Was heute als „KI“ durch Medien und Marketing geistert, ist in Wahrheit meistens ein Missverständnis. ChatGPT wird oft für eine Art denkende Maschine gehalten, dabei ist es genau das nicht. Das Sprachmodell erzeugt auf beeindruckende Weise den Anschein von Intelligenz, aber dieser Eindruck ist trügerisch.
Es stimmt, dass ChatGPT durchaus viel kann. Es formuliert manchmal sogar elegant, analysiert Texte, schlägt kreative Lösungen vor. Doch diese Leistungen gründen nicht auf Verstehen, sondern auf Statistik. ChatGPT ist ein sogenanntes Large Language Model (LLM), ein Sprachsystem, das Milliarden von Wörtern verarbeitet hat und daraus gelernt hat, welche Wortfolgen besonders wahrscheinlich sind. Es simuliert Kommunikation.
Und doch stellt sich manchmal das Gefühl ein, als würde "es" denken. Die Formulierungen wirken durchdacht und empathisch, gelegentlich sogar witzig. Das liegt daran, dass die Maschine auf sprachliche Muster trainiert wurde, die menschliches Denken spiegeln. Sie ist ein sprachliches Chamäleon ohne Bewusstsein, kann nicht verstehen, nicht absichtsvoll handeln, kein Ziel verfolgen. Dieses System arbeitet mit nichts als mit Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Wie entstand das falsche Image?
Seit 2022 werden LLMs wie ChatGPT öffentlich als „Künstliche Intelligenz“ gehandelt, ohne dass genau dargelegt wird, was das wirklich bedeutet. Es entstand ein Hype. Die Medien schrieben über "lernende Maschinen", als handle es sich um Wesen mit Bewusstsein. Diese Ungenauigkeit ist Absicht, und sie prägt die Wahrnehmung. Hinzu kommt: Die Modelle antworten schnell, eloquent und ohne Zögern. Das simuliert Sicherheit. Dass sie dabei auch Fehler machen oder Inhalte erfinden, sogenannte "Halluzinationen", wird gerne übersehen.
Was ChatGPT fehlt, ist das, was man unter echter Intelligenz verstehen könnte: die Fähigkeit, Sinnzusammenhänge zu erfassen, sich Ziele zu setzen, selbstständig zu reflektieren. All das wären wiederum die zentralen Merkmale einer "Allgemeinen Künstlichen Intelligenz" (AGI). Eine AGI, so ist das Ziel ihrer Entwickler, würde kontextübergreifend denken, Ursache-Wirkungs-Ketten erkennen, flexibel auf Neues reagieren, also exakt so, wie wir Menschen.
Davon sind LLMs weit entfernt. Auch wenn es ständig Erweiterungen wie Plugins gibt, kontextbezogene Speicherfunktionen oder Gimmicks hinzukommen, die Grundlage bleibt das Wahrscheinlichkeitsmodell ohne Tiefgang. ChatGPT handelt nicht, bewertet nicht und hat im ei eigentlichen Sinn nichts wirklich gelernt.
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| This is not a stochastic parrot |
Diese Simulation führt jedoch dazu, dass viele Menschen dem Programm eine Urteilskraft zuschreiben, die es nicht besitzt. Die Maschine klingt logisch, sogar dann, wenn sie Humbuk ausspuckt. Sie widerspricht selten, gesteht eigenes Unwissen nicht ein. Das verstärkt den Eindruck von Intelligenz.
Doch Sprache ist nicht gleichbedeutend mit Denken. Manche Papageien können Wörter und Sätze wiederholen, ohne zu wissen, was sie bedeuten. ChatGPT ist ein hochentwickelter digitaler oder stochastischer Papagei, wie Kritiker:innen sagen.
Aufklärung darüber ist sehr wichtig.
Wer glaubt, dass hier ein denkendes Wesen spricht, wird Entscheidungen Maschinen anvertrauen, wer ihre Grenzen nicht kennt, läuft Gefahr, sich von technischen Simulationen blenden zu lassen, in Politik, Bildung, Journalismus, Justiz — oder im Rahmen von Dolmetscheinsätzen. (Für Dolmetscher:innen ist die KI eventuell ein Tool, das aber Profis aus Fleisch und Blut nicht ersetzt.)
Die Überschätzung ihrer Möglichkeiten macht die Technik gefährlich.
Klare Regeln und Trainings
Zugleich macht die KI vielen Bauchschmerzen: da ist die Angst, die Arbeit oder Kontrolle zu verlieren, Angst, überflüssig zu werden. Und auch Ängste aus der Science-Fiction, die bekannten dystopischen Momente wie Überwachung, Machtmissbrauch, Entmenschlichung, sind derzeit angesichts der Machtübernahme der Tech-Bros in den USA plötzlich hochaktuell.
Einschub: Eigentlich müssten wir jetzt alle sofort aus Facebook, Instagram, Paypal, LinkedIn und co. aussteigen und auf die weniger bekannten europäischen Anbieter umsteigen. Einschubende.
Es ist wichtig, die Sache zu beobachten. Und für Klarheit zu sorgen. ChatGPT ist ein Werkzeug, kein Wesen. Es kann uns unterstützen, informieren, sogar inspirieren. Aber es ersetzt weder Urteil noch Erfahrung oder eigenes Denken. Es spricht nicht wirklich, es simuliert nur einen Austausch. Wichtig ist, die Arbeit in Sachen Textverständnis, -analyse und -produktion mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu intensivieren. Und ihnen Quellenkritik beizubringen, die kritische Haltung gegenüber digitaler Wundertechnik inklusive.
Und wir brauchen internationale Regeln, die die Entwicklung und den Einsatz der KI regulieren und begrenzen. Das wird schwierig in Zeiten, in denen in Übersee einige libertäre Multimilliardäre die Demokratie und die Staatslenkung gekapert haben, aber wir müssen dranbleiben.
Fußnoten
♣ „Intelligenz“ ist ein vielschichtiger Begriff. In der Kognitionswissenschaft werden damit u. a. Problemlösevermögen, Abstraktionsfähigkeit und Lernfähigkeit verbunden. All das kann ein LLM wie ChatGPT nicht selbstständig leisten.
Fußnoten
♣ „Halluzination“ meint bei Sprachmodellen die Erzeugung von Aussagen, die zwar plausibel klingen, aber frei erfunden sind.
♣ „AGI“ steht für „Artificial General Intelligence“, eine allgemeine künstliche Intelligenz, die mit menschlichem Denken vergleichbar wäre und nicht nur spezielle Aufgaben lösen könnte.
♣ Zur Diskussion um Bewusstsein in Sprachmodellen: Viele Forschende stimmen darin überein, dass Bewusstsein nicht allein durch sprachliche Leistungen entsteht, sondern mit körperlicher Wahrnehmung, Motivation und Erfahrung verbunden ist, Aspekte, die LLMs fehlen, die auch der AGI fehlen werden.
♣ Viele Missverständnisse entstehen auch, weil Begriffe wie „lernen“, „verstehen“ oder „denken“ aus der menschlichen Erfahrung stammen, aber auf Maschinen übertragen werden, ohne dass sie dort dieselbe Bedeutung haben.
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Bild: Red Crowned Amazon,
Glandauer / Roger Moore, Wikimedia

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