Mittwoch, 29. Februar 2012

Gegen den Stress

Willkommen auf den Seiten einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Hier berichte ich aus Berlin, Paris und Cannes oder Marseille, München und Marburg unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse — oder ich antworte auf Fragen meiner Leserinnen und Leser.

Während der Berlinale erreichte mich die Anfrage einer Dolmetschstudentin. Maria aus Leipzig möchte wissen: "Frau Elias, wie gehen Sie mit Stress um?"

Gute Frage, liebe Maria, denn der Dolmetscherberuf steht im Ruf, nach Jetpilot (bei Start und Landung) sowie Fluglotse der drittstressigste Job überhaupt zu sein, so zumindest eine immer wieder von Kollegen erwähnte WHO-Studie, zu der ich aber leider nie einen Nachweis finden konnte. Grundsätzlich ist für uns jeder Ein­satz ein "Stresstest" für sich, in dem nicht nur Fachkenntnisse und Ar­beits­methode, sondern auch der individuelle Umgang mit Stressoren auf den Prüfstand gestellt werden.

Auch ein Berlinale-Radio
Unsereiner legt sich über die Jahre eine kleine Trickkiste zu, die Routine hilft dabei. Bei manchen Jobs habe ich kein nennenswertes Lam­pen­fieber mehr; wenn aber auch nur ein winziges Detail der Versuchsanordnung geändert ist oder weitere Stressoren wie Lärm, Gestank oder der­lei aufkommen, stellt sich das Lam­pen­fie­ber schlagartig wieder ein.

Mein einfachster Trick in der Situation selbst heißt 'Der liebste Kunde'. Ich suche mir von den Anwesenden (im Kino, rund um den Tisch mit den Studiogästen im improvisierten Hörfunkstudio oder bei einer Konferenz) eine bestimmte Person heraus, die ich sympathisch finde und die meine Verdolmetschung braucht. Ich arbeite dann nur für sie ... die anderen dürfen zufälligerweise mithören. Das klappt sogar, wenn "der Rest" ganz Frankreich inklusive der überseeischen Gebiete ist, wie es November 2009 bei "Radio France fait le Mur", dem Zusammenschluss aller französischen öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramme zum 20. Jahrestag der Maueröffnung, der Fall war.

Ansonsten gilt: Vorbereitung ist der halbe Job. Ich lese viel, aber ich höre und sehe auch gerne, finde oft im Netz MP3-Aufnahmen von zu verdolmetschenden Menschen, mache Vokabellisten, für schwer eingängige Worte die kleinen Kar­tei­kärt­chen, trage derlei in der Handtasche mit mir rum und wiederhole entspannt und mit Zeit im Vorfeld (und auch hinterher, dann alle Bereiche fröhlich durch­ein­an­der­ge­mischt). Der lange Vorlauf ist mir wichtig, denn anschließend vergesse ich erstmal wieder alles, dann lerne ich erneut. Das ist der Idealfall. Die Spe­zia­li­sie­rung auf ein Fach­gebiet hilft; ich nehme keine Aufträge an, in die ich nicht ein­ge­ar­beitet bin (es sei denn, ich habe Zeit für eine gründliche Einarbeitung).

Dann kann ich mir erfolgreiche Einsätze vors innere Auge rufen, mir damit bewusst machen, was ich alles schon weiß, wie stark mich auch meine Erfahrung trägt. Das ist Tipp Nr. drei: Visualisierungen, diesen Trick habe ich mir von Sportlern ab­ge­guckt. Ich gehe alles detailliert durch, am besten aus einer entspannten Stimmung heraus, und lasse den inneren Film ablaufen. Das funktioniert auch bei neuen Fach­ge­bie­ten. Manchmal bezieht sich der innere Film auf einen neuen Ort, die Anwesenheit von Promis oder ungewohnte Gesprächssituationen. Schön, wenn es die Vorbereitung erlaubt, auch ungewöhnliche Arbeitsplätze vorher ken­nen­zu­ler­nen. Mitunter hilft mir aber auch die Bildersuche über Google schon weiter, mich auf den Ort einzustimmen und mein Entspanntsein zu programmieren.

Viertens: Atem- und Entspannungstechniken. Derlei gehört zum Rüstzeug von Dolmetschern, denn wenn wir es dringend brauchen, ist es zum Erlernen meist zu spät. Bewährt haben sich allerlei Formen von Meditation, Autogenes Training, Atemschulung. Ich habe dabei vor sehr langer Zeit mein Zwerchfell kennengelernt und weiß, wie ich über tiefe Atmung mein vegetatives Nervensystem positiv be­ein­flus­se. (Die Übungen frische ich gerne mal auf, letztens auf Englisch, hier: klick zur Universität Austin.)

Fünftens: Wissenschaftliche Denke, hier die Unterscheidung von Eustress und Dis­stress, die Abgrenzung von notwendigem, positivem Stress von negativem Stress also. Ich mache mir klar, dass ein stressarmer, ja vielleicht sogar langweiliger Beruf nichts für mich wäre und dass es positiven Stress gibt, der aufputscht, der mich wacher macht und der zum Flow führt. Und dass ich am Ende schön geschafft sein werde, weil ich es mal wieder geschafft habe.

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Foto: C.E.

Dienstag, 28. Februar 2012

Pechös ...

So voll ist mein Kalender im Frühsommer
und im Herbst
It sucks!, das ist manchmal mein Kommentar an Tagen, an denen zu viel schiefläuft. Zum Beispiel gerade: Samstag flattert mir mitten in der Nacht eine eilige Dolmetschanfrage in den digitalen Briefkasten, ich erhalte sie bis weit in den Vormittag hinein parallel über mehrere Kontakte, sie wurde also weit gestreut. Am frühen Morgen sende ich eine Interessensbekundung mit Kurzvita aus, vermutlich als erste. Tags drauf frage ich kurz schriftlich nach, denn meine Mail blieb ohne Antwort. Dann versuche ich es Montag telefonisch, niemand im Büro. Erst heute, Dienstag, erreiche ich jemanden, man rufe zurück. Ich warte ... und hake Stunden später nochmal nach.

So erfahre ich, dass bei der Anfrage eine falsche Emailadresse angegeben worden war, der Firmenname stimmte nicht. Wer aber mit dem Telefonieren durch Zufall zur richtigen Zeit die richtige Person erwischt hatte, bekam den Job. Alle anderen hatten sich bei einem anderen Unternehmen beworben, das aber gar nichts zu vergeben hatte (und eben weil es die andere Firma mit gleichem Namen aber in einer anderen Stadt gibt, erhielten die Absender keine Fehlermeldungen).

Schon ziemlich ka...e, wenn die Ausübung unseres Berufes von solchen Zufällen abhängt. Das Missgeschick hing auch mit der Eile zusammen, mit der von jetzt auf gleich jemand Kompetentes gefunden werden musste.

So, ich beschließe heute früh den Ärgerdienstag und wende mich Schönem zu. Am Wochenende dolmetsche ich eine französische Kamerafrau, und auf dem Schreibtisch liegen noch fünf Filme, die ich bis dahin sehen darf.

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Fotos: C.E.

Montag, 27. Februar 2012

Gegen das Einheitsdenken

« Bienvenue !» Sie sind auf den Arbeitstagebuchseiten einer Berliner Übersetzerin gelandet, die daneben als Französischdolmetscherin für Politik, Wirtschaft und Handel, Kino, Medien und Medienökonomie arbeitet. Dabei denke ich oft auch über Mehrsprachigkeit und die Pflege der Muttersprache nach.

Muttersprache, dieses Wort verwendet Wissenschaftler Claude Hagège ungern, er spricht von dominanten Sprachen. Wer wie er mühelos von einer zur nächsten Sprache wechselt (und ihm stehen dafür mehr als die drei, vier Sprachen zur Verfügung, die Dolmetscher im Durchschnitt sprechen), weiß, dass jeder anderssprachigen Ausdrucksweise auch ein anderer Blick auf die Dinge innewohnt. Umgekehrt diagnostiziert der Professor des Collège de France, dass unsere westlichen Gesellschaften sich immer mehr und ohne Not einem Einheitsdenken unterwerfen, das eine (oft nur mangelhaft beherrschte) vermeintliche Einheitssprache mit sich bringt.

