Willkommen auf dem Blog einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Hier schreibe ich über unseren Berufsalltag, wobei ich typische Momente und Probleme hervorzuheben versuche. Dabei schildere ich auch, in wiefern sich unser Berufsalltag von dem anderer Leute unterscheidet. Übrigens, wer diese Alltagsbeschreibung "durchhält", wird am Ende mit einer Pointe belohnt.
Artikel aus Le Monde vom 17.09.2011 |
Ein anderer Ordner enthält die abgearbeiteten ausgedruckten Vokabellisten. Ich nehme eine Film- und Fernsehwirtschaftsliste zur Hand. Die Ergänzungen und Änderungen, die sich bei einem Dolmetschtermin ergeben hatten, sind längst in die digitale Liste eingearbeitet, aber nochmal zu sehen, was die alten Worte sind, was mir wann noch Probleme bereitet hat, mich gezielt in die Situation von einst zurückzuversetzen, hilft mir, an diese Situation anzuknüpfen ...
Wir können dabei zusehen, wie Worte geboren werden. Mancher Fachbegriff ist zunächst noch an den Rändern 'unscharf', wenn er für uns zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Solche Begriffsunsicherheit klärt sich meist nach einigen Jahren, wenn sich im jeweiligen Land der Gebrauch eines bestimmten Ausdrucks verfestigt und sich ein Parallelbegriff wieder erledigt hat. Kurz: Wir arbeiten oft mit Vokabeln, die noch kein Wörterbuchautor aufgearbeitet hat.
Nach dem nächsten Einsatz kann diese Liste ins Altpapier wandern, ich male mir dafür ein Symbol auf das Blatt. Ich sehe das Wort "Catch-up-TV" wieder, télévision de rattrapage, diese Vokabel bezeichnet TV-Angebote, die im Internet noch einige Tage nach der Ausstrahlung abgerufen werden können. Der Begriff hebt sich von "Video-on-Demand" dahingehend ab, dass "Catch-up-TV" kostenlos ist. Das Wort tauchte in meiner Vokabelliste von 2007 das erste Mal auf (die ich trotz Markierung nicht weggeworfen habe). Auch Lexikalisten verzeichnen, wann ein Wort das erste Mal verwendet wird, nur können wir Dolmetscher das in der Regel nicht mit der gleichen akribischen Genauigkeit wie Wissenschaftler tun, die ausschließlich dieses machen.
Bei all der Arbeit geht es mir vordergründig um Vokabeln, aber die Inhalte sind ebenso wichtig. Ich muss nicht nur wissen, wie die Begriffe verwendet werden, ich möchte mich in meinen Fachgebieten auf dem Laufenden halten. Einmal schlage ich etwas in einem Handbuch nach, das Fernsehwirtschaftlern zur akademischen Ausbildung dient, dann prüfe ich den Punkt nochmal im französischen Pendant dieses Werks.
Anschließend höre ich noch eine der Radiosendungen zum Thema an, die ich bewusst als Podcast aufbewahrt habe, und schreibe noch ein halbes Dutzend Vokabelkarten für die Problemfälle. Dabei sortiere ich natürlich erst den Bestand an Fachwörtern zum Thema um, der schon lange aus dem Arbeitsbestand an Karteikarten "herausgewachsen" war. Dann ist der halbe Vormittag rum.
Was ich mit meinem Arbeitsprogramm lerntechnisch genau gemacht habe und was anschließend folgt, beschreibe ich nächste Woche. Ziel des ganzen Aufwandes ist es, die kopfschüttelnden Kolleginnen und Kollegen schnell mit Wissen versorgen zu können, wenn im Gang der Dolmetscherkabinen jemand vor der Veranstaltung fragt, was es mit diesem "Ketchup-Fernsehen" oder so auf sich habe, von dem er/sie im Radio gehört hatte. (Wir scherzen, es gebe ja auch schließlich Ehrensenf als Web-TV-Format). Naja, und um natürlich später Situationen wie diese da zu vermeiden.
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Illustration: Le Monde
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