Was ich anbiete
Dienstag, 31. Januar 2012
Türsonde
Etliche Dolmetscher, die ich kenne, bleiben in den Ferien gern zu Hause, zumindest in einem Teil derselben. Denn Dolmetscher reisen oft, nicht alle, aber die anderen dafür umso mehr.
Einmal hatte ich zwischen anderen Jobs ein Drehbuch zu übersetzen, es war der Film von Jacob Berger "Ein Tag" (Une journée), der u.a. im Wartebereich eines Flughafens spielt. Recht ausführlich wurde deshalb im Vorfeld des Drehs der Flughafen detailliert beschrieben. Und dann erlebte ich diese merkwürdige Doppelung: Ich saß selbst auf dem Flughafen, wartete auf irgendeinen Anschluss, und tippte eine Geschichte in den Laptop, die am Flughafen spielt.
Viele komische Vokabeln kamen darin vor, zum Beispiel les portiques de détection et de sécurité. Wo ich schon mal da war, durchlöcherte ich die Sicherheitskräfte ... und lernte das Wort "Türsonde" und dass manche "Torsonde" dazu sagen, außerdem so selten schicke Wörter wie "Handsonde" und "Luftsicherheitsassistent". Derjenige, der die Sonde in der Hand hält, heißt übrigens "ein Sonder". Sonderlich ... bizarre, vous avez dit bizarre? Que c'est bizarre ! (*)
Ich flog damals einige Monate lang fast jede Woche. Noch Jahre später haben mich die Sicherheitsassistenten erkannt und mir neue Vokabeln zugeraunt, dabei war ich da schon längst bei einem anderen "Drehort".
(*) ... eine der berühmtesten französischen Filmrepliken aus "Drôle de drame" von Marcel Carné: "Komisch, haben Sie komisch gesagt? Das ist aber komisch!?"
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Foto: C.E.
Montag, 30. Januar 2012
Mehrsprachigkeit
"Das einseitige Lernen einer einzigen Sprache als Zweitsprache auf der ganzen Welt und die Einsprachigkeit derer, die diese Sprache schon können, sind eine schreiende Ungerechtigkeit und eine bodenlose Dummheit."
"Wer nur eine Sprache beherrscht, versteht oft gar nicht, was Verschiedenheit des Denkens bedeutet."
Jürgen Trabant (* 25. Oktober 1942 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Sprachwissenschaftler. Er lehrt als Professor of European Plurilingualism an der Jacobs University Bremen. (Quelle für die Vita: Wikipedia)
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Sonntag, 29. Januar 2012
Beamtenlaufbahn ...
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Fotos: C.E. (Sommer 2011)
Freitag, 27. Januar 2012
Pariser Bohème ...
Neulich, ich saß im Café, aßen im halbleeren Gastraum zwei Tische neben mir zwei Gäste, die unter dem bleiernen Berliner Januarhimmel durchgehuscht waren und sich in das anheimelnde Innere meines Stammcafés gerettet hatten, eine Kartoffelsuppe. Es war nicht diese deftige Berliner Variante mit Schinkenspeck und Würstchen, die ja sicher auch ihre Reize hat (aber eine eingefleischte Vegetarierin eher abschreckt), sondern eine mit Ingwer und Kürbis.
Manchmal steht da auch "gepflegte Getränke" |
Ich hatte gerade selbst gegessen und merkte mir die Suppe für das nächste Mal vor.
Ich arbeitete weiter, denn manchmal sitze ich im Café und verbessere Texte, wenn mir zu Hause die Stubendecke auf den Kopf zu stürzen droht oder die Mitbewohnerin wieder tonnenschwere Filmdatenpakete an den Sender schickt.
Zwischendurch muss ich wiederholt aufgeblickt und nachgedacht haben. Einmal trafen sich unsere Blicke wieder, die des Tischnachbarn und meine. Der fragte darauf schelmisch lächeld: "Darf ich Sie auf eine Kartoffelsuppe einladen?"
Wie ich da wissen wollte, wie ich denn zu der Ehre käme, entgegnete er: "Sind Sie eine hungernde Schriftstellerin? Ich würde Ihnen gern eine Freude bereiten!"
Ich bedankte mich freundlich, sagte, dass ich durchaus satt sei und fragte zurück, wie er darauf komme.
