Mittwoch, 14. Mai 2025

KI und Pareto Prinzip, Spoiler: nicht!

Bien­ve­nue, wel­come und herz­lich will­kom­men hier im Weblog ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. Wie Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, da­rü­ber schrei­be ich in lo­ser Fol­ge ver­fol­gen. Ich ar­bei­te mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch (die Spra­che Sha­kes­pea­res nur als Aus­gangs­spra­che). Heu­te: Blick auf die KI ... und was sie auf dem Über­set­zer­schreib­tisch an­rich­tet.

Manch­mal er­wischt mich auf dem kal­ten Fuß, wie wenig man­che In­for­ma­ti­ker, deren Be­ruf die Tech­nik ja ist, von der KI ver­ste­hen. Ein al­ter Freund, der lange in Eng­land ge­lebt hat und der heu­te re­gel­mä­ßig mit eng­lisch­spra­chi­gen Län­dern kor­res­pon­diert, dabei ge­le­gent­lich auch bei grö­ße­ren Text­men­gen auf die KI zu­rück­greift, meinte, ich solle bei der Sprach­ar­beit doch dem Pa­re­to-Prin­zip folgen: 20 Pro­zent des Ge­samt­auf­wands ein­set­zen, um 80 Pro­zent der er­for­der­ten Ar­beit zu er­le­di­gen.

Ok, se­hen wir uns das mal an. Bei der Über­set­zung Copy and Paste als "Ar­beit" ver­ste­hen, ein­mal durch die Ma­schi­ne jagen, dann Durch­le­sen, größ­te Klop­per raus­fi­schen, Recht­schrei­bung, biss­chen Stil an­pas­sen und gut is', ja?

Keksdose mit Spielgeld
Die ver­steck­te Geld­scha­tul­le in un­se­rem El­tern­haus
Bei den meis­ten krea­ti­ven Dreh­bü­chern, die ich in die Fin­ger be­kom­me, liest sich eine au­to­ma­ti­sier­te Über­tra­gung in eine an­de­re Spra­che wie im Suff in eine Ma­schi­ne dik­tiert, die zwi­schen­durch rö­deln muss, weil das Netz wackelt: Lö­cher, fal­sche Be­zü­ge, wort­wört­lich Rü­ber­ge­schwupp­tes, merk­wür­di­ge Be­griffs­wahl, sel­te­ne Aus­drücke mit Ter­mi­ni aus den se­man­ti­schen Fel­dern an­de­rer The­men­be­rei­che er­gänzt. 

Kurz: Wenn ich da nach 20 Pro­zent der Zeit auf­hö­re, hin­ter­las­se ich meis­tens das Schlacht­feld, das die KI man­gels Fin­ger­spit­zen­ge­fühl an­ge­rich­tet hat.

Bei ein­fa­che­ren, stan­dar­di­sier­ten Tex­ten bin ich nach 20 Pro­zent der Zeit auch noch nicht fer­tig, denn ich muss ja stän­dig auf meh­re­ren Ebe­nen nach­den­ken. Ich ver­glei­che Aus­gangs­text, ei­ge­ne Lö­sung, Ma­schi­nen­lö­sung und muss über­le­gen, wie ich Letz­te­re ohne viel Tip­pe­rei in die rich­ti­ge Rich­tung "ge­dreht" be­kom­me. Qua­li­fi­zier­tes Le­sen dau­ert im­mer län­ger als das Quer­le­sen von Men­schen, die nur die Ziel­spra­che be­herr­schen und schnel­ler glau­ben, das "Rich­ti­ge" zu er­ken­nen. Au­ßer­dem muss ich wirk­lich stän­dig auf der Hut sein vor gro­ben Feh­lern, gehe im­mer zwi­schen den zwei Tex­ten und dem drit­ten, mög­li­chen, der in mei­nem Kopf ent­steht, hin und her und kom­me so gar nicht in den Flow. Diese Art von Ar­beit ist sehr viel an­stren­gen­der als rei­nes Über­set­zen, ich ver­lie­re schnel­ler die En­er­gie, ma­che mehr Pau­sen.

Für eine über­ar­bei­te­te Halb­fer­tig­wa­re, die als Aus­wurf viel­leicht zu 20 Pro­zent gut ist, wo­bei 80 Pro­zent noch von mir bei­ge­steu­ert wer­den müs­sen, möch­ten die von der KI ver­äppel­ten Kun­den oft nur noch 20, 30 Pro­zent frü­he­rer Prei­se zah­len. Das Gros der Fein­ar­bei­ten kann ich al­ler­dings nicht mit Spott­ra­batt er­stel­len, ohne in Ho­no­rar­be­rei­che pro Stun­de zu lan­den, für die nicht ein­mal Tee­nager das ört­li­che Wer­be­blatt aus­tra­gen ge­hen wür­den.

