Freitag, 1. Juli 2022

Cruising Berlin

Bonjour & hel­lo! Hier bloggt seit 2007 eine Über­set­zerin und Dol­met­scherin. Meine Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch, da­ne­ben auch mit Eng­lisch. Wir Wort­arbeiter:in­nen sehen die Welt mit ande­ren Augen. Wir sind sprach­sen­si­bel und re­agie­ren be­wusst auf an­de­re sprach­sen­si­ble Men­schen. Ges­tern, nach dem Bib­lio­theks­be­such ...

Gesehen in Berlin-Neukölln
Zu erwäh­nen ist die ältere Da­me im Dop­pel­decker­bus, die mir beim Auf­pas­sen hilft, an wel­cher Hal­te­stelle auf dem lan­gen Ku'damm eine Volks­bank-Filiale ist, denn ich muss da aus­stei­gen. (Ich hat­te zu­nächst den Bus­fah­rer ge­fragt.) Sie kommt von weit her, spricht sorgfältig, langsam und gram­­ma­ti­ka­lisch sehr ak­ku­rat. Ich höre sofort, es ist bestes Fremd­deutsch, ge­schätzt auf B1-Ni­veau.

Es folgt ein kleines Höf­lich­keits­ge­plän­kel mit leicht keckem Un­ter­ton, wie es in Berlin üb­lich ist. Das kann sie sehr gut. 

Mir hat mal eine Freun­din erzählt, dass in ei­ni­gen Städten Syriens ei­ne ähn­li­che Di­rek­theit üblich sei. Ich ant­wor­te, ar­ti­ku­lie­re wie im­mer, spre­che al­ler­dings ein µ lang­samer.

Es entsteht einer län­ge­re Pause. Dann sieht sie mich mit auf­fallend direktem Blick an: "Sie spre­chen so schön. In mei­nem Be­kann­ten­kreis ist das selten!" Kurz erkläre ich ihr den Grund und dass ich ge­ra­de aus einem Theater komme, das Dol­metsch­be­darf hat. Sie strahlt. Sie stellt sich als ehe­ma­li­ge Kos­tüm­schnei­de­rin für The­ater und Film vor.

Die Fahrt dauert eine Weile, und nach einem vermutlich gemeinsam empfundenen Hei­mat­mo­ment ent­deckt sie die Bank­fi­lia­le am Straßenrand. Wir umarmen ein­an­der kurz, ich sprin­ge aus dem Bus, wir win­ken kurz zum Abschied. Nach dem Bank­be­such weiter in die Nor­di­schen Bot­­schaf­ten zum postsaisonalen Kol­le­gin­nen­tref­fen, ein Mittagessen in der Kan­ti­ne. Dort das nächste Hei­mat­mo­ment: Eine Ser­vice­kraft spricht Deutsch mit einem so wundervollen Stock­hol­mer Ak­zent, dass ich Schmetterlinge im Bauch habe. (Mei­­ne Mom war prä­na­tal mit mir länger in Schwe­den. Durch die Bauch­decke hin­durch habe ich sie und andere Schwe­disch spre­chen hören.)

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Foto:
C.E.

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