"Naja, das hab ich in meinen Pariser Jahren gelernt, und Sie haben sowohl etwas Literarisches als auch etwas Französisches an sich!"
Jetzt kamen wir wirklich ins Gespräch. Mein Gegenüber, das ausgesucht und mit markantem Akzent Deutsch sprach, erzählte, dass er 1968 in Paris gewesen sei, dort ein Jahr als Nachtportier gearbeitet habe ... am Morgen sei er dann immer auf dem Montmartre gewesen, wo dann auch die Maler im Café frühstückten ...
Sein Akzent, erklärte er übrigens auf Nachfrage, sei etruskisch. Das musste ich später nachschlagen: Der Mann stammt aus dem nördlichen Mittelitalien. Dann kam auch schon seine Kartoffelsuppe. Was er nach der Zeit als Nachtportier gemacht hat, verriet er mir leider nicht. Im Hotelfach ist er vermutlich eher nicht geblieben.
"Buon appetito, Signore!" Und ich beugte mich weiter über die Papiere ...
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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger (?)
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert
Donnerstag, 26. Januar 2012
Nussmischung
Morgens vor der Schule, wir packen Pausenbrote, Obst und Getränke zusammen, denn was ein fleißiger Filmdolmetscher ist, so sieht dieser (oder diese) relevante Filme der Berlinale bereits bei den Pressevorführungen.
Der weltbeste Patensohn (acht Jahre) schaut erst auf seinen Proviant, dann auf meinen, dann wieder auf seinen, weist mit dem Finger auf eine kleine Dose, die bei meinen Sachen liegt und fragt: "Und was ist daaa drin?" (Bei seinem Proviantstapel fehlt die Dose.)
Ich: "Haselnüsse, Rosinen, Walnüsse mit einem "l" und so'n Kram."
Er: "Ach so, wie heißt das gleich noch, 'Assistentenfutter'?"
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Foto: C.E. (Archiv)
Mittwoch, 25. Januar 2012
Out of the blue
Nicht plötzlich, out of the blue, sondern durchaus nachvollziehbar verändert sich der Markt. Französisch wird immer weniger nachgefragt, befördert durch die Franzosen selbst, die ja sonst immer die Muttersprachen verteidigen.
Beispiele gefällig? Neulich, wir sollen für Pressetermine auf der Berlinale gebucht werden, Einzel- und Gruppeninterviews in irgendwelchen Hinterzimmern von Luxushotels. Tag passt (so gerade) noch, Zeit auch, Honorarvorschlag angemessen. Wir schreiben eine Option in den Kalender. Sie wird schriftlich bestätigt, französischer Film, läuft im Wettbewerb, Name des zu betreuenden Dolmetschgasts. Kostenvoranschlag geht raus.
Berlinale 2012: 9.-19.Februar |
Über Englisch auf der Berlinale haben wir hier schon oft diskutiert. Eine Dolmetscherkollegin, selbst Engländerin, ist regelmäßig entsetzt über das Niveau dieser "lingua franca", jedenfalls, wie sie in Deutschland bei manchem Festival bzw. Publikumsgespräch im Anschluss an Filme praktiziert wird, und nennt derlei "simplified facebook english". Dass es aber viele Journalisten gibt, deren Englisch nicht sicher genug ist, um komplizierte Sachverhalte im Interview zu klären, wird mir von den Betreffenden noch immer regelmäßig zugeraunt. Und das sind dann nicht nur Leute, die vor 1989 im Ostteil Deutschlands lebten.
Unsere internationale Agentur und der Presseagent sehen im Luxushotel also nur ein "Publikum", das sich bereits selbst vorsortiert hat, logisch, "wir haben nie Journalisten bei den Interviews, die kein Englisch können", this is a self fulfilling prophecy.
Wie die Sache ausging? In den Stunden, in denen die Dolmetscher optioniert waren, kam eine andere Anfrage rein und wurde mangels weiterer einschlägig erfahrener Kollegen abschlägig beschieden. Am Ende waren beide Jobs futsch, denn wir dolmetschen nicht in unsere Drittsprache, auch C-Sprache genannt.
Tja, die Franzosen verteidigen eben nicht Fremdsprachen oder ihr Idiom im Allgemeinen, sondern die Sprache Molières im eigenen Land oder außerhalb bei öffentlichen Ereignissen.