In einer Hörfunksendung des französischen Auslandssenders Radio France Internationale (RFI) mit dem Titel « Quelles langues parlerons-nous ?» (Welche Sprachen werden wir sprechen?) kam der Linguist heute länger zu Wort. (Hier Teil eins der Sendung, hier Teil zwei; das Programm steht ca. ein Jahr lang zur Verfügung.)

Nebenbei kamen interessante Dinge zur Sprache. Zum Beispiel berichtet Hagège, dass Gehirne von Zwei- und Mehrsprachigen leistungsstärker seien, das hätten Forschungen an der Universität von Montréal ergeben. Hintergrund: Das Gehirn von Menschen, die im Hin- und Herspringen trainiert sind, passe sich schneller an, sei reaktionsschneller beim Lösen auch von nichtsprachlichen Aufgaben.

Das Buch "Contre la pensée unique" ist im Verlag Odile Jacob erschienen. Hinweis an interessierte Verleger: Hagège, von dem in Deutschland nur sehr wenig erschienen ist, hat in Frankreich auch die Grundlagenliteratur zur Erziehung von Kindern mit mehreren Sprachen veröffentlicht.
Übersetzungsvorschlag!

Sonntag, 26. Februar 2012

Postberlinaleschlaf

Was machen Dolmetscher nach anstrengenden Einsätzen? Schlafen.

Neulich war ich abends mal nicht im Kino (bei den Berlinale-Wiederholungen), sondern ging zu einem Comic-Workshop, den das deutsch-französische Jugendwerk (dfjw) angeboten hatte. Ziel war die Herstellung "autobiografischer Comics" frei nach dem Motto: Am schönsten lacht es sich doch über sich selbst.

Etliche zeichnerisch begabte Menschen hatten sich am Molkemarkt eingefunden, außerdem eine grafisch inzwischen sehr ungelenke Filmdolmetscherin. Bei Obstsaft und Keksen folgten wir der Einführung von Clairikine, einer jungen, in Frankreich aufgewachsenen Amerikanerin.

Zwischendurch überkam mich Nervosität, ja fast so etwas wie eine kleine Panik. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich wollte.
Ich hatte seit 20 Jahren keinen Zeichenstift mehr in der Hand gehabt.... Am Ende konnte ich mich beruhigen: "Ich will ja nur meine andere Hirnhälfte ansprechen, und ich muss nichts, aber auch gar nichts leisten."

Sich dem Wettbewerb zu entziehen, der unsere Gesellschaft so stark dominiert, war nicht einfach, denn neben mir saßen sehr begabte Menschen. Sich dem Leistungsdruck am Ende komplett zu entziehen, sich einzulassen auf etwas Neues, war eine schöne Herausforderung.

Arianes Comic und der Ausmalbogen ihres kleinen Kindes
Ich ließ also los. Da ich nächste Woche einen großen Einsatz mit konsekutivem Dolmetschen habe, hatte ich mir für den Workshop einige Listen mit Dolmetschersymbolen eingesteckt, die auf meinem Schreibtisch gelegen hatten, à la hier geht's ja auch um Grafisches. Und dann kam der Zeichenauftrag: "Was habt Ihr Montagmorgen von neun bis zwölf gemacht?"

Au weia! Meine ersten Vormittage dieser Woche waren wenig spektakulär ... Also zeichnete ich erstmal die Betten, das Bettzeug und mich mit Wuschelkopf. Der Rest findet in den Träumen statt.
Am Ende habe ich mich der schönen Symmetrie wegen noch im Datum vertan und den Comic auf den Dienstagmorgen datiert. Macht nichts, war ja ohnehin dasselbe, mit Ausnahme der Träume ... vielleicht.

... das macht die Filmdolmetscherin von neun bis gegen Mittag am 2. Tag nach der Berlinale

Dank ans deutsch-französische
Jugendwerk!
An dem Blatt habe ich eine Stunde für Entwurf und Ausfertigung sowie eine zweite fürs Finishing gearbeitet.

Ich bin froh, dass ich mich auf das Abenteuer eingelassen habe.

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Fotos: C.E.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Nachbereitung

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch und Französisch, meine Interessensschwerpunkte sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Kunst und Kultur. Bis vor kurzem war ich auf der Berlinale. Und was machen Filmdolmetscher nach dem Festival? Ausruhen, verarbeiten, Rechnungen schreiben, nachbereiten, sich wundern, weiterlernen. Nach dem Event ist vor dem Event. Das Ohr ist geschärft, das Hirn arbeitet unerbittlich weiter ... déformation professionnelle heißt das wohl.

Frankreichkompetenz gibt es nicht in allen Redaktionen und Synchronstudios, das ist logisch. Umso trauriger, dass die Betreffenden nicht bei Fachleuten nachfragen. (Niemand kann alles wissen.) Hier kommt etwas Medienkritik, aber immer ganz positiv und in Verbindung mit Medientipps.

1. Gestern Abend auf Arte, ich sehe den Film "François Truffaut — Eine Autobiografie" bei meiner besten Freundin auf großer Leinwand, einen Film von 2004 in der Regie von Anne Andreu. Leider gibt's in ihrem Kabel nur die deutsche Fassung zu sehen. Natürlich ist auch von dem wunderbaren Spielfilm "Jules et Jim" von 1962 die Rede. Dass man Jim englisch aussprechen müsse, also "Dschim", wird im Film exakt so gesagt, aber alle Sprecher, jene des Kommentars und jene, die Interviewte "dubben" (nicht ganz synchron mit "synchronisieren"), sagen "Jim" mit einfachem Anlaut. Hat denn der Regisseur der deutschen Sprachenfassung keine Ahnung von Truffaut? Oder die französische Regisseurin keinen Vermerk dazu geschrieben? Und Cathérine Deneuve heißt natürlich Deneuve und nicht Deneuf!

Okay, sind wir großzügig, zitieren wir Truffaut: Depuis un certain temps, je suis convaincu que les films vivent par leurs défauts. (Seit einiger Zeit bin ich davon überzeugt, dass Filme von ihren Fehlern leben.)

Der Film läuft noch eine Woche lang in der Mediathek "Arte+7", hier auf Deutsch und hier auf Französisch.

Berlinale-Rose auf dem Coffee-Table aus alten Koffern
Mein 2. Beispiel ist ohne Link, taugt aber als Hinweis dafür, was unsereinen bei nächtlichem Radiohören so ereilen kann. Aus einer Presseschau im deutschen Hörfunk (vorgestern Abend), es wird die Veröffentlichung einer neuen französischen Zeitschrift angekündigt mit dem Titel L'homme parfaite, ich stutze und übersetze automatisch: "die perfekte Mann?" (Der Kopf hat nur kurz gerödelt, um die Verdolmetschung zu finden, denn auf Französisch wurde das Adjektiv "perfekt" eindeutig und fälschlicherweise an ein weibliches Nomen angeglichen, auf Deutsch ist das Adjektiv der/die perfekte Mann/Frau aber für beide Geschlechter identisch, so dass ich stattdessen, um den Gedanken des Weiblichen wiederzugeben, den Artikel le = der, den wir auf Französisch wegen des Buchstaben "h" nicht hören können, es ist kein h aspiré, angleichen muss ... Ähh, hallo?, sind Sie noch da? War das verständlich?) ... und während ich mich noch über "die perfekte Mann" wundere, Metrosex? Transgender?, spricht der Journalist weiter, "l'homme parfaite, [ɔm paʀfɛt] was auf Französisch 'die Unperfekte' heißt" ...

Schluck. Ach so, l'imparfaite [ɛ̃paʀfɛt], das ist aber was ganz anderes ...

Unnützes Neuronenflirren zu nächtlicher Stunde! Aber verstehen Sie jetzt, warum wir im Vorfeld von Dolmetscheinsätzen immer alles ganz genau wissen wollen?


3. Im Film über Truffaut kommt auch das wunderbare Hitchcock-Interview vor, das simultan verdolmetscht wird, ich habe es in meinem Leben mindestens schon zwei Mal in Gänze gehört, immer wieder phantastisch, hier beim Hitchcockwiki in unbegrenzter Dauer hörbar.


Quelle für das Truffaut-Zitat: Nämlicher Film.
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Foto: C.E.

Mittwoch, 22. Februar 2012

Berlinale: Schlussklappe

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Sprachmittlerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig und so, dass man nicht die Betreffenden, dafür aber durchaus die Situationen erkennen kann, über meinen vielfältigen Berufsalltag, heute: Abschied von der Berlinale, für die ich als Dolmetscherin tätig war.

