Unverhofft musste ich im Büro an meine Oma denken. Als sie einst mit mir Kinderkleidung einkaufen ging, sagte sie zu manch schlecht verarbeitetem Stück: "Wir haben zu wenig Geld, um uns so billige Sachen leisten zu können." Das mit dem wenigen Geld war relativ, aber Krieg und Nachkrieg saßen dieser Generation noch in den Knochen. Ansonsten verstand ich einen Wortsinn: Das sieht billig aus, so arm wollen wir nicht aussehen. Heute verstehe ich noch einen zweiten, der sogar naheliegender ist: Das Billige ist oft von schlechter Qualität und damit im doppelten Wortsinn nicht tragbar. Neulich klingelt das Telefon. Ein potentieller Kunde fragt mich an für eine Verhandlung, ein französischer Miteigentümer käme aus Paris nach Berlin, beim Termin gehe es um Investitionsförderung, staatliche Gelder, eine Art Banktermin. Kreditanstalt für Wiederaufbau, schießt es mir durch den Kopf, Marshall-Plan? Ob's das war, weiß ich nicht, deshalb darf ich hier mutmaßen. Der Termin dauere eine Dreiviertelstunde. Was denn wohl eine Stunde Dolmetschen koste? Ich frage nach dem Thema, erfahre es; ja, das liegt im Bereich des Machbaren. Ich schlage einen halben Tag zu 500 Euro vor. Am anderen Ende der Leitung höre ich betretenes Schweigen. Nein, nicht einen halben Tag wolle man mich buchen, eine Stunde reiche. Ich erkläre mich, sage wahrheitsgemäß, dass mir das Thema nicht ganz fremd ist, ich daher nur einen halben Tag veranschlage statt eines ganzen, mich aber auf jeden Fall gründlich vorbereiten müsse.
Das Schweigen des Gesprächsteilnehmers wird nervöser. Er hüstelt. Also ob ich denn Profi sei, will er wissen, und er hätte so mit 60 Euro gerechnet, um mal eine Vorstellung zu vermitteln. Ohne auf die Ehranfechtung einzugehen - das ist seine Baustelle, nicht meine - , frage ich, um welche Investitionssumme es denn gehe. Nach der Antwort bin ich es, die schweigt ...
Ich steig hier mal aus dem unerfreulichen Szenarium aus, das leider von der Wirklichkeit abgekupfert ist. Ich erfuhr später, weil wir die Verträge übersetzen (lassen) dürfen und zwar zu vollen Tarifen, dass es wohl nicht ganz so optimal gelaufen sein muss mit einer Studentin der Anglistik, Stichwort: Englisch kann doch jeder.
Da fällt mir böserweise eine renommierte, große Filmproduktionsfirma ein, die einen Lizenzvertrag von mir ins Deutsche rübergewuppt haben wollte. Das ist eine kleine Ewigkeit her, und die Ewigkeit und drei Tage früher hatte ich für einen anderen Kunden einen Autorenvertrag aus dem Französischen übersetzt, beides stammte aus der gleichen französischen Quelle, einer Verwertungsgesellschaft. Das war ich so ehrlich, zu erwähnen, um mich qualifiziert zu zeigen. Die Produktionsfirma meinte daraufhin, ich könne doch jeweils nur per copy & paste die Worte "Autor" und "Lizenzinhaber" austauschen und dann sei ich mit 500 Mark (waren das damals noch) mehr als fürstlich entlohnt. Ich machte sie auf die vier Seiten aufmerksam, die in den "drei Tagen" Altersunterschied zwischen Version A und Version B entstanden seien. Na gut, 200 Mark mehr, das könne ich doch jetzt nicht mehr ausschlagen. Dazu muss man wissen, dass ich den Autorenvertrag auch schon unzumutbar billig übersetzt hatte, es war mein allererster Vertrag, ich hatte mir Zeit genommen und diesen Umstand mit wenig Honorar bezahlt. Langer Rede kurzer Sinn: Irgendwann fiel die Forderung, dass ich, wenn ich 1200 DM verlange, die Übersetzung aber auch juristisch gewährleisten müsse. Über die Steilvorlage bin ich noch heute dankbar: Anwältin sei ich nicht, leitete ich ein, um dann auszuführen: "Leider haben Anwälte im Gegensatz zu Sprachmittlern feste Sätze, und hier wäre mindestens das Vierfache von dem zu zahlen, worüber wir jetzt sprechen! Wenn das mal reicht!"
Nachdem mich besagte Firma einige Tage telefonisch nahezu belagert hatte, machte mich die daraufhin einsetzende Funkstille misstrauisch. Meine Nachfrage ergab, dass die Praktikantin den Vertrag hatte übersetzen dürfen - juristisch gewährleistet, oder? Alles Profis in dieser Firma, selbst die Praktis schon!
Und ich konnte nur schadenfreudig grinsen, als mir später zugetragen wurde, dass bei der gleichen Produktionsfirma eine Kameraassistentin, die, damit die Firma Lohn "sparen" konnte, diesen Job bei einem aufwändigen und teuren Dreh als Praktikantin machte, nach einem besonders technik- und personalintensiven Drehtag aus Versehen beim Filmnachlegen die falsche Filmbüchse erwischt und damit belichtetes Material vernichtet hatte!
Zur Ehre nämlicher Firma sei das Ende der Kolportage indes nicht verschwiegen: Die Praktikantin hätte an anderer Stelle im Team weiterarbeiten dürfen. Diese Entscheidung ist wenigstens professionell. Schade, dass ich das meiner Oma nicht mehr erzählen kann.
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Foto: Filmlicht von einem Interviewdreh
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