Mittwoch, 5. Dezember 2012

Madame 'Örst

Hallo und bonjour auf den Seiten eines Blogs aus der Welt der Sprachen. Ich schreibe hier regelmäßig über den Berufsalltag und wie wir Dolmetscher und Übersetzer diesen mitunter erleben. Heute blicke ich zurück.

Im Gegenlicht: Menschen sitzen um einen runden Tisch herum, auf dem Mikrofone stehen
France Culture auf der Berlinale, u.a. mit Romuald Karmakar,
Heike Hurst und Angela Schanelec
Das Haar trug sie stets rot, und wenn jemand es wagte, ihren Familiennamen Hurst passend zum Vornamen auf Deutsch auszusprechen, also mit an­ge­hauch­tem "H" und ein­fa­chem "U", schaute sie böse drein und korrigierte in ein amerikanisch klingendes 'Örst.
Die Unidozentin, Autorin, Mo­de­ra­torin und Übersetzerin Heike Hurst ist letzten Freitag in Paris gestorben.
Sie wurde 74 Jahre alt.

Ihr Filmwissen, ihr scharfer Blick und ihre ebenso scharfe Zunge werden uns feh­len.

Mit Heike war ich mehr bekannt als befreundet. Sie hat mich immer beeindruckt. Wir hatten viele Gelegen­heiten uns zu verpassen, einige Male waren wir im ent­schei­den­den Moment trotz­dem für­ein­ander da.

Nein, sie war nie meine Dozentin, und doch hatte sie mich im Pariser Goethe-Ins­ti­tut in der 2. Hälfte der 1980-er Jahre bemerkt — und sorgte dafür, dass ich mit knapp 23 Jahren als Studentin mein erstes Panel dolmetschen durfte, in Vertretung einer erkrankten Dolmetscherin. Am Anfang meiner Berlinalejahre war Heike die Einzige, die mir anschließend immer noch Tipps gab.
Manche sprachliche Trennschärfe meiner Mutter­sprache hatte ich in Paris vor­über­ge­hend eingebüßt, und so stand sie im Saal und flüsterte mir zu, während sie eine imaginierte Tür weit öffnete: "Die Tür mach auf, jetzt steht sie offen!" (Auf Fran­zö­sisch gibt es diese Unterscheidung nicht.) Und als ich anfing, an Hoch­schu­len in Berlin und Bran­den­burg zu unterrichten, bot sie mir ihre Beratung an, die ich gern (über die Film­­aus­wahl hinaus) ent­ge­gen­nahm.

Einmal durfte ich mich revanchieren. Vor mehr als sieben Jahren musste in Tü­bin­gen der Leiter der franzö­sischen Filmtage gehen, für den Heike viele Jahre lang Film­reihen kuratiert hatte. Von ihr gab es zunächst kein Interesse, auch im neuen Team mitzumachen. Ich habe sie dann angerufen und wieder ins Boot ge­holt. Dort hat sie erst vor wenigen Wochen ihre letzte Filmreihe dem Publikum vorgestellt. Noch am Mitt­woch hat sie in Paris ihre letzte Radio­sendung moderiert. Am Don­ners­tag haben wir sie in Berlin vermisst, bei den rendez-vous franco-allemand du cinéma, dem 10. Filmtreffen, bei dem Termin hat sie nie gefehlt. Freitagmorgen ist sie gestorben.

Merci beaucoup, Heike ! Bon voyage ... et bons films !

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Foto: privat (Archiv)

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