Am roten Teppich
In den nächsten Tagen treffen sich die Berlinale-Mitarbeiter noch zur "Nachsichtung". Filme, die noch nicht zurückgeschickt worden sind, sind in Mitar-beitervorführungen erneut zu sehen. Es ist auch eine gute Gelegenheit, mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Und irgendwie geht das Kontakten der Berlinale weiter, denn viele Berlinale-mitarbeiter sind selbst Filmschaffende oder arbeiten in filmtechnischen Gewerken.

Diese "Nachsichtungen" sind auch Abschiede vom Potsdamer Platz, den viele von uns übers Jahr nur aufsuchen, um ins Filmhaus zu gehen.

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Letztes Jahr kam über die Nachsichtung ein Übersetzungsprojekt zu mir, das allerdings nicht bezahlt war, es ging um einen Kurzfilm, der fast ohne Budget entstand. Das letzte pro bono-Übersetzungsprojekt, wieder ein Kurzfilm, habe ich Sonntag beendet. Auch das ist Netzwerkarbeit.

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Weiter mit dem Berlinale-Rückblick. Der Weg zum Februar-Arbeitsplatz, seit zwölf Jahren: Wenn ich aus dem U-Bahn-Schacht, aus S-Bahn oder Bus steige, muss ich mich selbst an nahezu windstillen Tagen auf plötzlich einsetzende Fallwinde vorbereiten. Gerade in den letzten Tagen mit Minusgraden im zweistelligen Celsiusbereich wirkten diese sogar wie Gletscherwinde. Die Architekten, die den Potsdamer Platz planten, hatten wohl noch nicht die Erfahrung eines Hochhaus-ensembles inmitten einer eher flachen Landschaft gemacht, die das no man's land der ehemaligen Mauer ist. Atemberaubend!

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Bei manchen Empfängen müssen die Gäste neuerdings ihre Häppchen bezahlen. Auch so kann Krise aussehen.

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Lichtspiele unter der Postfuhramtskuppel
Müde und redefaul schlage ich bei einem nächtlichen Empfang im Postfuhramt auf. Es wird wohl die letzte Berlinale sein, dass unter dieser Kuppel in unrestauriertem Zustand lauter Filmemacher und angehende Schauspieler feiern. Etwas stört meine Entspannung: Der Geruch nach Lysol und DDR-Bodenbelag aus Plaste. Wer damit wiederholt in Berührung kam, wird dieses "Aroma" sicher nie vergessen.

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Mit der Banalität und Glanzlosigkeit der Einkaufspassage am Potsdamer Platz, die so oder so ähnlich auch in Amherst, Massachusetts, oder Fayetteville, Arkansas, zu finden ist (ich hab in den 90-er Jahren nachgesehen), bin ich auch nach einem Dutzend Jahre nicht versöhnt: Fressläden, Supermarkt, zwei Drogerien, Apotheke, Klamotten- und ein Eisladen, so ist die Chose schnell zusammengefasst. Auch die umliegenden Kneipen wirken wenig einladend, das mit der Patina hat noch nicht geklappt.

"Wer ist hier, wenn keine Berlinale ist?", will Judith, "Filmeschmeißerin" aus Köln wissen. "Touris und Leute aus der Provinz, die die Hauptstadt sehen wollen", ist die Antwort von Anne, einer Studentin der Filmschule dffb, die neben der Deutschen Kinemathek und dem Kino Arsenal im Filmhaus angesiedelt ist. Dort bin ich auch in den anderen 11,5 Monaten des Jahres häufig, aber nach Veranstaltungen fliehen immer alle, anstatt sich "um die Ecke" beim Wein zu treffen.

Provinziell geworden ist auch die Lokalität, in der einst die Maxx-Bar angesiedelt war, unten rechts im Cinemaxx, von dort hat Knut Elstermann jahrelang sein Berlinaleradio gesendet ... und ich oft Gäste aus frankophonen Landen gedolmetscht. Der Ort ist jetzt historisch ... (Tja, so schnell geht heute "historisch": Die Webseite der Bar steht noch im Netz und mit ihr der Text "Die Maxx-Bar ist die erste gastronomische Einrichtung, die nach dem Wiederaufbau des Potsdamer Platzes auf dem historischen Gelände eröffnet wurde.")

Heute gibt's an gleicher Stelle bei Mom's Favourite sitzplatzoptimierte Nischen und eine, der Name der Lokalität verrät es nicht, italienisch-berlinisch angehauchte Karte. (Italo-Amerikaner kannte ich bislang, aber Italo-Berliner, naja.) Vor allem sind Eleganz und Großzügigkeit aus dem mit senfgelben Bänken vollgestellten Raum verschwunden. Schade.

Ach so, Judith ist natürlich Filmmischmeisterin. (Sie stellt sich nur gern schnellsprechend vor.)
Au revoir, Berlinale, und bis zum nächsten Jahr!

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Fotos: C.E.

Dienstag, 21. Februar 2012

8.-10. Berlinaletag: Vermischtes

Weil Englisch inzwischen zur Hauptsprache der Berlinale avanciert ist, komme ich nach fünf einsamen Berlinalejahren abends endlich auch mal wieder dazu, auf Parties und Empfänge zu gehen. In der Zwischenzeit ist das Nichtraucherschutzgesetz in Kraft getreten, ich bin also optimistisch, was die Luftverhältnisse angeht. Manche Einladung ist dabei gar nicht so einfach zu erhalten, denn wer einmal die Schublade "Produktionsmitarbeiterin" oder "Aktive eines Filmverbands" verlassen hat, mein Parallelleben gewissermaßen, steckt in Deutschland einzig und allein in der neuen Schublade.

Kurz: Einige Termine klappten im eigenen Namen, gelegentlich trat ich auch als "Mitbringsel" in Erscheinung, weil mitunter die Suche von Koproduzenten für neue Filme etwas länger dauerte und wir bei den Empfängen weitersuchen mussten.

... durfte auch im Abendkleid betreten werden ;-)
Vorbildlich: nordmedia
Aber nicht selten schlug meine Freude in blankes Entsetzen um: Überall wurde geraucht ... oder fast. An manchen Orten blieb ich "draußen" auf dem Gang, da waren die Gespräche zwar weniger stimmungsvoll als im Saal, aber wenigstens konnte ich sicher sein, auch am Folgetag noch bei Stimme zu sein. Trotzdem stanken nachher alle Klamotten.

Die Qualmerei war übrigens nur deshalb zulässig, weil die Abende als "geschlossene Gesellschaften" deklariert worden waren.

... nach solch' einem Termin husten eine Berliner Nachwuchsproduzentin und ich noch zwei Tage synchron. Die einladenden Institutionen sind im Falle von Filmförderungsgesellschaften öffentlich finanzierte Einrichtungen. Am Arbeitsplatz die Gesundheit gefährden? We are not amused.

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Eines Morgens werde ich von einer Einlasskontrolle zurückgepfiffen, wie ich zu einem Termin in den Pressebereich stürme. Ich muss sehr irritiert dreingeschaut haben, der Mann entschuldigt sich sofort und sagt: "Ich muss nur einen Kollegen einweisen und wollte ihm kurz Ihre Akkreditierung zeigen. Also: Die hier darf alles!" Die Karte mit dem roten Streifen hat er gemeint.

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Das vielleicht zärtlichste Moment der Berlinale hier, mir wurde die Episode vor dem Kinosaal erzählt. Weil Studio Babelsberg gerade seinen 100. feiert, werden auf der Berlinale etliche alte Filme gezeigt, zum Teil sind es Stummfilme mit Livemusik. Einmal kommt aufgeregt ein Mann mittleren Alters zum entsprechenden Kinosaal und bittet um Zutritt, außerdem sei er auf der Suche nach einem Freund. Veikko, der an der Tür steht, kann den Mann zunächst beruhigen, der eine Stunde vor der Zeit eingetroffen ist. So bleibt dem Besucher noch ausreichend Zeit, telefonisch seinen Bekannten zu verständigen, dessen Abwesenheit sicher zur Nervosität beitrug. Leider konnte der Angerufene trotzdem nicht mehr zur Vorstellung zu kommen, er hat seine Teilnahme dann ganz abgesagt. So betrat der nervöse Publikumsgast den Saal, nicht ohne zuvor dem Mann am Einlass die überzählige Karte in die Hand zu drücken mit den Worten: "Vielleicht kommt ja noch jemand, der sie brauchen kann."

