Mittwoch, 18. Januar 2012

Albtraum

Willkommen auf dem Blog einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Hier schreibe ich über unseren Berufsalltag, der oft viel Stress behinhaltet.

Das nenne ich lebensnah geträumt ... oder satirisch überspitzt. Jemand von einer Kulturbehörde oder einer Kulturwirtschaftsfirma ruft mich an, ist überaus freundlich, voller Komplimente ... und sagt dann im Ton eines Ertrinkenden: "Wir brauchen Sie!" Und ruft dann viele Seiten auf, die ich zufällig schon mal in der Hand hatte, Kulturerbe, bitte zu Freitag übersetzen. Es ist Mittwoch. Ich liege im Bett mit eitriger, spastischer Bronchitis oder etwas in der Preislage und würde eigentlich absagen, allein schon, weil es zu viel Heu für zu wenig Tage ist. Warum können sie Leute nicht langfristig planen? Dann kommt der Süßdusche zweiter Teil: Es werden tolle Projekte in Aussicht gestellt, wird immer wieder daran erinnert, was doch für schöne Aufträge man in der Vergangenheit bereits gemeinsam gestemmt habe; der Honig, der mir ums Maul geschmiert werden soll, trieft sehr.

Die Hustenantwort lässt nicht lange auf sich warten. Aber weder diese unüberhörbaren Einwände noch den Verweis auf die Menge lässt mein Gegenüber gelten. Eine Kollegin flüstert mir zu, dass Teile des Kulturerbetextes bereits übersetzt seien, das Schulamt soundso hätte sie. Ich könne das dochmal überprüfen, vielleicht sei es gar nicht so viel, und mit meinen Fähigkeiten zur Angleichung von Texten merke man am Ende keine Nahtstellen. Ich bin irritert. Wie, meine eigene Kollegin bearbeitet mich im Sinne dieses Kunden? Ich werde schwach, erwäge kurz die Aufgabe, die Argumente beginnen zu wirken. Ich sage immerhin Prüfung dieser Dokumente zu und meinen Rückruf binnen zweier Stunden. Ich liege im Bett, ich bin schweißgebadet und muss jetzt aufstehen, ein Albtraum.

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Foto: C.E. (Archiv)

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