatz".

Ölgemälde: Soldat
Le Poilu (1917)
Und dann fie­len die Worte "Don­ner­balken" und "Sickergrube". Es war eine Kon­fe­renz über das Ende des 1. Welt­kriegs. Es ging um die Le­bens­be­din­gun­gen an der Front. Die Kol­le­gin rollte mit den Au­gen. Ich übernahm, weil beide Be­grif­fe, Adrenalin sei dank, plötz­lich hoch­prä­sent wa­ren. (In ein­em ru­hi­gen Um­feld hätte ich auf die Fra­ge nach den Vo­ka­beln sicher mit dem Kopf ge­schüt­telt.)

Der Grund dafür ist schnell erklärt. Ich hat­te vor einigen Jahren mal für einen Pri­vat­kun­den Kor­res­pon­denz be­trie­ben und Te­le­fo­na­te ge­führt. Es war um ein Fe­rien­haus in der Nor­man­die ge­gan­gen, Erb­stück einer ent­fern­ten Tante, das noch nicht an die Ka­na­li­sation an­ge­schlos­sen war.

In Frankreich müssen Altlasten wie eine Sickergrube vor dem Verkauf einer Lie­gen­schaft beseitigt oder mindestens die Folge­kosten von einem aner­kannten Gut­ach­ter ermittelt werden, die an­schließend in den Kauf­ver­trag eingehen. Eine Kopie des Gut­ach­tens geht an die ent­spre­chende Ver­wal­tung; der neue Eigen­tü­mer hat ab Kauf zwölf Monate Zeit, um die In­ves­ti­tio­nen zu tätigen.

Von dieser Über­setzungs­arbeit war mir das Wort fosse septique übriggeblieben, der "sep­ti­sche Gra­ben". Auf einer privat besichtigten Aus­stellung am Rande der Schlacht­felder dieses Welt­kriegs habe ich mir das Wort les feuillées eingeprägt als Wort für von den Soldaten selbst­gebaute Latrinen an der Front.

Das waren einerseits Zufalls­treffer, andererseits ist das ein Beleg dafür, dass wir gut beraten sind, auch Privat­kunden ernstzu­nehmen und auf eigenen Bil­dungs­rei­sen auch vermeint­lich abseitiges Vokabular nicht zu ignorieren.

Vokabelnotiz
le poilu, les poilus — Frontsoldat(en) des 1. Weltkriegs.
Deut­sche Ent­spre­chung: der/die Landser

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Bild von Théophile-Alexandre Steinlen.
Photograph by Ji-Elle, gemeinfrei

Montag, 5. August 2019

Akustikhölle

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Sprache (und aus dem Englischen). Diesen Sommer denke ich über Kunden und Arbeitsumfeld nach.

Und dann war da noch die Besprechung in der Berliner Gästewohnung einer Firma: Neubau, alles teures Design, Metall, Leder, Beton mit Blick auf edelmodernisierten Altbau.

Hausdetail mit roten Ziegelsteinen
Alt trifft Neu
Alles sah teuer aus, modern und stom­li­nien­för­mig. Die we­ni­gen Mö­bel konnten kaum das Echo stop­pen, das un­se­re Wor­te ausgelöst haben. Der Wi­der­hall brummte mir in den Ohren.
Am Vor­abend war ich in ei­nem klassi­schen Ber­li­ner Sa­lon gewe­sen: Alt­bau mit Stuck, schwe­re Vor­hän­ge, Polster­möbel, Ses­sel­chen, Hocker, stoff­be­zo­gen,  Tep­pi­che auf den Böden, hier und da ein teu­rer Ke­lim an der Wand, dazu Öl­ge­mäl­de, Grafi­ken, das eine oder an­dere mo­derne Kunst­ob­jekt, bei ei­nem ragte viel Holz in den Raum, dazu viele alte Möbel, Topf­pflan­zen, Bücher­regale und ein ul­tra­mo­der­ner Glas­tisch sowie ein Kron­leuch­ter­zi­tat im Couchbereich.

Und jetzt der Wechsel in den Neubau: wenig Stoff, Möbel mit glatten Flächen, Wände und Böden nackt, ne­ben schall­harten Flächen gab es fast nichts.

Insgesamt waren wir zu neunt. Diese Nach­hall­er­schei­nun­gen machten die Worte der jeweils Spre­chen­den schon schwer ver­ständ­lich, mit der Verdolmetschung (für zwei) wurde es rasch uner­träglich.

Nach 20 Minuten sind wir um­ge­zo­gen — in das Hinter­zimmer eines Restau­rants, das holzgetäfelt war und mit Pal­men, Far­nen und an­de­rem Grün reichlich gesegnet.

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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 4. August 2019

Salat schießt

Was Über­setzer und Dol­met­scher beschäf­tigt, können Sie hier mitlesen. Seit vie­len Jahren be­rich­te ich über diese Berufe und meinen sprach­be­ton­ten Alltag. Am sie­ben­ten Wo­chen­tag werde ich privat und zeige in den Sonn­tags­fotos meinen Lieb­lings­ar­beits­platz. Heute: 5000 Anschläge Korrekturlesen.

Jungpflanzen sind am Fuß neu gesetzt
Wer wie ich täglich mit Sprache ar­bei­tet, nimmt sie gerne mal wört­lich, au­ßer­dem sämtliche Wun­der­lich­kei­ten be­son­ders intensiv wahr.

