Und hier gleich die Regel: Wir Dolmetscher sprechen auf Konferenzen immer 20 bis 30 Minuten lang und dann übernimmt der Kollege bzw. die Kollegin. Bei vorbereiteten Vorträgen kann das schon mal abweichen, da erleichtert im Normalfall die Vorbereitung die Arbeit. Länger arbeiten wir auch beim Filmdolmetschen, z.B. auf der Berlinale, wo wir fürs fremdsprachige Publikum Wettbewerbsbeiträge simultan übertragen. Die Filme werden auch stets immer nur von einem Kollegen/einer Kollegin bearbeitet, wir bekommen im Vorfeld Untertitellisten, Dialoglisten und/oder Drehbücher. Aber hier stoßen wir mitunter an unsere Grenzen.
Grenzen, die ich bei meinem letzten Job, einem Filmseminar in Marseille, kaum gespürt habe. Kurz: Ich konnte ermüdungsarm bis zu drei Stunden am Stück ohne Ablösung dolmetschen. So, jetzt ist der Hammersatz draußen, der mich selbst erschrickt. Denn da wir Dolmetscher teuer sind, lässt ein solches Statement alle aufhorchen, die weniger Geld ausgeben möchten.
Und jetzt kommt auch gleich die Erklärung dessen, was ich gemacht habe, die letztendlich unsere gute, alte Regel bestätigt. (Für die Kolleginnen und Kollegen: Nicht aufregen, das ist gar nicht nötig!)
Worum ging's in Marseille? Um Dokumentarfilm, um Filmsprache, -ästhetik und -vermittlung. Ich selbst habe elf Semester lang Film und Filmsprache an Hochschulen unterrichtet, zwei Drittel meiner Kurse auf Französisch. Ich habe in der Filmproduktion gearbeitet und auf Festivals - und bin da heute einige Wochen im Jahr immer noch. Das Publikum unseres Filmseminars war mir sehr vertraut: Regisseure, Produzenten, Kinoprogrammmacher, Festivalmitarbeiter, Filmpädagogen, ein angehender Medienanwalt und Studenten/Absolventen - auch meiner "Heimatunis". Ich bin gewissermaßen mit Freunden gereist. Wir haben konzentriert miteinander gearbeitet, fehlende Worte (im Schnitt eins pro Stunde vom Schlage 'historischer Bilderbogen' oder 'Tierpräparator') wurden mir von Teilnehmern souffliert, von denen einige auch sehr gut die Partnersprache beherrschen. Das Ganze fand in entspannter Umgebung statt, es war eine Mischung aus Ferienstimmung - wir saßen im blühenden Hof unter Palmen - und einem schrägen Film - denn der Hof gehört zum katholischen Studentinnenwohnheim, in dem wir die Zelte aufgeschlagen hatten (und zu dem im Seminarmonat Juli auch Männer Zutritt haben). Als Dozentin hatte ich das Programm mit vorbereitet, wusste also, wen wir bzw. was uns erwartet. Alle Gespräche und Vorträge waren mündlich, es wurden keine Paper verlesen.
So sehe ich, wie groß eigentlich die Anteile dessen sind, was sonst stresst:
- fremde Fachtermini
- inhaltliche und räumliche Entfernung zu den Dolmetsch'kunden'
- förmliche, mitunter steife Atmosphäre
- inhaltliche Überraschungen
- geschriebene, hochkomplexe Texte
gefördert vom dfjw |
Außerdem war es ein Seminar der gesprochenen (und nicht der abgelesenen) Sprache - wer seine Gedanken zum Mitdenken vor anderen entwickelt, kann leichter zum Mitdenken in der anderen Sprache verdolmetscht werden.
Anders gesprochen: Bei Treffen mit Familie und Freunden empfinde ich es auch nicht als anstrengend, Fragen der Kindererziehung oder der Getränkewahl zu dolmetschen - Kaffe oder Tee, Orangensaft oder Wasser? Komplexe Themen wie good governance im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe für Afrika ist was ganz anderes. Hier brauche ich nach 20 bis 30 Minuten zwingend die Ablösung, denn nicht zuletzt ist ja auch die Verantwortung sehr viel größer.
Und weil das Ganze in Marseille so wunderbar lief, habe ich an einem Tag nach dem Mittagsschläfchen noch knapp zwei weitere Stunden gedolmetscht. Ausnahmsweise. Den Rest der Zeit üben die Teilnehmer weiter ihre Fremdsprachenkenntnisse ...
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Zum Dolmetschmarathon kam es übrigens, weil ich vor und
nach dem Festival Drehbücher übersetz(t)e und vom vielen
Tippen meine Sehnen spür(t)e. So wollte ich beim Filmseminar
zwischen Simultan- und Konsekutivdolmetschen abwechseln
und hab dann einfach keinen Ausstieg gefunden. Voilà !
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