Der neu­es­te "Move" man­cher Fir­men ist da­her: "Wir ma­chen nur noch KI und haus­in­tern liest je­mand ge­gen." Wir Sprach­pro­fis la­chen da ein­mal kurz und räu­spern uns. Ei­gent­lich wäre un­ser La­chen aber hä­misch und mit dem Kö­nig von Sach­sen kom­men­tiert: "Macht doch Eu­ren Dreck al­lee­ne!" Ver­hunz­te Tex­te, die nicht das be­in­hal­ten, was sie sol­len, sind doch über­aus prak­tisch in Fer­ti­gung, Ver­kaufs­pla­nung, Wer­bung, Kun­den­in­for­ma­tion zu Pro­duk­ten — und sie sind in vie­len Fäl­len so­gar si­cher­heits­re­le­vant bzw. be­treffen die Ge­währ­leis­tung. Wir war­ten jetzt dar­auf, dass die sich ein­stel­len­den ju­ris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mög­lichst rum­spre­chen und die Fir­men ein mög­lichst ho­hes Lehr­geld kos­ten wer­den, da­mit die Pres­se auch be­rich­tet.

Es wur­den auf Mes­sen be­reits Fly­er ge­sich­tet, auf de­nen wort­reich Rum­ge­schwur­bel­tes steht, wobei die ein­deu­ti­gen Aus­sa­gen feh­len, wo­rum es geht. In man­chen ste­hen so­gar grobe Feh­ler. Die Mes­se­fach­be­su­che:rin­nen, mit de­nen ich vor Ort war, gin­gen beim ers­ten Rund­gang, also vor mei­ner An­kunft, rasch wei­ter ... bis ich beim zwei­ten Durch­gang als Dol­metsche­rin auf ei­nem Ge­spräch vor Ort be­stand und klar wur­de: Ge­nau hier fin­det sich das Ge­such­te! Oder stel­len Sie sich ei­nen Mar­ke­ting­text vor, der sich eben so liest, wie die KI ar­bei­tet: durch­schnitt­lich.

Die KI "iden­ti­fi­ziert" Kern­be­grif­fe, ihre wei­te­re Wort­wahl wird dann durch die Häu­fig­keit be­stimmt, mit der ge­wis­se Wör­ter in Zu­sam­men­hang mit die­sem Kern­be­griff in an­de­ren Tex­ten vor­kommt. Jeg­li­che Be­mü­hung um Search En­gine Op­ti­mi­sa­tion ist da­mit ver­lo­ren, die Such­ma­schi­nen stu­fen diese Tex­te bzw. Sei­ten schlech­ter ein, sie sin­ken in der Lis­te der bei Such­vor­gän­gen an­ge­ge­be­nen Fund­stel­len. Diese KI-Aus­wür­fe sind ein gro­ßer Fake, ge­nau­so, wie Sie mit Spiel­geld, sie­he Fo­to, im La­den nichts kau­fen kön­nen. Oh­ne die kor­ri­gie­ren­de Hand von Men­schen ist die KI po­ten­ziell ge­fähr­lich. Denn stel­len­wei­se le­sen sich ih­re Aus­wür­fe über­ra­schend gut, aber das gilt für Stan­dard­tex­te, bei de­nen die Fall­stricke wo­an­ders lie­gen (z.B. ju­ris­ti­sche Un­ter­schie­de zwi­schen den Län­dern).

Bei vie­len Pro­duk­ten gibt es ge­setz­li­che Vor­ga­ben zu Pro­dukt­da­ten­blät­tern, das wird ger­ne ver­ges­sen. Und Haf­tun­gen. Und Me­di­en. Die Bla­se wird plat­zen, viel­leicht die­ses Jahr noch, und zwar laut.

Und da sich die Qua­li­täts­an­for­de­run­gen nicht dau­er­haft ab­sen­ken las­sen, wer­den vor al­lem die Preis­bre­cher­agen­tu­ren, auch Bottom feeder oder Bil­lig­bu­den ge­nannt, die zu 99 Pro­zent auf den Preis und zu zwei Pro­zent auf die Qua­li­tät ge­setzt ha­ben, hof­fent­lich die Kon­kurr­enz der KI bald gut spü­ren. Zwei-Cent-Pro-Wort-Agen­tu­ren braucht wirk­lich nie­mand.

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Foto: C.E.

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