Mittwoch, 13. Juli 2022

Kleiderwahl

Aus dem Arbeits­alltag einer Dol­met­scherin können Sie auf diesen Seiten einiges er­fah­ren. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Ins Eng­lische übersetzt eine Bürokollegin. Im Gegensatz zu ihr bin ich ab und zu sicht­bar bei den Einsätzen, denn der Begriff "Dolmetschen" steht ja für die münd­li­che Über­tragung.

Neulich fiel mir das Dolmetschen in Jeans und Sommer­bluse etwas we­ni­ger leicht als sonst im An­zug, auch wenn die Ho­sen­bei­ne gar nicht zu sehen waren, wir saßen ja in Dol­metsch­ka­bi­nen.

Kleid, zusammengesetzt, Nadel und Faden, Maßband, Schere, Schließe, Knöpfe
Die Schließe ließe sich verwenden
Hier hat mir ganz eindeutig die Kon­di­tio­nie­rung einen Streich gespielt, Pawlow lässt grüßen! Von uns Dol­met­scher:innen wird im­mer er­wartet, dass wir uns kom­plett ins Bild ein­fügen, also gepfleg­te Ober­gar­de­robe bei eher steifen be­ruf­li­chen Anläs­­sen tragen, Fest­li­cheres bei Festlichem, legerer bei solchen Ar­beits­tref­fen wie neulich ge­klei­det sind.

Ende nächster Woche steht ein Nach­mit­tag mit Minister an. Nun habe von einer Freundin ein Kleid über­nom­­men, das nicht nur aus einem groß­ar­ti­gen Stoff in einer wun­der­schö­nen Farbe ist, sondern auch weit ge­schnit­ten und zwei Größen zu groß.

Auf mich um­ge­näht wäre dieses Kleid für den Ter­min perfekt!

Jetzt suche ich also eine sehr begabte Än­de­rungs­schnei­de­rin. Die Dame, die das wie­der­holt für mich ge­macht hat, ging in Rente. Die talentierte Nach­barin und Di­plom­­de­sig­ne­rin hat ihr eigenes Label ge­grün­det und ist somit aus­ge­bucht.

Für uns Dolmet­scherinnen ist das Kleidung­sthema (ge­ra­de in der Pan­de­mie) mit­un­ter auch ein Geld­problem. Nicht, dass unsere Tagesgagen nicht gut wären, aber auf einen Tag bezahlter Arbeit kom­men oft mehrere Tage Vorbereitung bzw. Er­ho­lung nach über­an­stren­genden Einsätzen. Und wir wollen ja nicht unbedingt nur für den Kleider­schrank arbeiten! (Vorsicht Ironie!)

Andere Eigen­schaften brauchen meine Arbeitssachen, die ich anders als eine Ärztin oder ein Bauar­beiter nicht von der Steuer absetzen kann: Ver­bo­ten sind klackernde Knöpfe am Ärmel, dafür wird Robus­theit gesucht (pflegeleicht!), Atmungsaktivität und am liebsten auch noch Koffertaug­lichkeit. Nicht immer einfach, das alles zu kombinieren. Sie dürfen klassisch sein, eine Spur fashion statement ist erlaubt, grund­sätzlich treten wir immer hinter denen, die wir ver­tonen, zurück, auch mo­de­­tech­­nisch.

Ich hoffe, bald wieder eine Chef­schnei­derin gefunden zu haben (es könnte auch ein -er sein). Über die Jahre habe ich ei­ni­ge Lieblingssachen für mich ent­deckt; etliches war bereits vintage gefunden, also klassisch, bewährt und kein ak­tu­el­les Mode­label, da denke ich ans Nach­nähen, das spart Geld UND Such­zeit nach Neuem.

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Collage: C.E.

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