Donnerstag, 6. Dezember 2012

Im Cinéma Paris

Will­kom­men beim Blog aus der Dol­met­scher­ka­bine. Ich arbeite in den Be­rei­chen Wirt­schaft und Po­li­tik, So­ziales und Kul­tur. Manch­mal dolmetsche ich auch vor Publikum, zum Beispiel bei Filmpremieren. Durch meinen Beruf kann ich Trends beobachten. Kunst im Gefängnis ist ein Thema, das in letzter Zeit wiederholt von Spielfilmen aufgegriffen wird.

Zwei Frauen vor dem Kinovorhang
Nathalie von Bernstorff, französische Botschaft (rechts),
und die Autorin dieser Zeilen
"Weil wir ja heute Abend einen Film über Tango vor­stel­len, bin ich extra zuhause vorbeigegangen und habe mich schick gemacht", sage ich und weise auf das Kleid und die zum Tanzen ge­eig­ne­ten Schuhe.
Wir sind im kleinen Bistro am Cinéma Paris und bereiten die Berlinpremiere eines belgischen Films vor.

Bei dem Streifen geht es grob gesagt um Tango im Gefängnis. Philippe Blasband, der als Ko-Autor am Drehbuch beteiligt war, schaut erst mich an, sieht dann an seinem dunkelblauen Pulli hinunter auf die Schlabberjeans, zwinkert mit den Augen und sagt: "Und ich habe mich als Knacki verkleidet!"

Gestern erlebte ich schließlich doch noch einen echten Festivaltag auf der Fran­zö­si­schen Filmwoche, Job inklusive. Echter Festivaltag, das bedeutet eben unter Umständen, den Film erst zusammen mit dem Publikum kennenzulernen und sich dann während des Films Fragen zu notieren. Immerhin konnte ich mich im Internet auf die Begegnung vorbereiten, Dokumente lesen, mich auf seine Sprechweise einhören. Und dann kam es eben zu besagtem kurzen Vorgespräch.

Zu viele Vorgespräche sind immer schlecht, die Spon­tan­e­i­tät leidet später oft darunter, also habe ich nur kurz einige Themen gestreift. Zu mehr kamen wir auch nicht, die Veranstalter betraten den Gastraum, erhielten Aufmerksamkeit, dann eine Gruppe von Politikern.

Denn den Abend bereicherte eine Delegation von Parlamentariern, die Wallonie-Bruxelles International (WBI), der Zusammenschluss der französischsprachigen Verwaltung, auf eine mehrtägige Bildungsreise nach Berlin geschickt hatte.

Umzug ins Cinéma Paris: Vorreden, Begrüßungen, Danksagungen! In dieser Phase ist das Protokoll immer sehr wichtig, da empfiehlt sich vorab Auswendiglernen, damit im Stress alles sitzt.

Film ab! "Tango libre" von Frédéric Fonteyne ist dichtes, emotionsgeladenes und darüber hinaus auch noch wunderbar fotografiertes Kino. (Eine Filmkritik folgt pa­ral­lel zum Start im Sommer.)

Ich bin froh, mich inzwischen in diesen Momenten in den Film "fallenlassen" zu können. Das war nicht immer so, anfangs überwog das unangenehme Gefühl, gleich noch arbeiten zu müssen. Hier hilft erstens die erste Berufsausbildung als Journalistin, zweitens Routine und drittens gelernt zu haben, den "Schalter" einfach umzulegen.

Ein Mann und eine Frau vor dem Kinovorhang
Was für ein beschwingter Ab­schluss der Filmwoche! Das Gespräch war entspannt und pointiert und leider recht kurz, weil das Abendprogramm zu spät losging. Aber zuvor, als der Abspann lief, hatte ich Philippe Blasband gefragt, ob wir den Witz mit der Kleidung vor Publikum wiederholen sollten.

Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Ich bin Drehbuchautor, kein Schauspieler!" Daher sei die Pointe, die das Publikum verpasst hat, hier nach­ge­tragen.

Und die Liste der Eigenschaften, die für den Dolmetscherberuf nötig sind, wird hiermit um einen Punkt erweitert: Schauspielerfähigkeiten. Und, wenn auch pa­ral­lel zum Dolmetschen Moderation gefragt ist, schließlich noch Sinn für Dra­ma­tur­gie. Beim nächsten Mal werde ich mir die Anmoderation zur Pointe im Vorfeld ver­kneifen, wenn ich nur irgendwie erahnen kann, dass mein Gegenüber "anbeißen" könnte ...

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Fotos: Nicole Ackermann

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