Und wie's der Zufall will, steht doch tatsächlich kurz darauf jemand vor Veikko, dem Türhüter, und fragt, ob er nicht vielleicht doch noch eine Karte bekommen könne, er wisse, es sei ausverkauft, aber vielleicht ... Gerne hätte ich die Gesichter der beiden gesehen, als der Berlinalemitarbeiter lässig die überzählige Karte aus der Gesäßtasche zieht und sie dem letzten Gast in die Hand drückt.

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Mit einer Kollegin aus Paris gehe ich in den kanadischen Wettbewerbsbeitrag, der in Afrika spielt. Er erzählt die erschütternde Geschichte einer Kindersoldatin. Eigentlich soll der Film auf Französisch sein, ist er auch, zumindest alle Übergänge, bei denen die Hauptfigur aus dem Off spricht. Zwischendurch ist der Film auf Lingala und deutsch untertitelt.

Und schwupps dolmetsche ich wieder, auch, wenn es es nicht ganz professionell ist, ich hab den Film ja nicht vorher gesehen oder wenigstens die Untertitelliste studiert. ("Rebelle" von Kim Nguyen, Kanada 2012). 

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Jedes Jahr bekommt die Berlinale mindestens eine halbe neue Sektion und zwei neue Spielorte hinzu. Ich schaffe es nie, die Runde zu machen. Können wir nicht auch wieder übersichtlicher werden, mon ami ?

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Mon ami ist nicht das Synonym zu "Bel Ami", der Neuverfilmung des Maupassant-Romans, die im Wettbewerb lief (den Film sah ich in Vorbereitung einer Radiosendung), sondern ein kleines Echo auf den einzigen Mann Deutschlands, der mit Vornamen mein Freund und mit Zunamen Dieter heißt. Im Jahr, in dem Dieter Kosslick der neue Chef der Berlinale wurde, fiel mir auf, wie inflationär viele Menschen nur von "meinem Freund Dieter" sprachen. Also ist mir dieses Bonmot auf der Berlinale 2001 einfach so "rausgerutscht". In Cannes, also ein Vierteljahr später, wurde es mir bei einem Empfang von Rolf Bähr, dem damaligen Leiter der FFA zurückerzählt. (Er wusste aber nicht, von wem der Spruch stammte.)
Kleine Branche!

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Interview dolmetschen
So, und "mein Freund" war das Stichwort, ich eile jetzt rasch zur exklusivsten Berlinaleparty überhaupt: Dieter hat eingeladen, gleich treffen sich maximal 1000 Menschen zur Mitarbeiterparty. Hier gibt's keinen Einlass, weil man besonders einflussreich oder besonders gestyled ist, wer hier tanzt, gehört zum Club der Auserwählten, die zwischen anderthalb Wochen und einigen Monaten lang täglich Opfer gebracht haben und ohne die ein Festival gar nicht möglich ist.

Morgen folgt der letzte Teil.

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Fotos: C.E.

Montag, 20. Februar 2012

1. Tag nach der Berlinale

Es gibt Tage im Leben von Dolmetscherinnen und Dolmetschern, da haben wir Hirnmuskelkater, Wortfindungsstörungen und sind dauermüde. Also heute nur die Ankündigung, dass ich in den nächsten Tagen einen kleinen Berlinale-Nachtrag publizieren werde.

Und hier noch ein rasches, nicht minder herzliches Dankeschön an alle, die mir in den letzten Tagen geschrieben haben, das hat mich besonders gefreut. Anlass: Das Blog hat Donnerstag seinen fünften Jahrestag gefeiert. Ich melde mich bei jedem/jeder Einzelnen, wenn ich wieder wach bin!

Sonntag, 19. Februar 2012

Der Star

Heute geht die Berlinale zu Ende, die letzten Stars reisen ab. Der Sonntag nach der Preisvergabe ist der sogenannte "Publikumstag", das Fachpublikum ist nicht mehr da, die normalen Berlinale-Akkreditierungen haben ihre Gültigkeit verloren. Jetzt strömen die Berliner in die Festivalkinos.

Im Vergleich zu Cannes gab es aber auch "normales Publikum" bei den Galavorstel-lungen der letzten neun Tage. Als jemand, der in den Kulissen arbeitet, schau ich gerne in dieselben ...


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Foto: C.E.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Fünf Jahre!

Bienvenue auf der Seite einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Französisch ist meine zweite Arbeitssprache, Film meine "dritte" Sprache. Auf den Tag genau vor fünf Jahren habe ich dieses digitale Logbuch aus dem Inneren der Dolmetscher-kabine begonnen. Deshalb haben heute meine Leserinnen und Leser das Wort, denn ich hatte erwogen, zum heutigen Tag mit dem Bloggen aufzuhören. Ich gebe hier alle Zuschriften wieder, nur um Privates gekürzt. (Caroline)


Juliane: "Ich bin durch Zufall durch den Hinweis einer Kollegin aus dem Journalistinnenbund auf dieses blog gestoßen und obwohl — oder vielleicht gerade weil? — ich sonst nichts mit Film oder Übersetzungen zu tun habe, schaue ich nun regelmäßig hinein. Mir gefällt der Grundtenor und die heitere, gelassene Stimmung in diesem blog und ich bekomme dadurch Einblick in eine Welt, von der ich sonst gar nichts erfahren würde. Ich finde es spannend zu lesen, wie diffizil und mühsam die Arbeit der Dolmetscherinnen im Hintergrund ist. Also: bitte weitermachen!"

Britta: "Ich finde das Blog total interessant und lese es sehr gerne.
Weitermachen!"

Susanne: "Habe Millionen von Blogs abonniert, aber Deins ist eins der wenigen, die ich auch mehr oder weniger regelmäßig lese bzw. dann nachlese."

Elena: "Weitermachen! Tolles, unkommerzielles Dolmetscher-Blog!"

Uta: "Ich hab dazu keine Meinung, finde es einerseits gut, dass ich Dir sprachlich behilflich sein kann, andererseits würdest Du mir Zeit und Arbeit ersparen ... Ansonsten lese ich ganz gerne blogs. Und wie schmeckt Blattgold?"

Hannes: "Unbedingt weitermachen! Deine Erfahrungen sind Gold wert für alle (noch nicht so erfahrenen) Übersetzer und Dolmetscher."

Heiner: "Ich glaube, Du bist stilistisch und in dem, was Du aussagst, immer besser und präziser geworden. Ich weiß wirklich nicht, was ich Dir raten soll. Vielleicht solltest Du Deine Autorenfähigkeiten auf ein anderes, länger wirksames und einträglicheres Medium richten, ein Buch zusammenstellen aus Deinen Blogeinträgen. Oder das zweite Kinderbuch schreiben. (...) Andererseits würde ich die tägliche Lektüre vermissen."
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Mittwoch, 15. Februar 2012

Achtung! Der 3. Berlinaletag ist aktualisiert

Hier entlang ...

7. Berlinaletag: Schnappschüsse

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig und so, dass man nicht die Betreffenden, dafür aber durchaus die Situationen erkennen kann, über den Berufsalltag. Derzeit bin ich auf der Berlinale.

Winterliches Obst und Gebäck im Hotel
An manchen Berlinaletagen sind die Bedürfnisse des Körpers zweitrangig, da merke ich nicht mal, wenn ich nasse Füße habe. Morgens sitze ich Spracharbeiterin neben einem Star und übertrage seine Antworten konsekutiv ins Deutsche, die Interviewfragen simultan ins Französische. Alle 20 Minuten kommt ein neuer Journalist in den Raum, wenn es nicht mehrere sind. Gegessen werden Kekse, Mini-Schokocroisssants und Rosinen-schnecken sowie "Flugobst" (aus südlichen Landen).
Der Service hat Anweisung, uns nicht zu stören. So kann ich auch das Käsebrötchen nicht bestellen, das ich mir nach zwei Stunden wünsche im Rahmen einer ... wie war das Wort gleich noch ... Pause?

Ach, und der grüne Tee, der an solchen grauen, langen Tagen die Aufmerksamkeit schärft, will auch irgendwann wieder gehen. Zaghaft melde ich ein Bedürfnis an. Aber einige Pressevertreter haben sich verspätet, wir gelangen in Zeitnot. Es wird geschoben ... und nochmal geschoben. Irgendwann. Endlich! (Ich bin sehr eindeutig gewesen dieses Mal.)

