Montag, 11. Juli 2022

Seat with a view

Hallo, gu­ten Morgen oder guten Tag! Sie lesen gerade im Blog einer Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin. Ich arbeite seit der zwei­ten Hälfte der Nul­ler Jahre als Dolmet­sche­rin in Berlin. Unser Beruf ist oft sehr in­ten­siv und er ist nicht selten mit Rei­sen ver­bun­den.

Sei keine Flasche, schütz dich und andere!

Dieses Bild habe ich noch leb­haft im Kopf: Aus der Mitte eines Re­gio­nal­bahn­groß­raum­ab­teils aus den 90-ern war Fläche freigeräumt worden, dortselbst lagen Le­go­steine und die Holz­ei­sen­bahn aus den Kin­der­ta­gen der Gründer herum und wurden in­ten­siv genutzt. Dieses rollende Spielzim­mer, eine Art mise en abyme: der fah­ren­de Zug im fah­ren­den Zug, gehörte zur Privat­bahn Locomore, die es nur von 2016 bis 2017 gegeben hat.

Diese Bahn nutzte aus­rangierte DB-Wagons, die hübsch gestal­tet waren, die alten Sitze liebe­voll ge­pols­tert. Damals war die CI-Farbe der Züge noch orange, später über­nahm die Bus­firma mit der giftgrünen Flotte. 

Obwohl ich inzwischen verschärft auf die pla­tin­far­be­nen Schulter­klappen als Bahn­fah­rerin beim "privati­sierten" Staatsbetrieb zusteuere, musste ich neulich an die Spielzeug­ei­sen­bahn denken, als ich "Privatbahn" gereist bin, Flixtrain heißt das Un­ter­neh­men jetzt, das jetzt eher französisch-nüchtern mit engen Sitz­reihen und fest zu­ge­wie­se­nen Sitz­plätzen bei der Buchung daherkommt.

Der Grund dafür waren Probleme mit den Klima­anlagen beim Staats­betrieb Bahn, so dass Wagons gesperrt und Züge stor­niert worden sind. Kurzfilm für den Kopf: Hun­derte von Rei­sen­den irren fluchend auf der Suche nach Aus­kunft durch den Bahnhof. Und ein Dol­met­scher­team schwebt an allen vorbei und reist flink Flix, weil die Info recht­zei­tig bei einem von uns im Postfach aufgeploppt war. (Wir hat­ten mehr Glück als Ver­stand.)

Im giftgrünen Zug gibt es wie zu Lo­co­more­zeiten keine Klima­anlage, so kann diese auch nicht aus­fal­len. Eine schöne Aus­sicht gab es in meiner Sitz­reihe auch nicht. Bei­des haben die Oberteile anderer Fenster kom­pen­siert: ein Teil ließ sich nämlich in alter Eltern Sitte ganz regulär einen ordent­lichen Spalt öffnen! Der Ritt durch die Pampa mit Landluft hier und da war sehr schön, auch das Lüft­chen, das zwi­schen den Reihen hindurch­wehte und auch mal Grillenzirpen ans Gehör brachte. Die Mög­lich­keit, den Apfel­griebs in Bio­qualität wieder der Natur zuführen zu kön­nen, hat mir besonders gefallen.

Etwas Fahrtwind finde ich besser als diese traurige Kühl­schrank­käl­te in den klima­ti­sierten Wagons!

Diesen Hitze­sommer reise ich grund­sätz­lich mit meh­re­ren Fla­schen: Einem Fläsch­chen mit Spray zum Desinfizieren des Tischchens im Zug, ohne Abbildung, einem Fläschchen mit Desinfek­tionsgel, gel hydro­al­coolique wird es höchst korrekt in der franzö­sischen Alltags­sprache genannt, einer normalen Flasche mit Trink­wasser und einer Thermosflasche für Tee oder schön kühles Wasser. Der Zwi­schen­wohn­sitz der jeweils anderen Flasche ist der Koffer.

Pro-Tipp einer Viel­rei­sen­den: Das Gel, das in der warmen Hand fast die Flüs­sig­keit von Wasser an­nimmt, eignet sich zum "Füße­waschen" am Bahn­steig nach einem Bau­­stel­­len­besuch: Die Füße sind voller Flusen, haben ge­schwitzt, Socken taugen als Wasch­lappen, die San­dalen stehen tausch­bereit. Wun­derbar. Ich werde die Fläsch­chen, die ich immer von Hand nachfülle, 'später' beibehalten.

Nach Sitzplatzwechsel
Und da ich keine Sicht hatte, konnte ich mich lange stö­rungs­frei auf meine Über­set­zung kon­zen­trieren, an der ich wie im­mer im Zug ge­ar­beitet habe. Bis eine Meute von MuNaSchu-Ver­wei­ge­rern mich auf die hinteren Ränge emi­grie­ren ließ, die üb­li­cher­wei­se für Eltern und Kind freige­hal­ten waren (daher die Kette zur Absper­rung).
Hier schließt sich der Kreis zum Ein­gangs­bild.

Ergän­zung: Flix­train ist in Pan­de­miezeiten doch keine gute Idee, denn die Zug­be­glei­ter setzen das Mas­ke­tragen nicht durch, obwohl sie das Haus­recht haben.

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Fotos:
C.E.

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