La mise en abyme, in Frankreich lernt den Begriff jeder Mensch, der Literaturwissenschaft studiert, im 1. Semester, wenn es nicht bereits in der Abiturvorbereitung vorgekommen ist. Das Wörterbuch lehrt mich, dass das Wort abyme vom griechischen ἄβυσσος (abyssos) stammt, was so viel wie "ohne Boden" oder "unendlich" heißt. Die Sache mit der bodenlosen Erweiterung nach unten merken wir uns mal kurz.
Der Begriff käme aus der Heraldik, lerne ich weiter, aus der Wappenkunde, und bezeichne ein Bild, das ein Bild enthalte, gerne auch sich selbst. Also der Hase mit dem Schild, auf dem ein Hase mit Schild abgebildet ist, das wiederum ...
An der Pariser Universität habe ich es so gelernt, dass André Gide Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hat: J'aime assez qu'en une œuvre d'art on retrouve ainsi transposé, à l'échelle des personnages, le sujet même de cette œuvre par comparaison avec ce procédé du blason qui consiste, dans le premier, à mettre le second en abyme. ("Es gefällt mir sehr, wenn der Gegenstand eines Kunstwerks im Spektrum seiner Charaktere ein weiteres Mal umgesetzt ist – ähnlich dem Verfahren, ein Wappen in seinem Feld wiederum abzubilden." André Gide, Journal 1893.
Auf einer französischen Webseite steht diese mise en abyme inmitten der Beschreibung eines Kulturevents. Es geht um ein Musiktheaterstück für Kinder. Der Begleittext soll die Erwachsenen überzeugen. Aber wer in Deutschland kennt schon das Zitat von Gide und was darauf gefolgt ist?
Französische Schulkinder wissen dafür immerhin, dass man das Wort abîme für Kluft, Untiefe und Abgrund sonst mit einem I statt des Ypsilons schreibt (das auf Französisch das i grec, das griechische I ist).
Und dass das Wörtchen ein "Dächle" bekommen hat, wie die Schwaben sagen, wissen sie aufgrund eines Lernreims.
Le chapeau de la cime est tombé dans l’abîme et celui du boiteux est tombé dans la boîte ... auf Deutsch: Der Hut des Gipfels (la cime, dortselbst kann ich mir berechtigterweise so ein "Dächle" vorstellen) ist in den Abgrund gefallen, ins abîme — und da sitzt er nun. Der Satz geht weiter: ... und der des Hinkenden, le boiteux, den wir uns jetzt mit Hut vorstellen dürfen, ist in die Schachtel gefallen, dans la boîte, hier ist wieder ein Accent circonflexe. Der Hinkende ist wohl gestolpert.
Dieser Satz ist mir in Potsdam beim Unterrichten an Filmhochschule und Uni vor über zehn Jahren zum Glück im richtigen Augenblick wieder eingefallen.
Ich habe viele Jahre im Studiengang "Europäische Medienwissenschaft" unterrichtet. Ich werde zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Jahre das Wort boîte nicht mehr geschrieben haben. Aber auch diese Schnurren helfen mir nicht weiter bei der Übersetzung. Ich suche nach der mise en abyme auf deutschen Webseiten. Die deutsche Kunstgeschichte hat den Begriff unverändert übernommen, es fällt dann immer gleich der Name des Malers Jan van Eyck oder irgendwelche Spiegeleffekte.
In der Epik muss, anders als in der Heraldik, die Binnenhandlung übrigens nicht mit der Rahmenhandlung identisch sein. Ich behelfe mich mit "ein Stück im Stück". Mich lässt es nicht los. Ich suche weiter, obwohl ich schon eine Lösung habe.
In Forum des Internetwörterbuchs LEO wird der Romanist Prof. Dr. Ottmar Ette (mit Sitz in Potsdam) mit dem Wort "Verschachtelung" zitiert. Mir fällt wieder ein, dass ich in den Nuller Jahren auch das Konzept der Matrjoschka-Puppen zur Erklärung verwendet habe. Das brachte etwas Lokalkolorit in den noch nach DDR-Reinigungsmittel Lysol
Und als ich weiterlese, stoße ich auf die Erwähnung eines holländischen Kakaoherstellers, in dessen Dose bei uns immer der Kochkakao verschwindet: Droste. Abgeleitet davon werde auch der Begriff "Droste-Effekt" verwendet. Im Netz finde ich unter diesem Begriff vor allem Seiten auf Holländisch und Englisch. Und mit etwas Weitersuchen auch noch Seiten auf Deutsch, und zwar für Fotografen, Designer und Kommunikationsfachleute.
Nein, ich bleibe beim "Stück im Stück", das dürften alle verstehen. Den Link zur übersetzten Seite trage ich nach, sobald sie veröffentlicht ist.
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Fotos: C.E.
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