Claude Chabrol, der heute Abend die goldene Berlinale-Kamera bekam, weil er seit 50 Jahren auf der Berlinale Filme präsentiert, war am Nachmittag mein Dolmetsch-Opfer. Er hat dabei auch viel Mist erzählt. Ich hab versucht, das zu übertragen. Ich darf das so schreiben, was ich hier schreibe. Denn bei allem, was er sagt, bricht Claude Chabrol der Schalk aus den Augen und ich hab manchmal Mühen, nicht loszulachen. Wie wir uns beide das Lachen verbeißen, ist hier gut zu sehen:
Seit etlichen Jahren bin ich seine angestammte Dolmetscherin in Berlin. Es ist immer wieder eine große Ehre und Freude, Teil seiner Inszenierung zu werden. Denn Monsieur Chabrol ist jeden Augenblick Regisseur, auch in der eigentlich recht dummen Übung, die Pressearbeit genannt wird. Dumm ist sie, weil sie dumm macht – normalerweise. Vor einem sitzen im Wechsel von zwanzig Minuten bis zu einer Handvoll neuer Journalisten und stellen die altbekannten Fragen, denn das Spektrum möglicher Fragen nach Inaugenscheinname eines Films ist offenbar begrenzt. Regisseur und Dolmetscherin müssen nun jedes Mal so tun, als seien sie absolut angetan von Originalität und Frische dieser Fragen, ja als sähen sie in dieser Äußerung zum Werk nachgerade die kongeniale Steilvorlage, derer es bedurft hat, um die eigenen Gedanken so zu sortieren, dass sie für die feindlichen Außenwelt mitteilbar werden.
Oder sowas in der Art.
Auf jeden Fall ist das bei Claude Chabrol natürlich ganz anders. Die letzte Runde besteht aus vier muntere Herren, sie waren ebenfalls Wiederholungstäter und stellten die Fragen andersherum. Daher verdrehte Monsieur seine Antworten, und ich musste mir höllisch Mühe geben, die Übersetzung nicht auch noch zu verzwirbeln.
So war das. Drei Essenzen, hier die erste: Wie rechtfertige er seine schlechten Filme?, wurde Chabrol gefragt. Es gebe keine Rechtfertigung, nur eine Erklärung. Man müsse so viel drehen, wie möglich, um in Übung zu kommen/bleiben, sich einen Namen zu machen und die Chance zu haben, dass der Zuschauer einen durch sein Interesse überrasche. Manchmal sei man auch selbst nicht klug genug, die Güte seiner Filme zu erkennen, diese Erkenntnis stelle sich mitunter erst mit zeitlichem Abstand ein. Außerdem drehe er, um zu leben, und während er drehe, vergesse er zu sterben. (Den letzten Satz hab' ich hier reingemogelt, den hat er beim letzten Berlinbesuch gesagt.)
Zweite Essenz: Wann habe er aufgehört, Angst zu haben? Antwort: Vor etwa zehn Jahren. Vorher sei noch Angst vor dem künstlerischen Scheitern dagewesen, jetzt wäre alles nur noch eine große Freude und die Dreharbeiten ein Fest.
Dritte Essenz: Claude Chabrol liebt. Liebe sei das Gegenteil von Leidenschaft, und er sei glücklich. Das Verhältnis des Inspektors zu seiner Frau in seinem neuen Film "Bellamy” (dargestellt von Gerard Depardieu und Marie Bunel) spiegele ziemlich genau das Verhältnis der Eheleute Chabrol wider.
Nachwort der Dolmetscherin: Claude Chabrol ist ein glücklicher Mann. Das ist sein Rezept.
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