* * *

Mittags gab es bei einem weiteren Essen mit potentiellen Koproduzenten gleich wieder Flugobst, Heidelbeeren auf weißem Schokoladeneis. Und auf einigen saß tatsächlich keck ein Häubchen aus Blattgold. Mitessen? Ich schiele auf die Nachbarteller. Offenbar mitessen. Bevor ich dazu komme, klingelt das Telefon ...

Wenig später wird in einem Film ein junger Restaurator die Brandnarben seiner Geliebten vorsichtig mit Blattgold schmücken ("Spanien", Regie: Anja Salomonowitz, Österreich 2012).

* * *

Beim Dessert klingelt wie gesagt das Handy: Ob ich in 35 Minuten im Delphi sein und anschließend für einen Schauspieler dolmetschen könnte.... Bei Tisch ist das Wesentliche besprochen, also kann ich und flitze in den Film "Spanien". Anschließend sitze ich auf der Bühne zwischen zwei Schauspielern, übertrage ein auf Deutsch geführtes Publikumsgespräch per Flüsterdolmetschen für Schauspieler Grégoire Colin.
Dann kommt mein Moment: Der einzige Dolmetscheinsatz dieses Jahr ins Deutsche fürs Forum! Grégoire Colin spricht gefühlte neun Minuten, beendet immer wieder seine Sätze, lässt eine Pause fürs Dolmetschen entstehen, und während ich das letzte Stichwort notiere, hebt er nochmal an, ich schreibe weiter, ein Blatt voll, dann beschreibe ich den einen Rand, dann den anderen. Am Ende darf ich doch auch sprechen. Ich verdolmetsche das Gesagte in gefühlten sieben Minuten, merke, ich bin sehr genau, es macht Spaß, ohne Anlaufzeit auf den Punkt zu kommen. 

Kurze Pause. Szenenapplaus vom Publikum. Dann sagen die Männer links und rechts von mir simultan (fast) das gleiche Wort, beeindruckend/impressionant. Diese Synchronizität und der Szenenapplaus haben dann wiederum mich beeindruckt. Danke! Das war jetzt besser als Dessert.

* * *

Im Kino schlafen bedeute, dem Film zu vertrauen, sagte einst Godard. Dieses Jahr erlebe ich meinen Berlinaleschlafhöhepunkt: Ich begebe mich, erschöpft von den Strapazen, in Morpheus' Arme, und als ich aufwache, sehe ich auf der Leinwand einen Mann, der im Kino schläft. (Was wirklich nur etwas über mich aussagt, nicht über den Film, es war der Wettbewerbsbeitrag "Tabu" von Miguel Gomes, Portugal, Deutschland, Brasilien, Frankreich 2012.)

* * *

Abends gibt's eine frische Käsestulle: Freunde haben Karten für den Thatcher-Film mit Meryl Streep besorgt, eine schauspielerische Glanz-leistung. Den Film muss ich nochmal sehen, bevor ich mich richtig äußere, aber ich habe den Eindruck, dass die politische Ebene zu kurz kommt. ("The iron Lady", Phyllida Lloyd, Großbritannien 2011. Mein Gefühl spiegelt die SZ wider.)
* * *

Morgens halb zwei sind wir mit nassen Füßen wieder zu Hause. Scheematsch!

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Fotos: C. Elias

Dienstag, 14. Februar 2012

6. Berlinaletag: In eigener Sache

Willkommen beim einzigen Blog Deutschlands, das in der Dolmetscherkabine entsteht. Hier denke ich (an manchen Tagen auch vom Übersetzerschreibtisch aus) über unseren Alltag als Sprachmittler nach. Dabei habe ich mich auf Politik, Film und Medien spezialisiert. Dieser Tage schreibe ich von der Berlinale.

Die Einträge der letzten Tage hatten einen pessimistischen Grundton, darauf haben mich etliche Leser hingewiesen. Aber was soll ich hier flunkern, damit ist niemandem gedient. Ich betreibe ohnehin ein hohes Maß an Selbstzensur, weil ich natürlich meine Kunden, Kollegen und auch die Konkurrenz schützen muss, das ist ein Gebot der Diskretion.

Wenn ich allerdings im Arbeitstagbuch in medias res gehe wie Sonntag und über die Explosion des Englischen auf der Berlinale schreibe, gebe ich nur meine private Meinung zum Besten, die aber alles andere als eine Minderheitenmeinung ist.
Ich setze den demokratischen Diskurs fort, den wir im wirklichen Leben auch führen und der typisch ist für eine im Wesentlichen mit öffentlichen Geldern finanzierte Veranstaltung. Nein, ich rechne nicht mit "negativen Konsequenzen", denn ich bleibe an der für jeden Zuschauer sichtbaren Oberfläche und erzähle keine Interna. Außerdem leben wir ja nicht in der DDR.

Was soll ich hier noch schreiben? Von der Berlinale scheint alles erzählt ... zwischen Kratzstimme und der Beschreibung der Dolmetscherkabine des Festivalpalasts, von Episoden von der Pressekonferenz bis hin zu Gruppeninter-views ("Press Junkets"). Die Momente wiederholen sich. In den gut 11,5 Monaten zwischen den Festivals schreibe ich auf dem Blog über die Übersetzung von Drehbüchern, Softwareärger, andere Interview- und Drehsituationen und ganz normale Wirtschafts- oder Politikeinsätze sowie von meiner Tätigkeit in der Bildungsarbeit und ich berichte von Städtepartnerschaften. Auch ärgerliche Situationen lasse ich hier nicht aus ... und ich beobachte, wie Dolmetscher im deutschen Fernsehfilm vorkommen. Bei meiner intensiven Beschäftigung mit dem Kino wäre es denkbar, hier Filmkritiken zu veröffentlichen, französischsprachige Filme bespreche ich aber lieber auf www.FranzösischerFilm.de, für das Schreiben über andere Filme fehlt mir die Zeit. Stattdessen denke ich lieber über aussterbende und neue Wörter nach.

Diese kleine Übersicht hat ihren Grund. Übermorgen feiert dieses Weblog seinen 5. Geburtstag. Fünf Jahre war einmal die Frist, die ich mir innerlich fürs Bloggen gegeben hatte, es wäre also an der Zeit aufzuhören. Ich bin unsicher, ob ich meine Absicht umsetzen soll ... und geneigt, mir noch zwei Jahre Verlängerung zu genehmigen.

Daher heute meine Bitte: Am 5. Jahrestag des ersten Blogeintrages werde ich nichts schreiben. Ich möchte lieber Sie zitieren, meine Leserinnen und Leser, und freue mich auf Zuschriften dazu, wie Sie dieses Blog empfinden, was ich besser machen kann, was Sie stärker interessiert oder was Ihnen bei den inzwischen 1111 Einträgen gut oder weniger gut gefallen hat.

Dann kann ich mich möglicherweise aufraffen für weitere zwei Jahre ;-)
Vorab herzlichen Dank!


Mails an caroline[at]caroline.de
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Foto: C.E.

Montag, 13. Februar 2012

5. Berlinaletag: Knapp

Bienvenue auf den Seiten des Arbeitstagebuchs einer Berliner Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache mit Fachgebiet Film. Derzeit spielt am Potsdamer Platz die Musik, und in den Kulissen des Filmfestivals wirke auch ich als Sprachmittlerin. Manchmal ist alles aber ziemlich knapp.

Berlinalefrühstück bei uns zu Hause. Auf der Truhenbank in der Küche sitzt Georg.(*), der ein Regiestudium absolviert hat und einige Jahre als Drehbuchautor sein Geld schön regelmäßig verdient hat. Dieses Jahr ist er nicht auf der Berlinale. Dieses Jahr hat er auch keinen Job in Aussicht. Georg, so will's der Zufall, wohnt im Haus nebenan und ist mit einem unserer Berlinale-Logiergäste eng befreundet.

"Mein Clan ist futsch", resümiert er lapidar. "Ich hab für einige ältere Kollegen geschrieben, zwei sind gestorben, einer ist in Rente, ich steh jetzt ohne Familie da". Und neuen "Familienanschluss" zu finden sei nicht einfach. Die Positionen Sohn, Nichte, Lieblingsenkel scheinen bei den meisten schon besetzt.

