Eine meiner Leidenschaften gilt der französischen Sprache. Aus dem Schulfach wurde mein Hobby, dann meine Studiensprache, später mein Beruf. Heute bin ich Teil der Dolmetscher und Übersetzer, die in Berlin leben und arbeiten (... und bei Bedarf auch reisen). Auf dem Weg dorthin habe ich viele Aufträge übernommen, den dazu passenden Ausdruck learning by earning habe ich gestern gelernt (Danke, Mo Asumang)!
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Foto (C.E.): Ein anderes Stück |
Denn es gibt viele 'Jobs', die gestandene Dolmetscher nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden, so ... überschaubar ist die Entlohnung. Überschaubar, aber ehrbar und in hübscher Weise regelmäßig verdiente ich meine Brötchen Croissants einige Jahre mit Übertiteln im Theater.
Kurzer Einschub: Übertitel sind wie Untertitel, nur eben oben. Sie kommen aus dem Opernbereich und werden nicht erst seit Zeiten knapper Kassen oft bei internationalen Theaterkoproduktionen eingesetzt. Indes, ich sehe sie immer öfter, auch die Welt Welt der darstellenden Künste globalisiert sich. Einzelne Truppen/Theater können viele Stücke ohne die Kofinanzierung internationaler Festivals oder anderer Partner aus anderen Ländern gar nicht mehr auf die Beine stellen. Ende des Einschubs.
Eine meiner anderen Leidenschaften gilt dem Theater. So fand die eine Neigung die andere – und ich stieß auf ein Feld, über das es wenig Literatur gab. Ich bekam den Satz mitgegeben: "Wähle sorgsam aus, erschlage den Zuschauer nicht mit Text, schreibe deine Titel so, dass das Gestrichene mitschwingt", und bin ins kalte Wasser gesprungen. Dabei war und bin ich bereit, aus Fehlern zu lernen, fragte begierig alle nach der Wirkung, und mein Spaß an der Sache wuchs mit meinen Fortschritten. In dieser Zeit traf ich auch Yvonne Griesel, die meine Aufschriebe, Übertitelungen und im Interview preisgegebenen Gedanken zusammen mit denen anderer, die im Theater Übertitel fahren, erst zu einer Diplomarbeit, dann zu einer Dissertation verarbeitete (Yvonne Griesel: Die Inszenierung als Translat. Möglichkeiten und Grenzen der Theaterübertitelung. Berlin 2007).
Sorry, dass ich mich hier heute Morgen so 'ausmähre' (sächsisch für langsam tun), aber die Vorrede muss sein.
Irgendwann bekam ich von diversen Theatern keine Aufträge mehr. Ich lotete die Gründe aus: Nein, nein, an der Qualität habe es nicht gelegen, im Gegenteil, man sei hochzufrieden mit meiner Arbeit gewesen. Indes ... eine Tochter (es kann auch ein Sohn sein) einer im Berliner Theaterbetrieb wichtigen Person war inzwischen alt genug, um diesen, ich wiederhole mich: nicht unbedingt lukrativen, aber regelmäßigen Broterwerb auszuüben. Damit war ich weg vom Fenster. Nepotismus gibt's überall, denn die nächsten Mitmenschen bedenken zu wollen ist menschlich. Richtig ist es damit noch lange nicht. So war ich wieder auf dem Sprung - und einen Schritt weiter in Richtung Konferenzdolmetschen.
Übrigens sah ich zu Beginn der Karriere dieses jungen Menschen eine seiner Übertitelungen – und war entsetzt: Kaum ein Wort, das auf der Bühne gesprochen wurde, das sich nicht auch im kleinen Kasten wiederfand, der oben über dem Bühnenraum schwebte! Keine redaktionelle Bearbeitung, Reduktion, keine Pausen für die Augen des Zuschauers, auch kurze Worte standen viel zu lang, verleiteten zum Immer-wieder-auf-die-Übersetzung-Schauen. Und auch Verknappungen, wie sie in gesprochener Sprache vorkommen, wurden oben in ihrer grammatischen Vollständigkeit wiedergegeben. Wäre der Text eine Bewerbung gewesen, hätte die Nachwuchskraft eine DIN A4-Seite knapper als einzeilig beschrieben gehabt, immer bis zum Rand, ohne dem Leser Pausen, optische Orientierungen und Verweise aufs Wesentliche zu gewähren. Kurz: Eine Bleiwüste war das.
Ich hab damals die Klappe gehalten, heute würde ich sagen, aus falsch verstandener Rücksichtnahme. Offenbar hab nicht nur ich geschwiegen. Dann hab ich mich viele Jahre bei Gastspielen so hingesetzt, dass ich den Kasten mit der Übersetzung nicht dauernd im Auge hatte. Vor einiger Zeit trug es sich aber zu, dass ich mal wieder mit Blick auf die Übertitel saß. Und zu meinem zunehmenden Entsetzen musste ich feststellen, dass sich die "Qualität" der Übertitel nicht grundsätzlich geändert hat, nur Flüchtigkeitsfehler sind seltener geworden.
Oder gibt es in der Übertitelei etwa zwei Schulen, und die Variante 'aufgeschlagenes Textbuch' hat gewonnen? Ma chère Yvonne, ich bitte um Ratschlag.
Denn leserfreundlich war das alles nicht. Zuschauerfreundlich auch nicht. Die Leute, die neben und um mich herum saßen, murrten, zumal der Text auf der Bühne wiederholt in 150-prozentiger Sprechgeschwindigkeit wiedergegeben wurde, ein Kunstgriff der Regie zur Charakterisierung von Figuren. Auf den oberen Rängen wurde es dann leicht unruhig, weil man schon mit dem Lesen kaum mitkam, vom Ansehen des Theaterstücks spreche ich hier gar nicht.
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Der Text wird der Kategorie "Alltag" zugeordnet, weil
sich Nepotismus immer mehr einbürgert. Den gab es
sicher schon immer. Neu scheint mir zu sein, dass der
solcherart geförderte Nachwuchs es heutzutage nicht
mehr dem Umfeld beweisen muss, dass er's auch kann.