Donnerstag, 17. Februar 2011

Berlinalesprechen

Hallo, hier lesen Sie Notizen aus dem Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin, der­zeit von der Berlinale.

Am Nachmittag nehme ich die U-Bahn und fahre zum zweiten Dolmetscheinsatz des Tages. Mir direkt gegenüber sitzt eine Mutter mit zwei Jugendlichen, der Junge ein früher Teen, das Mädchen wirkt wie kurz vor dem Abi. Sie kommen aus einem Film der Reihe 14plus für Youngsters ab 14. Der Junge beklagt sich gar bitterlich, nichts verstanden zu haben, denn der Film war englisch untertitelt. Das Mädchen verteidigt die Untertitel, kann ihren Bruder aber nicht überzeugen, dessen Trotz in ein knappes "nie wieder!" mündet.

... für Kinoteam und Crewmitglieder
Wenig später stehen wir am Alexanderplatz vor Pub­li­kum. Wir, das sind der Moderator, ein Filmemacher und ich als Dolmetscherin. Als wir an­fan­gen, auf Deutsch zu dis­ku­tie­ren, regt sich Unmut im Publikum: "It's an in­ter­na­tio­nal film festival, you should be talking English!", ruft vor­ne links ein Mann laut. Hinten im Raum regt sich wiederum dagegen Unmut.

Dann hebt großes Gemurmel an: Das Publikum diskutiert das Wie der Debatte und nicht den Film.

Seit einigen Jahren werden alle Gespräche im direkten Umfeld des Potsdamer Platzes auf Englisch geführt, in den weiter weg gelegenen Spielstätten mancher Sektionen weiterhin auf Deutsch, wohl in der Annahme, dass dort vor allem "normale Zuschauer" hingehen würden.

Die Berlinale ist, und darin hebt sie sich von den anderen A-Festivals ab, ein Publi­kums­festival. Wir wenden uns auch an jene, die das große Filmfest ermöglichen: die Durchschnittssteuerzahler und -einwohner der deutschen Hauptstadt. Aber diese Rechnung scheint nicht aufzugehen; die internationalen Gäste suchen ihre Filme nach Inhalten und den Lücken im Terminkalender aus und nicht nach Spiel­ort.

Wir diskutieren schließlich vorne auf Deutsch und Französisch; im Saal bildet sich um eine der Kinomitarbeiterinnen herum eine kleine "Ecke", in der ins Englische geflüstert wird. Das habe ich andersherum auch schon wiederholt gemacht: vorne Englisch, in der Ecke Französisch.

Nach dem Gespräch sprechen mich zwei Frauen aus dem Publikum an, eine jünger, die andere älter. Beide bedanken sich für das informative, lebendige Gespräch. Sie hätte schon viele englischsprachige Publikumsgespräche erlebt, befindet die Jün­ge­re, aber keines sei richtig ins Detail gegangen, bei keinem hätte sie das Gefühl gehabt, den Regisseur in seiner Art so direkt zu spüren. Dann sagt die ältere Frau etwas, das auch zu denken gibt. Sie sei aus dem Osten und hätte in den letzten Jahren eine neue Sprache in einem neuen Land lernen müssen: Westdeutsch in Gesamtdeutschland. Ihre Kinder und sie selbst seien mit einem Schulsystem und einer Arbeitswelt konfrontiert worden, die ihnen fremd gewesen seien; wo bit­te­schön hätte sie da die Energie und Zeit hernehmen sollen, perfekt Englisch zu lernen. (Ich frage zurück, denn der Film war englisch untertitelt. Lesen, antwortet die Dame, sei kein Problem. Sie sei Ärztin, und mit Latein ...)

Sprachen auf getrennten Funkkanälen
Wenn die Dame wüsste, dass die meisten Debatten weit davon entfernt sind, auf per­fek­tem Englisch statt­zu­fin­den ... — Einige Stunden später, diesmal wieder am Potsdamer Platz. Eine Kol­le­gin und ich lauschen einer Diskussion, die von Menschen mit anderen Muttersprachen als Englisch in ebendiesem Idiom geführt wird. Zwischendurch drohe ich einzuschlafen, finde nur schwer in die Diskussion hin­ein, verbuche das unter "Festivalmüdigkeit". Irgendwann bin ich wieder hellwach, habe aber weiterhin Mühen, dem Gespräch zu folgen.

Nach der Veranstaltung fragt mich die Dolmetscherkollegin (und Englisch- und Fran­zö­sisch-Muttersprachlerin) nach einigen Details des Gesprächs. Der eine Spre­cher sei ja Deutscher gewesen, was habe er in seinem deutschen Englisch wohl ausdrücken wollen? Als Deutsche müsste ich doch verstanden haben, was da auf Simplified german facebook english gesagt worden sei ...


P.S.: Dienstag habe ich eine Pressekonferenz für euronews gedolmescht. Für die in Frankreich ansässige Firma war es selbstverständlich, dass alles aus dem Eng­li­schen und im Bedarfsfall auch aus dem Französischen ins Deutsche zu übertragen war.
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Fotos: Sieht noch ganz so aus, als
stünde Deutsch an erster Stelle ...

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