Hanna (*), seine Frau, die Animationsfilm studiert hat, war zwei Jahre bei einem etablierten Unternehmen als "Praktikantin nach dem Studium" tätig, "das ist heute so üblich", kommentiert sie. Man habe immer durchblicken gelassen, dass sie "sich nur bewähren" müsse ... und jetzt sei der Chef mit neuen Praktikanten "gut im Geschäft", die alte Belegschaft durfte gehen.

Tolle Geschäfte. Die beiden jobben in angrenzenden Berufen, das Geld reicht knapp zum Leben. Wir anderen schweigen betreten und hoffen, vielleicht mal um eine Empfehlung gebeten zu werden, dann wissen wir, wen wir ins Spiel bringen können. Die prekäre Lage vieler in unserer Branche sollte sich mehr rumsprechen, finde ich.

Gleich eile ich noch auf die Mitgliederversammlung des Verbands, in dem ich mich zu Hause fühle, denn hier komme ich her: In der AG DOK sind Menschen vieler Gewerke engagiert, die zum Teil auch im Spielfilmbereich aktiv sind, die aber eher "mehrere Hüte" tragen, z.B. ein Autor, der zugleich auch Regie führt und der seine eigene, (ko-)produzierende Firma hat. Die Arbeits- und Lebenssituation der Kreativen und der Produzenten in Frankreich und Deutschland ist ein Thema, das ich hier einbringen kann, weil's mich auch wissenschaftlich beschäftigt.

Anschließend flitze ich zur Diskussion über Urheberrecht und Digitalisierung des Kinos, bei der die Frage vertieft werden soll, ob das Netz eine Chance ist oder eher als Bedrohung wahrgenommen wird. Dann folgt ein Arbeitsessen: Die Anbahnung großer, internationaler Koproduktionen findet nicht selten im Restaurant statt. Ob wir's dann noch zum Empfang in die französische Botschaft schaffen? Könnte knapp werden ...


(*) Namen geändert.
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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 12. Februar 2012

4. Berlinaletag: Englisch

Über die 13 Arten, ein Festival zu dolmetschen, schrieb ich bereits vor zwei Jah­ren. Daran hat sich im Grunde nichts geändert, nur, dass es für Dolmetscher mit Französisch und Deutsch weniger wird. Ums frei heraus zu sagen: Deutsch ist das Problem. Deutsch muss eine schreckliche Sprache sein, ein gutturales Brüllen, als das es bis in die 1980-er Jahre in manchem französischen TV-Film vorkam. Ein so schreckliches Idiom, dass man es am besten abschafft ...

Vorgestern habe ich mich hier über Lei­tungs­was­ser ausgelassen, meinte aber vor allem das Berliner Wasser, nicht das nach Chlor schmeckende der französischen Hauptstadt (igitt!). Um die Sache für manche noch unappetitlicher zu machen, hier ein Geständnis: Oft habe ich nach Berlinaleeinsätzen — Anmoderation eines Films, Vorführung, Filmgespräch — am Tresen ein großes Bierglas voller lau­war­men Wassers bestellt und trank es auf Ex. (Danke, liebe Barmänner und Barfrauen, dass wir meine Trinkgewohnheit nicht diskutieren mussten, aber ich hasse es, auf der Bühne beim Gespräch mit dem Gast aus französischsprachigen Ländern auch nur ein Fitzelchen abgelenkt zu sein.)

Das scheint jetzt Vergangenheit zu sein. Die Diskussionen des "Internationalen Forums des jungen Films", die ich zwölf Jahre lang ins Deutsche dolmetschen durfte, finden jetzt mit wenigen Ausnahmen auf Englisch statt (oder werden von improvisierten "Dolmetschern" ins Umgangsenglische/-französische verdolmetscht).

Seit Jahren nimmt die Zahl der auf Deutsch geführten Filmgespräche ab. Das Publikum ist darüber geteilter Meinung. Ich finde diese Entscheidung schade, denn die Gespräche bleiben damit häufig an der Oberfläche, weil es eben doch etwas anderes ist, in einer Fremdsprache knifflige technische, dramaturgische oder sonstige Vorgänge der Filmherstellung zu erörtern als in seiner Muttersprache.

Das Thema wird hier spätestens alle zwölf Monate diskutiert. Ja, ich verstehe das Argument, dass wir ein internationales Festival sind und für internationale Gäste verständlich sein müssen, denke aber mit Grausen an die Englisch-Mut­ter­sprach­lerin, die das simplified facebook english, das auf der Bühne gesprochen wurde, nicht verstand.

Nicht immer viel verstehen auch etliche Publikumsgäste aus Deutschland und besonders dem Osten Deutschlands, deren Steuergelder zur Finanzierung des Festivals beitragen. Die Berlinale ist, anders als Cannes, auch ein Pu­bli­kums­festival (und stolz darauf). Und dann sind da noch die osteuropäischen Filmkritiker eines gewissen Alters, die in "der Ehemaligen" studiert haben und Deutsch können, dafür kaum Englisch. Wer wie ich zwölf Jahre lang eines der "Gesichter der Berlinale" gewesen ist, wird dieser Tage schon mal zum Kum­mer­kasten. Ich darf mir regelmäßig was anhören, das macht meine Festivaltage nicht unbeschwerter. Und auch die ostdeutschen Filmkritiker sind nicht alle polyglott, nur weil die Wende mehr als 20 Jahre her ist.

Die jüngeren, besser ausgebildeten Kollegen aus dem Osten Deutschlands oder Europas trifft das oft nicht. Aber denen fehlen Jahrzehnte Seherfahrung. So wirkt ein positiver Entschluss — "wir öffnen uns der Welt" — unfreiwillig altersrassistisch und verflachend. Und müssen deutsche Filmemacher mit deutschen Moderatoren auf deutschen Festivals jetzt eigentlich auch auf Englisch diskutieren?

Die eleganteste Lösung des Problems wäre, dass jeder in seiner Sprache spricht, auf der Bühne würde dann in die Sprache des Landes verdolmetscht, in dem das Festival stattfindet, und aus der Kabine simultan ins Englische. Aber das ist eine Geldfrage, genauso wie bei den Press Junkets, die auch immer öfter nur noch ins Englische verdolmetscht werden, ich habe bereits letzte Woche darüber ge­schrie­ben.

Parallel zu diesem Trend gehen auch die meisten Untertitelungen ins Eng­li­sche. Richtig absurd wird es bei Filmen für ein jugendliches Publikum, die zumeist Englisch untertitelt auf der Berlinale laufen. Aber das 14+-Publikum lernt ja diese Sprache gerade, seine Fähigkeiten werden von Erwachsenen oft über­schätzt. Berlin ist zudem eine Stadt mit vielen Europaschulen, wo je nach Partnerland zunächst sämtliche Energien in den Erwerb der spanischen, italienischen, tür­ki­schen, französischen ... Sprache investiert werden und Englisch in der Mittelstufe als weitere Sprache hinzukommt. So wird der Zu­schau­er­nach­wuchs nur schwer erreicht.

Etliche der jungen Fachübersetzer, die keine Englisch-Mut­ter­sprachler sind und in diesem Wintersemester an neu geschaffenen Studiengängen wie am Master­stu­dien­gang Medientext und Medienübersetzung der Universität Hildesheim ihr Fach­stu­dium aufgenommen haben, können dann in anderthalb Jahren gleich wieder um­schu­len (falls die Komplexität unseres Arbeitsfeldes, der Berufsjargon, die kul­tur­el­len Besonderheiten der jeweiligen Länder usw. überhaupt in vier Se­mestern vermittelbar sind, was ich bezweifle). Wo soll der deutsche Sprach­mitt­ler­nach­wuchs seine Routine herkriegen, wenn Festivals ausfallen?

An dieser Stelle hat jetzt, wer nicht mehr 30 ist, Glück gehabt. Mich buchen wei­ter­hin kleine Festivalsübauch in Frankreich, Hochschulen und wunderbare, re­gion­ale Veranstalter von Filmevents mit Frankreichbezug, und dann sind da ja noch Politik und Wirtschaft. Auf der Berlinale gibt's für mich durchaus noch was zu tun, es ist aber deutlich weniger geworden. Ich hoffe, dass die Chose eine Mode­er­scheinung ist, warte auf bessere Zeiten. In der Zwischenzeit dolmetsche ich außerdem Filmrelevantes aus dem Eng­lischen ins Französische sowie Texte aus dem Englischen ins Deutsche.

