Mittwoch, 16. Februar 2011

Berlinaleräuspern

oder: Der Lakai, der für Inhalt sorgt

Kleiner Zwischenruf. Ich räuspere mich, obwohl das den gestressten Stimmbändern gar nicht gut tut. Eigentlich wollte ich mir diesen halblaut gesprochenen Kommentar verkneifen, geht aber nicht. Also: Dolmetscher rangieren in der Wertschätzungsskala des Festivalbetriebes ziemlich weit unten. Das erleide ich täglich.

Unsere Arbeit fällt nur dann unange­nehm auf, wenn sie sehr schlecht gemacht wird. Schlechte Arbeit scheint manchen Auftraggebern, wenn  die oft fachfremden Wortübertrager aus den Medien ein gewisses Bohei um die eigene Person machten, kaum aufzufallen. Ansonsten scheint common sense zu sein: Dolmetscher sind stets verfügbar.
Deshalb kann man sie auch im letzten Moment einbestellen, sie sind austauschbar und müssen eigentlich nicht viel wissen. So müssen sie die Filme nicht vorher sehen, manche Gespräche nicht hören und zum Feiern eingeladen werden sie auch nicht!
Mit Grausen erinnere ich mich an die Zeit vor der "Streifenhörnchen"-Existenz.
Jetzt habe ich einen Berlinale-Mitarbeiterausweis mit rotem Streifen drauf. Damit kann ich ohne Karten die Filme sehen, die ich sehen muss.
Die ersten Jahre war das nicht so.

Da stand ich schon mal draußen vor der Tür und wurde von der Arbeit abgehalten.

Einmal war (bei Sonderaufführungen jenseits des Wettbewerbs eher die Regel) kein Dolmetscher eingeplant; die Filmemacherin (die ich kannte) würde aber etwas sagen, das stand vorab fest. Das Kino war voll, die Platzanweiserin wies mich ebenso knapp wie |unwissend| ignorant zurecht: "Nach dem Film dürfen Sie in den Saal. Sie müssen den Film ja nicht gesehen haben, sie müssen ja nur die Worte übersetzen!" *Räusper*

Und noch ein Räuspern: Seit etwa sechs Jahren, seitdem ich vor allem als Dolmetscherin in Erscheinung trete, bin ich kaum noch zu Empfängen eingeladen. Ich sprach Verantwortliche darauf an. Die Antwort war denn doch sehr überraschend: "Wir laden doch auch nicht unseren Getränkelieferanten ein".

Mit Verlaub, der Vergleich ist gar nicht so falsch. In beiden Fällen geht es um Inhalte. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich über den Inhalt für den Auftraggeber öffentlichkeitswirksam arbeite, der Getränkelieferant nicht. *Räusper*

Auch nicht vergessen: Das Wort, das angeblich auf einen früheren Botschafter aus dem Bouquet der Frankophonie zurückgeht: On ne demande pas les laquais à table — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch.

Kein Wunder, dass wir Sprachmittler im Abspann von Filmen (le générique fin) oft  'vergessen' werden. Und dass uns der Urheberrechtsanteil, den wir natürlich durch unsere Arbeit erwerben, verweigert wird, wenn's ums Verteilen der Tantiemen geht. (Man beobachte nur einmal, wie oft der Name des Untertitlers am Ende des Abspanns neuerdings nicht mehr genannt wird, dafür der Name der Firma, über die der Auftrag lief!)
Die Zunahme internationaler Koproduktionen macht in der allernächsten Zukunft die Gründung eines Verbands der Sprachmitarbeiter nötig, denn ohne Interessensvertretung scheint in diesem Land von Vitamin B (wie Beziehung) und Nepotismus nichts mehr zu funktionieren. Oder wir machen eine sehr aktive Filmsektion in einem der bestehenden Verbände auf.

Schluss mit dem Geräuspere! Prost!

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Fotos: Unsere gestrigen Getränkelieferanten
bei einer Pressekonferenz am Rande der
Berlinale

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