Der Salat schießt ... heißt es, wenn er plötz­lich ins Hö­hen­wachs­tum kommt und am En­de Blüten ent­wickelt. Wohin schießt der Pflück­sa­lat hier? Er schießt ins Kraut. "Ins Kraut schie­ßen" bedeutet das Glei­che, be­son­ders viel wachsen.
Ur­sprüng­lich wurde der Begriff für Pflan­zen ver­wen­det, die übermäßig viele Blät­ter pro­du­zie­ren (statt der er­wünsch­ten Früchte oder Blüten).
Synonym: Wie Pilze aus dem Boden schie­ßen.

"Ins Kraut schießen" lässt sich auch im übertragenen Sinne verwenden.

Mit Bewässerungssystemen gegen Hitze
Hier ein Beispiel: Nach der Finanzkrise haben die zaghaften Weichenstellungen der Politik die Werte der Finanzmärkte sowie die Immobilienpreise erneut ins Kraut schießen lassen.

Die Tomate im Vordergrund, ins­ge­samt ste­hen hier fünf Stück, schießt gar nicht. Sie wächst nur mi­ni­mal. Und Blüten und Tomät­chen pro­du­ziert sie auch nicht. Während ihre Schwes­terpflanzen schon zum dritten Mal je ein Dutzend Tomaten pro­du­zieren, scheint die hier noch nach­zu­den­ken. Als In­tel­lek­tuel­len­haus­halt lassen wir sie. Eine besondere Rede­wen­dung für diesen Zustand haben wir (noch) nicht gefunden.

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Fotos: C.E.

Freitag, 2. August 2019

Was ist Glück?

Willkommen auf der Seite einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin mit Hauptarbeitsort Berlin. Hier können Sie Einblicke in unseren Alltag erhalten, zu dem auch die Definition Begriffen und Redewendungen zählt.

Neulich fragte eine Freundin nach dem Glück.
 
Meine Antwort war spontan diese hier: Glück ist für mich sehr weit­um­fas­send. Wenn ich mit meinen Liebsten zusammen bin, der Familie und den Freun­den, wenn ich selbst­be­stimmt arbeiten kann, wenn ich Wis­sen weiter­geben darf, wenn ich mich verbu­nden fühle mit anderen Men­schen, wenn ich gärtnere, kompos­tiere und mich an den Millio­nen von Regen­würmern, Nema­toden, Käfer­chen und sonsti­gem Gewusel freue, das da großenteils unerforscht (die Wissenschaft hinkt schwer hin­ter­her) bei uns im Hofgarten und den Balkon­kästen für ökologische Vielfalt sorgt, wenn ich mir vergegenwärtige, dass wir viele Graswurzelkämpfer sind, die un­se­ren Glo­bus viel­leicht doch noch retten können, wenn ich mein Wis­sen er­wei­tern darf und sich mir plötz­lich neue Zusam­men­hän­ge er­schlie­ßen, was auch für Zusam­men­hän­ge in den Spra­chen gilt, wenn ich Kunst sehe und schöne Din­ge ret­ten kann, wenn mir ein Gericht gelingt oder ein Gedicht, wenn ich beim Dolmet­schen und Über­setzen in den Flow komme und alles aus ei­nem Guss wird, wenn ich den Aqua­rell­pinsel in der Hand habe und merke, wie der ohne mich "arbeitet", was ich auch beim Schrei­ben manchmal er­lebe, dann er­le­be ich Glück.

Grafisch interessante Pflanzen im Sommerquartier bei den Eltern
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Fotos: C.E.

Donnerstag, 1. August 2019

Alle Wetter!

Bienvenue und willkommen! Wie Französischdolmetscher in Berlin, München, Paris und Cannes arbeiten (und dort, wo Sie uns brauchen), können Sie hier mitlesen. Der Berufsalltag mit Sprachen macht sensibel für die kleinen Ausdrücke des Alltags.


Pflanzen im Regen, Gießkugeln und Eiffelturmminiatur
Regen vorm Balkon (auf dem Bild ist ein Eiffelturm versteckt)
Für die Nicht-Mut­ter­sprach­ler: Ja, der Ausruf  "Alle Wet­ter!" erin­nert an "Don­ner­wet­ter!", was "Sieh mal an!", "Was für eine Überraschung!" bedeutet. Jetzt das Ganze wörtlich: Diesen Sommer gibt's alle Wetter im Sin­ne von "jede Art von Wet­ter". Nur leise ver­reg­ne­ten Ta­ge und Näch­te scheinen nur noch ein­mal im Quartal vor­zu­kom­men.

Pflanzen im Regen und Eiffelturmminiatur
Gleiches Motiv, anderer Ausschnitt
Dabei braucht die Na­tur sie so dringend! Damit verwandt: "Himmel, Arsch und Wol­ken­bruch!" Was ist das hier für ein Regen­guss!

Gut, dass das gesagt ist. Ich wollte end­lich auch mal das Feld der möglichen Aus­drücke auf diesem Blog ein wenig er­wei­tern!

Dolmetscher, zumal auf dem di­plo­ma­ti­schen Par­kett geschult, haben es nicht so direkt mit solchen Wörtern und dem, was auf Englisch graphic language heißt — ungefähr so viel wie "dras­ti­sche Dar­stel­lung", "un­ge­schön­te Aus­drucks­wei­se".

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Fotos: C.E.