Hab ich schon gesagt, dass mir die deutsche Sprache so lieb ist wie das Berliner Trinkwasser? Jetzt aber.

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Foto: C.E.

Samstag, 11. Februar 2012

3. Berlinaletag: Allerletzte Minute *Aktualisiert*

Eins wird von Jahr zu Jahr schlimmer: Die Inextremitis. Ich wiederhole mich leider auf dem Blog, weil sich die Situationen auch wiederholen.

Wenn alles nur in extremis, also in allerletzter Sekunde, geklärt wird, bleibt das nicht ohne praktische Folgen. Ich sitze im Kino immer öfter auf dem Sitzplatz, der dem Ausgang am nächsten ist. Bei knapp minus zehn Dioptrien ist das nicht schön, denn zu 100 % ist meine Fehlsichtigkeit leider nicht ausgeglichen. Und ich seh' halt auch gern was von den Filmen.

Aber immer wieder |brummelt| vibriert das Handy lautlos, ich schleiche raus und mache draußen die Termine klar, manche sind für die Kollegen. Dann schnell wieder rein und überlegen, was ich jetzt verpasst haben könnte.

Hätte ich absehen können, dass dieses Berlinale-Jahr doch noch ganz munter wird, wir hätten uns jemand fürs Büro engagiert. Aber so ruhig wie dieses Jahr war es im Vorfeld noch nie zuvor, und da der Trend immer mehr in Richtung Englisch geht.... Und okay, nicht letzte Sekunde, aber seit diesem Jahr ist die 24-Stunden-Marke geknackt, die letzte Anfrage kam |20 Stunden vor dem Einsatz|. *AKTUALISIERT*: 35 Minuten vor Filmstart. Vor sieben Jahren habe ich noch Ende Januar meine Berlinaletermine geplant, dann war's lange in den ersten Februartagen.

Woran das liegt? Alle buchen und entscheiden sich jedes Jahr später: Die Redaktionen, was sie haben wollen, die Journalisten, welchen der Filme sie ihre Aufmerksamkeit schenken wollen, die Agenturen, wie lange nun der/die Dolmetscherin zu buchen ist, für einen ganzen oder einen halben Tag und wen man dann anspricht. Die vermeintliche Synchronizität unserer parallel gelebten Alltage, Stichwort social media, die minutengenaue "Statusmeldung" über Twitter, facebook und Co., lässt das Zeitgefühl auf eine permanente, übergroß wahrgenommene Gegenwart zusammenschnurren. Planung? Iwo, wird doch eh' gleich alles wieder anders.

Schnell zurück ins Kino!


P.S. - *AKTUALISIERT*: Ich arbeite immer gerne auch spontan, wenn kurzfristiger Bedarf vorhanden ist. Mein Kommentar bezog sich vor allem auf die Termine, die Wochen im Voraus feststehen. Unsereiner bereitet sich vor, sieht den Film, liest sich ein; kenne ich Regisseure noch nicht, sehe ich auch gerne, was er/sie davor gemacht hat. Und es tut einfach weh, ganze Berlinaletage mit Vorbereitungen zuzubringen, für die in den Wochen vor der Berlinale genug Zeit gewesen wäre.
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Foto: C.E.

Warum es wichtig ist, ...

... zwei Sprachen zu sprechen. Link oder Filmchen der Woche :-)


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Film: Yael Leibel, Marco Resa, Fondazione
Centro Sperimentale di Cinematografia,
Scuola Nazionale di Cinema, Roma

Freitag, 10. Februar 2012

2. Berlinaletag: Wasser marsch!

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Film, denn Film ist eine Sprache für sich. Hier denke ich öffentlich nicht nur über unseren Arbeitsalltag nach, sondern auch über dessen Grundlagen, die Sprache.

Nein, kein Kommentar zu traurigen Filmen, bei denen viele Taschentücher zum Einsatz kommen. Bei Filmempfängen bin ich ein Gast, der nicht teuer zu Buche schlägt, denn in den zehn Tagen der Berlinale trinke ich (fast) keinen Alkohol, da reicht die Energie gerade fürs Festivalpensum. Irgendwann habe ich bei einem Filmempfang, bei dem es kein stilles Wasser gab, ein Glas Château Robinet bestellt, was die Frankophonen unter uns zum Schmunzeln brachte, heißt 
le robinet doch der Wasserhahn. (Besonders viel Hallo erntete ich an einem Abend, an dem wir abends französische Gäste hatten, denn darunter war jemand, der mit Nachnamen "Robinet" heißt.)

In Deutschland sind Trinkwasserkontrollen zum Glück noch schärfer als in Frankreich, und oft soll, so ein mir bekannter Lebens-mittelchemiker, das Leitungswasser hierzulande sogar besser sein als manches Mineralwasser in der Plastikflasche.

Veuve Robinet brut wäre dann die Alternative zum Champagner. Freunde aus Frankreich verwenden eher den Ausdruck Château de la pompe, Schloss Wasserwerk.

Aus Westfalen kenne ich für "Wasserhahn" auch das Wort "Wasserkran". Das führt mich zu einem schönen Versprecher, den ein Dolmetscherkollege mal eines Abends in Frankreich bei einem Abendessen im Restaurant brachte. Wir hatten an diesem Tag ein paar besondere "Schätzchen" zu versorgen gehabt, verbale Concordeflieger, Maschinengewehrbesitzer und VPKs — hier schrieb ich über die Verbalprokrastinierer —, weshalb der liebe Kollege einen deutlichen Druck auf dem Kopf verspürte. Und sicher hat der westfälische "Wasserkran" auch reingefunkt, als er statt de l'eau de robinet zu unserer großen Überraschung une eau de crâne bestellte. Das klingt fast wie maux de crâne, Kopfschmerz ... Das führt mich sofort zu Château migraine, der wird manchmal leider auch bei Filmempfängen ausgeschenkt, das ist der mit der Garantie auf einen schweren Schädel am nächsten Morgen. Den lasse ich lieber aus, denn jeder einzeln Berlinaletag ist mir lieb und teuer.


P.S.: Für alle Französischlernenden: "Wasser" ist auf Französisch weiblich, "das Wasser ist heiß" heißt also l'eau est chaude.
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Illustration: weltbester Patensohn

Donnerstag, 9. Februar 2012

1. Berlinaletag: Öffentlichkeit

 Willkommen auf den Logbuchseiten einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Ich lebe in Berlin mit Freunden, Büchern und Filmen, freue mich über freundliche, kompetente Kunden und spannende Aufträge ... und ansonsten heißt es leider immer öfter: Nicht ärgern, nur wundern!

Schlechte UTs, leider ein altes Problem
Wenn sich Promi-Paare auseinandertun, nachdem sie sich jahrelang vor den Augen aller Welt und der Presse öffentlich zugeneigt waren, dann ist der "Preis der Öffentlichkeit", dass ihnen Paparazzi auflauern, oder?

Letztens las ich in einer Pressemeldung "Der Preis der Öffentlichkeit wird am soundsovielten anlässlich einer festlichen Gala vergeben ..." Moment mal, die meinen wohl le prix du public, den Publikumspreis?

Ich würde mich jetzt nicht so ausführlich wundern, wenn der Pressetext nicht von einer großen Institution der Kulturindustrie in Auftrag gegeben worden war, die sich wirklich Profis leisten könnte. Ich weiß, wie sowas zustandekommt: Alle meinen, Übersetzen könnte ja jeder — und außerdem ist ja das Geld knapp, weil das repräsentative Gewese so arg teuer ist (zu dem ich, welch' Paradox, auch gern eingeladen werde).

Wir haben schon mal für eine vergleichbare Institution gearbeitet, nahmen den Auftrag natürlich so, wie er auf dem Papier stand, ernst. Wir waren eher kurzfristig für Korrektorat und Übersetzung angeheuert worden und fingen unglücklicherweise, weil der Job unterfinanziert war, nicht in der Stunde nach Auftragserteilung an, ihn zu erledigen, denn wir mussten erst noch die Grundkosten für die folgenden Wochen in der Dolmetscherkabine "reinholen" (dieser Auftrag war seit langem gebucht). Was wir vorher nicht wussten: Auch ohne diese Tage in der Kabine war der Auftrag in der zur Verfügung stehenden Zeit kaum zu erledigen, denn die Textvorlagen waren stellenweise so schlecht, dass wir sie nach Rücksprache zunächst umschreiben mussten, bevor wir sie übersetzen konnten.

