— Gastbeitrag von Heike Abidi, Werbetexterin und Autorin —
Was haben der Dolmetscher, das Gulasch, die Kutsche, der Tolpatsch und die Paprika gemeinsam? Es handelt sich bei all diesen Begriffen um Hungarismen — also um Lehnwörter aus dem Ungarischen.
Als Sprachwissenschaftlerin finde ich das schon mal sehr interessant. Aber es ist angelesenes Wissen, genau wie der Blogbeitrag, den ich vor Jahren mal über das Berufsbild des Dolmetschers für die „Protextbewegung“ schrieb:
Berufsprofil DolmetscherIm Rahmen der Blogwichtelaktion 2012 des Netzwerks Texttreff wurde mir das Blog der Berliner Dometscherin Caroline Elias zugelost — eine wunderbare Gelegenheit, all das, was ich schon immer übers Dolmetschen wissen wollte, zu erfahren. Indem ich sie ganz einfach interviewe. Und los geht’s!
„May the force“ oder „May the fourth“?
Simultandolmetscher arbeiten, so ist immer wieder zu hören, unter ähnlich hohem Druck wie Fluglotsen. In rasantem Tempo müssen sie hören, beobachten, auch Unausgesprochenes verstehen, vorausdenken, übersetzen und sprechen zugleich. Und das ohne Zeit für Rückfragen oder Zweifel. Und am besten auch ohne Fehler, denn die könnten — beispielsweise bei politischen Konferenzen — zu diplomatischen Krisen führen. Oder, wie bei der Pressekonferenz des Star-Wars-Regisseurs George Lucas, zu unfreiwilliger Komik: Weil der Dolmetscher das berühmte Filmzitat „May the force be with you“ offensichtlich nicht kannte, übersetzte er mit „Am vierten Mai sind wir bei euch“ ...
Für Dolmetscher ist eben jeder Auftrag wie eine Prüfung — und dabei gibt es keine Joker!
Mündliche Übertragungen braucht man nicht nur in Politik und Medien, sondern vor allem auch in Behörden, Organisationen und der Wirtschaft.
Üblicherweise haben Sprachmittler eine spezielle Ausbildung an einer Fachakademie, Fachschule oder Hochschule absolviert und verfügen zudem über eine exzellente Allgemeinbildung. Ein zweisprachiger Hintergrund ist von Vorteil, aber noch längst kein Ersatz für Sprachbegabung und Sprechtalent, aber auch Belastbarkeit und Fingerspitzengefühl.
Heike: Während Übersetzer sich manchmal viel Zeit nehmen, um exakt die passende Entsprechung eines Wortes in der anderen Sprache auszuwählen, muss das bei Euch Dolmetschern ja in Sekundenschnelle gehen.
Gibt es da Tricks?
Caroline: Naja, wenn gute Vorbereitung als Trick gilt, dann wäre das mein erster.
Ich arbeite und denke mich ein ... und nutze dazu alle Kanäle. Dazu meine ich nicht nur möglichst viele Medien, sondern auch Sinneskanäle: Ich lese viel, unterstreiche, schreibe auf, male Wortfelder, sehe Filme, höre Radiosendungen ... und spreche über das Thema, mit Freunden zum Beispiel. Damit entstehen optimale Vernetzungen im Hirn, denn wir müssen die Begriffe ja am besten genauso anwenden wie jene, für die wir dolmetschen: Völlig selbstverständlich, als hätten uns nie andere Themen beschäftigt. Und in der Kabine gibt's weitere Tricks: Wir haben elektronische Wörterbücher bei der Hand, sind nicht selten online, arbeiten einander zu. Denn Dolmetschen ist Teamarbeit, und so, wie wir Kollegen uns mit dem Sprechen abwechseln, so können wir uns auch die fehlenden Begriffe oder Zahlen "zuschieben".
Wie lange am Stück schafft man es überhaupt, zu dolmetschen: Eine Stunde? Zwei? Den ganzen Tag? Wie viel Konzentration ist da gefragt und wie lädt man zwischendurch die Batterien wieder auf?
