Freitag, 27. Januar 2012

Pariser Bohème ...

Willkommen beim Arbeitsjournal einer Dolmetscherin und Übersetzerin mit Wohnort Berlin! Hier schreibe ich über meinen deutsch-französischen Berufsalltag, dabei habe ich, auch außerhalb von Terminen, mitunter interessante Begegnungen.

Neulich, ich saß im Café, aßen im halbleeren Gastraum zwei Tische neben mir zwei Gäste, die unter dem bleiernen Berliner Januarhimmel durchgehuscht waren und sich in das anheimelnde Innere meines Stammcafés gerettet hatten, eine Kartoffelsuppe. Es war nicht diese deftige Berliner Variante mit Schinkenspeck und Würstchen, die ja sicher auch ihre Reize hat (aber eine eingefleischte Vegetarierin eher abschreckt), sondern eine mit Ingwer und Kürbis.

Manchmal steht da auch "gepflegte Getränke"
Da nahm am Tisch neben mir ein älterer Herr Platz, schüttelte seine Jacke aus, denn inzwischen hatte es zu regnen angefangen, und schaute mich mit freundlichen Augen an, wie ich da so aus der Ferne kurz die Kartoffelsuppe taxierte, die von den Gästen gelobt wurde.
Ich hatte gerade selbst gegessen und merkte mir die Suppe für das nächste Mal vor.

Ich arbeitete weiter, denn manchmal sitze ich im Café und verbessere Texte, wenn mir zu Hause die Stubendecke auf den Kopf zu stürzen droht oder die Mitbewohnerin wieder tonnenschwere Filmdatenpakete an den Sender schickt.

Zwischendurch muss ich wiederholt aufgeblickt und nachgedacht haben. Einmal trafen sich unsere Blicke wieder, die des Tischnachbarn und meine. Der fragte darauf schelmisch lächeld: "Darf ich Sie auf eine Kartoffelsuppe einladen?"

Wie ich da wissen wollte, wie ich denn zu der Ehre käme, entgegnete er: "Sind Sie eine hungernde Schriftstellerin? Ich würde Ihnen gern eine Freude bereiten!"
Ich bedankte mich freundlich, sagte, dass ich durchaus satt sei und fragte zurück, wie er darauf komme.

"Naja, das hab ich in meinen Pariser Jahren gelernt, und Sie haben sowohl etwas Literarisches als auch etwas Französisches an sich!"
Jetzt kamen wir wirklich ins Gespräch. Mein Gegenüber, das ausgesucht und mit markantem Akzent Deutsch sprach, erzählte, dass er 1968 in Paris gewesen sei, dort ein Jahr als Nachtportier gearbeitet habe ... am Morgen sei er dann immer auf dem Montmartre gewesen, wo dann auch die Maler im Café frühstückten ...

Sein Akzent, erklärte er übrigens auf Nachfrage, sei etruskisch. Das musste ich später nachschlagen: Der Mann stammt aus dem nördlichen Mittelitalien. Dann kam auch schon seine Kartoffelsuppe. Was er nach der Zeit als Nachtportier gemacht hat, verriet er mir leider nicht. Im Hotelfach ist er vermutlich eher nicht geblieben.

"Buon appetito, Signore!" Und ich beugte mich weiter über die Papiere ...

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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger (?)
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert

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