... heißt übersetzt: "Von Luft und Liebe"
Ergebnis: Wir investierten mehr Zeit als geplant, die am Ende doch nicht reichte, so dass schließlich alle enerviert waren: Wir, weil uns ein Pauschalpreis angeboten worden war (der am Ende nicht zum Aufwand passte), die andere Seite, weil wir laufend um mehr Zeit nachsuchten (was dann vom eher großzügig geplanten Zeitbedarf fürs Layout abging).
Zu guter Letzt durften wir uns anhören, dass wir den Auftrag zu ernst (sic!) genommen hätten. Dabei hatten wir doch die ganze Zeit gebeten, eine verbindliche "Guideline" fürs Korrektorat zu erhalten oder gemeinsam zu erarbeiten (allerdings ohne Reaktion).

Wenn, wie mit nämlichem Kunden in einem anderen Fall geschehen, dann auch noch die Honoraranweisung anderthalb Jahre unterwegs ist ...

Nein, ich verbiete mir jetzt alles weitere Kommentieren, davon wird nur meine Laune schlecht. Schluss, aus, Ende für heute.

Und auf zur Berlinale, die heute Abend losgeht. Die ersten Filme habe ich schon bei den Pressevorführungen gesehen und den ganzen Vormittag war ich mit dem Terminplan bis einschließlich Dienstag beschäftigt. Das ist nicht einfach, weil sich offenbar alle auf zweieinhalb "halbe Tage" verständigt haben, an denen Französisch-Deutsch gebraucht wird. On verra, wir werden's erleben.

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Illustration: Untertitel und Filmankündigung
(leider echt). Inhalt des Eintrags und Bilder
stehen in absolut keinerlei Zusammenhang!

Mittwoch, 8. Februar 2012

Reisestress

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig auch über die Begleitumstände meines von vielen Dienstreisen geprägten Berufs.

Banal, aber nicht zu unterschätzen: Der Stress, der unsereinem durch Reisen entsteht. Abflug 7.25 Uhr, sowas vermeide ich normalerweise. Aber ich hatte Pech bei der Buchung übers Netz, die Seite war mittendrin abgestürzt, so hatte der Dienstleister zwar mein Geld abgebucht, den Platz aber nicht für mich reserviert. Danach gab es nur noch ein Ticket für die ungemütlich frühe Zeit.

Diese Buchung, die hier 3,5 Zeilen "dauert", hat mich einen dreiviertel Tag gekostet! Der erste Teil klappte, der zweite nicht ganz so gut, so war es denn auch mit der Reise selbst: Hin war prima, zurück der Stress pur. Aufstehen um fünf Uhr, mit dem Taxi zum Bahnhof, von dort mit dem RER zum Flughafen. Dort fehlt prompt mein Flug auf der Anzeigetafel. Das Flugpersonal streikt.

So heißt es erstmal warten. Statt 6.55 Uhr werden wir 8.55 Uhr ins Flugzeug einsteigen. Der Wartebereich ist kühl, draußen herrschen ungastliche Minus-grade, von der Fensterfront strahlt es eisig. Zum Glück hab ich den alten "Schafspelz" dabei, kauere mich in eine Ecke, decke mich zu, bitte die netten Sitznachbarn, mich rechtzeitig zu wecken ... und hole Nachtschlaf auf.

Das alles zehrt. Am Ende sind die Batterien (fast) leer, nicht nur beim Handy.

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Fotos: C.E. (dreierlei écran - Bildschirm, 
Anzeigetafel, Display)

Dienstag, 7. Februar 2012

Kokett

Willkommen auf den Seiten des Arbeitsjournals einer Französischdolmetscherin aus Berlin. Neben dem Dolmetschen biete ich Übersetzungen mit Schwerpunkt Medien, Dreharbeiten und Festival an. Das Blog ist dabei stets der Ort, an dem ich über das, was die Grundlage unserer Arbeit ist, in Ruhe nachdenken kann: die Sprache.

"Ich bin eine Berlinerin", das könnte Frau Merkel mit Fug und Recht behaupten, stattdessen sagt sie: "Ich bin eine Sarkozy-Anhängerin". Sie tat dies gestern Abend öffentlich, die Medien berichteten ausgiebig.

Nur noch wenige französische Redaktionen haben feste Mitarbeiter, die Deutsch sprechen. Hier versucht eine kokett, den gegenteiligen Anschein zu erwecken. Der/die Sarkozy-Anhänger/in lautet auf Französisch le/la sarkozyste. Bei Frau Merkel hätte man aber noch ein "e" ans "EIN Sarkozyste" dranhängen müssen ...


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Foto: Fundsache

Montag, 6. Februar 2012

In Saint-Denis

Gestern habe ich für Thomas Heise in Saint-Denis gedolmetscht, wir hatten bereits in Marseille miteinander zu tun. Heise und ich waren auf einem kleinen und feinen Festival zu Gast, das den schönen Titel “Journées cinématographiques dionysiennes” trägt.

vor der Veranstaltung wartet Plenel
Nach der Aufführung von Heises Film "Material" wurde über das Thema
Le « 89 » arabe, Réflexions sur les révolutions en cours diskutiert, "Das arabische '89', Gedanken über die laufenden Revolutionen". Mit dem gleichen Titel brachte unlängst (der ebenfalls schon von mir verdolmetschte) Benjamin Stora gemeinsam mit Edwy Plenel ein Buch heraus, und so tauschten sich die Regisseurin Hala Alabdalla, der Filmkritiker Tahar Chikhaoui, Ko-Autor Edwy Plenel und Heise (auch mit dem Publikum) zum Thema aus.

Es war eine hochspannende Veranstaltung. Leider haben uns die örtlichen Gegebenheiten dabei nicht unbedingt positiv beeinflusst. Wir hockten an die Bühnenrampe gelehnt, was für kurze Filmgespräche sicher OK ist. Positiv daran war auch, dass wir nicht weit weg vom Publikum saßen. Zur mangelnden Bequemlichkeit kam aber noch die Tatsache hinzu, dass wir nicht überall sitzen konnten: In regelmäßigen Abständen waren Lampen in die Kante der Rampe eingebaut, die sehr heiß wurden.

So gab es "an der deutschen Ecke" zwei Richtungen während der Diskussion: Einerseits die der ganz außen sitzenden Dolmetscherin hin zur Mitte bzw. den anderen Rednern, die zum Teil nur sehr schwer zu hören waren (über Lautsprecher, die natürlich den Saal beschallen sollten; ihre Lautstärke an der Rampe war für eine beständig vor sich hinmurmelnde Dolmetscherin nicht getestet worden) und andererseits die des direkt daneben sitzenden Regisseurs weg von der Mitte, weil er keine Lust hatte, sich den Allerwertesten verbrutzeln zu lassen. Der Kampf zwischen Zentrifugal- und Zentripetalkraft entfaltete seine ganz eigene Energie ...

Das Thema war mitreißend, und es hat mitgerissen: Allerdings wurde meine Arbeit dadurch weiter erschwert, weil mancher Redner immer mehr in Fahrt kam und am Ende mit gefühlter Überschallgeschwindigkeit sprach.

Edwy Plenel, Hala Alabdalla (verdeckt),Thar Chikhaoui,
Thomas Heise, Caroline Elias
Das Beflüstern meines Dolmetschkunden war insgesamt etwas mühsam: Ich konnte aus diversen Gründen nicht alles so gut hören, wie ich es hätte hören wollen, hatte keinerlei Blick aufs Mundbild, von dem unsereiner das Fehlende abliest, und dann dauerte die Chose statt der geplanten anderthalb Stunden auch noch zwei Stunden 15 Minuten ...

Was mache ich in einer solchen Situation? Ich habe manches Statement so gut es ging zusammengefasst, was angesichts des komplexen Themas und der Tempi bei einigen Kandidaten fast nicht möglich war. Auch wenn ich nichts für die Rahmenbedingungen kann, bei mir bleibt Unzufriedenheit zurück. Die Äußerungen Heises, die ich konsekutiv übertrug, waren verglichen damit ein Kinderspiel.

Am Ende gab's ein mündliches und auch noch ein schriftliches "Debriefing" zur Dolmetschsituation, denn wer aus Erfahrungen nicht lernt, ist schlichtweg dumm.

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Fotos: C.E.