Montag, 12. September 2011

Messedolmetschen

Willkommen beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin aus Berlin! Hier schreibe ich über unseren Berufsalltag, wobei ich typische Momente und Probleme herauszuheben versuche, in allen anderen Dingen bin ich an das Schweigegebot gehalten. Dabei fällt mir auch auf, wie sich Beruf und Berufseinstieg in den letzten Jahren verändert haben.

Die Autorin dieser Zeilen 2007 auf der Messe von 
La Rochelle inmitten der Auftraggeber
Letzte Woche ging in Berlin die Internationale Funkausstellung (IFA) zuende. Obwohl ich nicht dort war, habe ich das deutlich mitbekommen. Nahezu täglich klingelte das Telefon: Ob ich ins Englische/Italienische/Russische dolmetschen oder jemanden vorbeischicken könne? Ich alarmierte, sofern sich die Sache nicht schon erledigt hatte, die Netzwerkkollegen.

Denn meistens musste es von jetzt auf gleich sein, akuter Bedarf also. Das erleben wir manchmal, aber in so einer Häufung bei ein- und demselben Event ist das noch nie vorgekommen. War dieses Jahr mehr los auf der Messe? Oder hat das Internet die Arbeitsplanung noch mehr |versaut| verändert, wo ständiges Online-Sein so manchem suggeriert, alles sofort und überall bekommen zu können?

Ich denke, es rächt sich hier vor allem die Geiz-ist-geil-Mentalität. Die Gesprächspartner auf der Messe merken, dass sie mithilfe des angeheuerten Personals nur bedingt miteinander kommunizieren können. Hintergrund ist das Folgende: Was einst häufig Einstiegs- und Übungsjob für Dolmetscher war, als Messe- oder Standmitarbeiter die im Studium gelernten Fertigkeiten anzuwenden und zu verfestigen, wurde immer mehr zum Studentenjob nicht nur für künftige Sprachmittler. Oder aber es bieten auf Alltagsniveau mehrsprachige Menschen als "Nebenjob" Fähigkeiten an, die sie gar nicht haben.

Belege? Unten einige Anzeigen und Diskussionen, die ich in den letzten Wochen und Monaten gesammelt habe.
Ich kann Ihnen helfen bei Verstendigungsproblemen in 5 Sprachen als simultan Dolmetscherin – zum Beispiel bei Eigentümmerversamlung oder auch privat – Amtsgenge uä. Beherrsche Deutsch,Polnisch,Rusisch und etwas Katalan. Sie können mich über Handies erreichen mit die Nummern: XXX und SYZ (Frankreich/Nizza und Monaco)
Frage in einer Newsgroup:
Sind 12.5 € / Stunde für Dolmetscher-Studentenjob auf der Messe gut? ich hab mit bisschen mehr gerechnet, da ich auch das Fachwissen hab und es um meine 2 Muttersprachen handelt.. was meint ihr? hat schon wer gemacht?
Darauf kam die Antwort eines anderen Studenten:
ähm mein Freund rackert sich für schlappe 7 euro die Std mit körperlicher Arbeit ab also ich sag mal JA. Fürn stundenten geht das wirklich.
Ein anderer Leser stellte klar:
€12,50 ist ein bisschen mager für diese Aufgabe so ab € 15,00 ist üblich.
Und mit weiteren Vergleichen wurde auch nicht gegeizt:
ich bin für 4€/h für akkordarbeit arbeiten gegangen...ich würd mich um sowas reißen
Wir sehen den Vergleichsmaßstab und sind not amused (wobei manche Dienstleistung im Sprachensektor ja auch Züge von Akkordarbeit trägt).
Da ist nur zu hoffen, dass so mancher sprachliche Misserfolg auf der Messe die Geschäftswelt wieder dazu bringt, Berufsanfängern aus der Dolmetscher- und Übersetzerwelt eine Gelegenheit zum Einstieg in den Arbeitsalltag zu bieten.

Manche Kunden begleite ich auch heute noch auf Messen, das bedeutet dann hocheffizientes Arbeiten, viele Termine in kurzer Zeit. Während langer Monate, die ich (zusammengezählt) als Marketingbeauftragte eines Filmverbandes an Messeständen zugebracht habe, konnte ich mich darauf vorbereiten.

Messe Paris (zum Vergrößern Bild anklicken)
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Fotos: Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm,
C.E.

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