Sonntag, 12. Februar 2012

4. Berlinaletag: Englisch

Über die 13 Arten, ein Festival zu dolmetschen, schrieb ich bereits vor zwei Jah­ren. Daran hat sich im Grunde nichts geändert, nur, dass es für Dolmetscher mit Französisch und Deutsch weniger wird. Ums frei heraus zu sagen: Deutsch ist das Problem. Deutsch muss eine schreckliche Sprache sein, ein gutturales Brüllen, als das es bis in die 1980-er Jahre in manchem französischen TV-Film vorkam. Ein so schreckliches Idiom, dass man es am besten abschafft ...

Vorgestern habe ich mich hier über Lei­tungs­was­ser ausgelassen, meinte aber vor allem das Berliner Wasser, nicht das nach Chlor schmeckende der französischen Hauptstadt (igitt!). Um die Sache für manche noch unappetitlicher zu machen, hier ein Geständnis: Oft habe ich nach Berlinaleeinsätzen — Anmoderation eines Films, Vorführung, Filmgespräch — am Tresen ein großes Bierglas voller lau­war­men Wassers bestellt und trank es auf Ex. (Danke, liebe Barmänner und Barfrauen, dass wir meine Trinkgewohnheit nicht diskutieren mussten, aber ich hasse es, auf der Bühne beim Gespräch mit dem Gast aus französischsprachigen Ländern auch nur ein Fitzelchen abgelenkt zu sein.)

Das scheint jetzt Vergangenheit zu sein. Die Diskussionen des "Internationalen Forums des jungen Films", die ich zwölf Jahre lang ins Deutsche dolmetschen durfte, finden jetzt mit wenigen Ausnahmen auf Englisch statt (oder werden von improvisierten "Dolmetschern" ins Umgangsenglische/-französische verdolmetscht).

Seit Jahren nimmt die Zahl der auf Deutsch geführten Filmgespräche ab. Das Publikum ist darüber geteilter Meinung. Ich finde diese Entscheidung schade, denn die Gespräche bleiben damit häufig an der Oberfläche, weil es eben doch etwas anderes ist, in einer Fremdsprache knifflige technische, dramaturgische oder sonstige Vorgänge der Filmherstellung zu erörtern als in seiner Muttersprache.

Das Thema wird hier spätestens alle zwölf Monate diskutiert. Ja, ich verstehe das Argument, dass wir ein internationales Festival sind und für internationale Gäste verständlich sein müssen, denke aber mit Grausen an die Englisch-Mut­ter­sprach­lerin, die das simplified facebook english, das auf der Bühne gesprochen wurde, nicht verstand.

Nicht immer viel verstehen auch etliche Publikumsgäste aus Deutschland und besonders dem Osten Deutschlands, deren Steuergelder zur Finanzierung des Festivals beitragen. Die Berlinale ist, anders als Cannes, auch ein Pu­bli­kums­festival (und stolz darauf). Und dann sind da noch die osteuropäischen Filmkritiker eines gewissen Alters, die in "der Ehemaligen" studiert haben und Deutsch können, dafür kaum Englisch. Wer wie ich zwölf Jahre lang eines der "Gesichter der Berlinale" gewesen ist, wird dieser Tage schon mal zum Kum­mer­kasten. Ich darf mir regelmäßig was anhören, das macht meine Festivaltage nicht unbeschwerter. Und auch die ostdeutschen Filmkritiker sind nicht alle polyglott, nur weil die Wende mehr als 20 Jahre her ist.

Die jüngeren, besser ausgebildeten Kollegen aus dem Osten Deutschlands oder Europas trifft das oft nicht. Aber denen fehlen Jahrzehnte Seherfahrung. So wirkt ein positiver Entschluss — "wir öffnen uns der Welt" — unfreiwillig altersrassistisch und verflachend. Und müssen deutsche Filmemacher mit deutschen Moderatoren auf deutschen Festivals jetzt eigentlich auch auf Englisch diskutieren?

Die eleganteste Lösung des Problems wäre, dass jeder in seiner Sprache spricht, auf der Bühne würde dann in die Sprache des Landes verdolmetscht, in dem das Festival stattfindet, und aus der Kabine simultan ins Englische. Aber das ist eine Geldfrage, genauso wie bei den Press Junkets, die auch immer öfter nur noch ins Englische verdolmetscht werden, ich habe bereits letzte Woche darüber ge­schrie­ben.

Parallel zu diesem Trend gehen auch die meisten Untertitelungen ins Eng­li­sche. Richtig absurd wird es bei Filmen für ein jugendliches Publikum, die zumeist Englisch untertitelt auf der Berlinale laufen. Aber das 14+-Publikum lernt ja diese Sprache gerade, seine Fähigkeiten werden von Erwachsenen oft über­schätzt. Berlin ist zudem eine Stadt mit vielen Europaschulen, wo je nach Partnerland zunächst sämtliche Energien in den Erwerb der spanischen, italienischen, tür­ki­schen, französischen ... Sprache investiert werden und Englisch in der Mittelstufe als weitere Sprache hinzukommt. So wird der Zu­schau­er­nach­wuchs nur schwer erreicht.

Etliche der jungen Fachübersetzer, die keine Englisch-Mut­ter­sprachler sind und in diesem Wintersemester an neu geschaffenen Studiengängen wie am Master­stu­dien­gang Medientext und Medienübersetzung der Universität Hildesheim ihr Fach­stu­dium aufgenommen haben, können dann in anderthalb Jahren gleich wieder um­schu­len (falls die Komplexität unseres Arbeitsfeldes, der Berufsjargon, die kul­tur­el­len Besonderheiten der jeweiligen Länder usw. überhaupt in vier Se­mestern vermittelbar sind, was ich bezweifle). Wo soll der deutsche Sprach­mitt­ler­nach­wuchs seine Routine herkriegen, wenn Festivals ausfallen?

An dieser Stelle hat jetzt, wer nicht mehr 30 ist, Glück gehabt. Mich buchen wei­ter­hin kleine Festivalsübauch in Frankreich, Hochschulen und wunderbare, re­gion­ale Veranstalter von Filmevents mit Frankreichbezug, und dann sind da ja noch Politik und Wirtschaft. Auf der Berlinale gibt's für mich durchaus noch was zu tun, es ist aber deutlich weniger geworden. Ich hoffe, dass die Chose eine Mode­er­scheinung ist, warte auf bessere Zeiten. In der Zwischenzeit dolmetsche ich außerdem Filmrelevantes aus dem Eng­lischen ins Französische sowie Texte aus dem Englischen ins Deutsche.

Hab ich schon gesagt, dass mir die deutsche Sprache so lieb ist wie das Berliner Trinkwasser? Jetzt aber.

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Foto: C.E.

1 Kommentar:

André hat gesagt…

Ich hab so langsam das Gefühl, die Presse will sich mit aller Gewalt selbst abschaffen...

Mit fehlender Qualität, gekauften Berichten, Falschmeldungen und Realitätsmanipulationsversuchen gewinnt man keine Leser, die Weichen auf das Netz aus.