Dienstag, 29. Juni 2010

Alle Wetter!

Gu­ten Tag! (oder gu­ten Abend, gu­te Nacht ...) Ab­sicht­­lich oder zu­fäl­lig sind Sie auf den Blog­sei­ten ei­ner Sprach­ar­bei­terin gelandet. Wie sich der Alltag in einem der stressigsten Berufe der Welt anfühlt (WHO), erzähle ich hier.

"Alle reden übers Wetter, wir nicht!" lautete vor Ewigkeiten ein Slogan des deutschen Eisenbahnunternehmens, als es noch Bundesbahn hieß. Diese Zeiten sind vorbei, jetzt sind es wirklich alle, die übers Wetter reden, was nicht nur am Klimawandel liegt.

Nach Wochen der Kälte und des instabilen Wetters ist es endlich schön geworden. Ich habe prompt einen hochoffiziellen Arbeitstag mit Ex-Ministern und anderen hochrangigen Politikern, da sind die schönen Schühchen vonnöten, das Per­len­kett­chen (Koralle, rot!) und die fein manikürierten Krallen — ein schickes Outfit also, das vielleicht das eine oder andere Suchen nach dem richtigen Wort zu über­spielen hilft.

Soweit, so gut. Ein gewisses Maß an ritueller Vorbereitung, Aufrüschen und An­pin­seln, mag mir ja noch einleuchten. Ich schlüpfe in die Haut der Dolmetscherin, werfe mir mit der Robe den dazu passenden Habitus über, sehe nur wenig später, dass man mir die Rolle abnimmt, glaube dadurch selbst besser daran. (1. Ab­schwei­fung: Die Zahl derjenigen, die sich in diesen dauernden Prü­fungs­si­tu­a­ti­o­nen, die das Dolmetschen nun mal darstellen, immer wieder fehl am Platze fühlen, ist Legion.)

Aber an den Tagen wie heute ist der Rest eine Qual. Es ist heiß. Wann darf ich das Jäckchen ablegen und die Herren die Jacketts? Wann dürfen die Letztgenannten auch noch die Krawatte lockern? Sie tragen enge, geschlossene Schuhen - meine haben vorne eine kleine Öffnung, die sich schuhinnenraumklimatisch indes leider gar nicht bemerkbar macht. Oft sitzen wir in vollklimatisierten Räumen, ich denke an den Klimawandel, dann geht es raus an einen anderen Ort, der kurze Weg vom Eingang zur Limousine reicht angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit aus, um uns wieder ankommen zu lassen in der Wetterwirklichkeit. Zwischendurch Altbauten, keine "clim'", wie die Franzosen sie nennen, ich beobachte mich, wie ich mir beim Dolmetschen die Wangen am Mineralwasserglas kühle, lasse das gleich wieder sein, es könnte unerzogen wirken.

Überhaupt regiert in diesen Kreisen stets eine gewisse Steifheit, die an alte Kin­der- und Schulzeiten erinnert. Unterschwellig schwebt immer ein schlechtes Ge­wis­sen mit ... wie wegen nicht gemachter Hausaufgaben oder vergessener Sport­sachen. Nach etlichen Stunden fängt es im Raum an zu dampfen, ein Parfum wie in der Turnhalle entschlüpft dem Jackett des Sitznachbarn, als dieser Mineralwasser nachschenkt. Dann, endlich, gibt der Ranghöchste ein Zeichen und zieht seufzend das Jackett aus.

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Foto: C.E. (Die Sprayer waren noch im
vergeigten Frühjahr unterwegs.)

2 Kommentare:

AM hat gesagt…

Schick sieht das aus! Gruß, AM

caro_berlin hat gesagt…

Danke :-)