Bei Konferenzen und in der Politik wechseln wir uns alle 20 bis maximal 40 Minuten ab. Länger ginge schon, geht aber an die Substanz — und das Ergebnis wird schlechter. Bei Dreharbeiten ist unsereiner alleine mit "seinem" Star, da gibt's dann einerseits 'chillige Momente', da merke ich gar nicht, wenn ich Small talk dolmetsche, und andererseits das hektische Moment des Drehs selbst. Zwischendurch heißt es immer wieder warten, oft mehr Pausen, als nötig sind. Ich bin die Verfechterin von Kurzschlaf, Meditation, Siesta und Gehmeditation, je nachdem, was möglich ist. Es geht mir vor allem darum, das Hirn nicht in der üblichen Weise anzustrengen. Ich fotografiere zwischendurch sehr gerne, da werden andere Areale angesprochen.
Wenn Sprachen sich im Satzbau stark unterscheiden und — beispielsweise im Deutschen — das alles entscheidende, dem Ganzen den Sinn verleihende Verb erst ganz am Ende des Satzes auftaucht, wie geht man dann bei der Übersetzung vor?
Müsst ihr dann tricksen?
Oder vielleicht sogar rätselraten?
Durch die Vorbereitung ahnen wir oft, wo der Betreffende "hinwill", der Fachbegriff dafür ist "Antizipation". Schachtelsätzen rücken wir mit Salamitaktik zu Leibe: Immer, wenn es möglich scheint, bringen wir schon mal einen abgeschlossenen Inhalt zum Besten, natürlich stets in der Hoffnung, dass am Ende nicht die Negation des Ganzen aufgerufen wird. Das geschieht aber nur selten, und auch hier lassen sich am Ende Pirouetten finden à la "... möchte man annehmen, aber das Gegenteil ist der Fall!"
Wenn man als Dolmetscher mal daneben liegt, kann man sich nicht nur selbst lächerlich machen (so wie im oben zitierten Star-Wars-Beispiel), sondern im schlimmsten Fall eine Staatskrise auslösen oder diplomatische Verwicklungen. Ist man da aufgeregt?
So schnell scheuen die Pferde nicht, und Staatskrisen durch unsereinen sind höchst selten ;-) Aber die Aufregung bzw. ein hoher Adrenalinpegel entstehen trotzdem immer wieder. Ein wenig Aufregung ist ja gut, das macht uns Menschen wacher. Trotzdem kennen wir auch so etwas wie Routine. Häufiger als Peinlichkeiten der beschriebenen Art sind fehlende Termini. Auch die Zuhörer haben ihre Routine. So dass sie manchmal gar nicht merken, wenn wir einen bestimmten Fachterminus nicht sofort parat haben, erst umschreiben, und ihn dann aufgreifen, wenn er von den Rednern selbst benutzt wird.
Muss man auch manchmal, eben um solche Krisen zu vermeiden, beim Übersetzen ein wenig glätten? Beispielsweise, wenn sich ein Gesprächspartner etwas im Ton vergreift?
Die klassische Lehrmeinung will, dass wir immer eine oder zwei Stufen im Sprachniveau "hochgehen", wenn so etwas passiert. Die jüngeren Kollegen vertreten mehr Direktheit, da scheint sich gerade was zu ändern.
Ist Dir derlei schon mal beim Dolmetschen passiert?
Oh ja. Bei einer Ausstellungseröffnung hat der frühere Lebensgefährte einer Ikone der literarischen Welt mal zum Laudator gesagt: ... vous n'avez rien compris, Monsieur, vous êtes un con ! Jetzt heißt dieses con in seiner freundlichen Variante vielleicht Depp, aber das kam hier mit einer solchen Wucht, nur abgefedert durch das Monsieur, dass ich arg ins Schwitzen kam. Vor mir die 'Hautevolaute' des deutsch-französischen und Potsdamer akademischen Betriebs sowie meine Studenten, die alle genau wussten, was da gesagt worden war. Außerdem hatte ich ihnen gerade beigebracht, dass im Film- und Kunstbereich falsche Rücksichtnahme fehl am Platz wäre.
Ich habe also versucht, die Wucht zu mildern, den Satz mit Distanz und leise auszusprechen, was den Kraftausdruck schon geschwächt hat, und bastelte mir eigenmächtig noch etwas hinzu ... "Mir scheint, Sie haben nichts verstanden — und mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!" Und ich war heilfroh, dass die Sache durchging, dass der Streit nicht eskalierte. Zu schlimm wäre es gewesen, wenn am Ende die Dolmetscherin am Abbruch eines vielversprechenden mehrtägigen Colloquiums Schuld gewesen wäre ...
______________________________
Fotos: C.E.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen