Dienstag, 22. Juni 2010

Sparen!

Nur einer von vier Deutschen sei, so schreibt es DER SPIEGEL dieser Woche, noch nie in einem Ramschladen gewesen. Einige Straßen von unserer Uferwohnlage entfernt, in der Neuköllner Sonnenallee - in der die Sonne nicht überall scheint - steht bei einem dieser Ein-Euro-Billigheimer als Unterzeile auf dem Ladenschild: "Viel kaufen, viel sparen". Mein Blick fällt auf den Straßenbelag neben diesem Haus. Ich fange an zu zählen. Sieben unterschiedliche Arten von Pflaster, Steinen und Platten, Asphalt, Bitumen und Macadam. Dazwischen große Löcher, die im strengen Winter noch größer geworden sind. Schon in den letzten Jahren wurde hier offenbar kräftig gespart.
Sparen scheint das geheime "Wort des Jahres" zu sein, nicht nur im Berliner Bezirk Neukölln. Die Zeitungen sind voll davon - Bund, Länder und Gemeinden sparen an Kulturausgaben, die ja nur freiwillige Leistungen sind, denen also kein Rechtsanspruch zugrunde liegt. Die Industrie, allen voran der Motor der deutschen Wirtschaft, die Automobilindustrie, spart derzeit, wo sie nur kann, um nicht Mitarbeiter entlassen zu müssen. Und die Hochschulen sparen Geld durch KW-Vermerke auf Stellenplänen in der Lehre.

KW-Vermerk – „kann wegfallen“. Die Professur in der Geisteswissenschaft kann wegfallen – dass das nicht nur zunehmende geistige Verarmung bedeutet, sondern auch die Karrierepläne von Nachwuchswissenschaftlern zerstört, ist keines Nebensatzes wert. Da hat sich jemand 12 Jahre lang von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehangelt, zu Facharbeitereinkommen (und weniger) halbierte oder gedrittelte Stellen innegehabt und Studenten ausgebildet, Nachwuchs geprägt, Wissenschaft betrieben. Jetzt heißt es "KW", auch das kann wegfallen. Sparen wir uns Wissen und Erfahrungen dieser Jungen, die zu alt sind für eine "Juniorprofessur", die wir uns bald auch sparen. Wir sparen uns auch das Wissen der späteren Jahre: 70 % der 60jährigen sind nicht mehr im Beruf, da können Unternehmen richtig sparen. Die fehlenden Renditen dieser Art von Kapital, nämlich dem geistigen, berechnet niemand.

Arbeitnehmer, also Menschen, werden auf „Kostenfaktoren“ miteinander konkurrierender „Standorte“ zusammengeschrumpft. Die dann perfide den Konsum verweigern und die Reproduktion der Spezies. Nicht nur in den Werkhallen und Büros der Autoindustrie überlegt jetzt der oder die eine oder andere, ob jetzt der Zeitpunkt für den Erwerb einer neuen Karre ist - oder das Geld lieber gespart werden sollte. Die gestern in den Tagesthemen der ARD vermeldete sich belebende Nachfrage in der Automobilindustrie sei vor allem auf Exportnachfrage zurückzuführen, hieß es.

Das Wort "sparen" hatte mal einen anderen Sinn. Sparen war etwas Schönes, wir steckten die Extramark von der Oma ins Sparschwein, deponierten es vor dem Börsenboom auf dem Sparbuch und später im Aktienportefeuille. Am Ende hatten wir ein hübsches Sümmchen beisammen, mit dem wir dann in den Sommerurlaub fuhren, ein neues Sofa erwarben – oder eben besagtes Kraftfahrzeug. Auch Sprache kann durch Sparen ärmer werden.

Auf Neusprech kommt "sparen" praktisch nur noch in der semantischen Begriffsverengung vor, die der Präfix "ein-" mit sich bringt, "ein-sparen", also wenn eigentlich "kürzen“, "streichen“, "mit dem Rotstift drübergehen“ gemeint ist.

Was aber, wenn man in der Kultur zu viel spart? Zurück zu den Autoherstellern, Beispiel Volkswagen, diesmal in den östlichen Teil des Landes, nach Westsachsen. Dort, so wurde mir vor Ort glaubhaft versichert, sei die werte Gattin des managenden Chefs in die westliche Heimat zurückgekehrt, weil es in der westsächsischen Provinz zu wenig Kulturangebote gibt. (Das sei zwar schon vor einiger Zeit passiert, ist aber wohl heute noch gültig.) Volkswagen hätte sicher gern das Trennungsgeld gespart, das der Manager danach bekam.
Volkswagen – das klingt genauso alt und unzeitgemäß wie Volkswirtschaft. Also sparen wir, damit dem Volk noch ein wenig Wirtschaft übrigbleibt? Oder glauben Sie etwa, „Bausparen“ heißt „Bausparen“, weil man sich das Bauen sparen will?

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Foto: Kein Sparschwein ...

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