Was machen wir jetzt? Weiter! Weiter mit der Übersetzung eines Treatments, der Kurzfassung eines Drehbuchs, das ein Engländer verfasst hat. Englisch kommt derzeit recht oft rein. Und wenn man eine Sprache schon gut kann, ist Übersetzen die beste Methode, um diese zu festigen und zu vertiefen. Also: out of the blue, ich sehe da den blauen Himmel bei "heiterem" Wetter vor mir, also "aus heiterem Himmel".
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Foto: C.E. (Archiv)
Dienstag, 24. Januar 2012
Übersetzungsprobleme
Die neue Unübersichtlichkeit der Arbeitswelt treibt neue Blüten. Als Übersetzerin bin ich wirklich überfragt, wie ich das übertragen soll, übel:
"Ich bin bei XYZ selbständig angestellt."Wie, was denn nun? Ich frage nach. Die junge Dame bekommt ein monatliches Fixum und Urlaubsgeld, gilt aber als selbständig. Sie hat Budgetverantwortung, ein Büro und darf Sekretariatsdienstleistungen in Anspruch nehmen, zahlt aber ihre Beiträge zu diversen Versicherung alleine und der Vertrag ist jederzeit kündbar.
Hm. Das nennt sich, glaube ich, Scheinselbständigkeit. Das Pikante am Rande: Es handelt sich um eine Rechtsanwaltskanzlei und eine junge Anwältin. Ich verstehe, dass sie sich wegbewirbt und daher Unterlagen in einer anderen Sprache braucht.
Und was mach ich jetzt als Übersetzerin mit dem Sch... ??!! Oder hab ich da jetzt komplett etwas missverstanden?
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Foto: C.E. (Archiv)
Montag, 23. Januar 2012
Sprengstoff und Silikon
Nein, unter der Überschrift "Sprengstoff und Silikon" folgt jetzt kein Kommentar zu den Brustimplantaten französischer Fertigung, die, weil sie unter Verwendung von Industriesilikon gefertigt wurden, aus manchem "Holz vor der Hütt'n" einiger vermeintlicher "sex bombs" ... naja, Sprengstoff machen. Aua, was für ein Anfang, schön politisch unkorrekt und vermutlich nur möglich, weil hier eine Frau schreibt.
Oft mahnen wir an dieser Stelle an, dass gute Übersetzung Zeit braucht. Wie die Webzeitung "heise online" gestern vermeldete, hat Zeit neulich an herausragender Stelle gefehlt: Bei der gerade in einer Auflage von 250.000 Exemplaren erschienen Übersetzung der Biografie des vor kurzem verstorbenen Apple-Vaters Steve Jobs. Sechs Übersetzer teilten sich den Jobs-Job (sorry, musste sein!) und lieferten anscheinend eine Arbeit ab, der man ansieht, dass aus Zeitgründen auch noch die Schlussredaktion gekürzt oder gestrichen worden war.
So wurden, wie der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) in Sachsen gerade vermeldet hat, etliche Übersetzungsfehler in das Buch eingebaut.
Beispiele gefällig?
„Für Steve Jobs beginnt der Aufstieg zum strahlenden Olymp der Erfinder mit dem Bericht über zwei Elternpaare und die Kindheit in einem Tal, das gerade lernte, wie man Silikon in Gold verwandelt“.Nicht Silikon ist gemeint, hier haben wir wieder unsere Sprengstoff-Implantante, sondern die Substanz, die "Silicon Valley" seinen Namen gab: Silizium. Das Wortpaar silicone und silicon erweist sich hier nicht unbedingt als schlüpfrig, was die Gedanken der Übersetzer möglicherweise gewesen sein mögen, sondern nur als rutschig. (Pikanterweise gibt es in Kalifornien eine ironisch silicone valley genannte Gegend, in der sich vor allem die Pornoindustrie angesiedelt hat.)
"heise online" zitiert eine zweite Buchstelle:
Naja, auch Knallfrösche sind in den USA explosives, das schien sich dem/der Übersetzer/in im Moment der Übertragung entzogen zu haben. Konsequent weitergedacht wäre die Lehrerin nach dem "Aussitzen" von Sprengstoff endgültig "fertig" gewesen."Einmal brachten wir unter dem Stuhl unserer Lehrerin Mrs. Thurman Sprengstoff an. Das hat sie wirklich fertiggemacht." (One time we set off an explosive under the chair of our teacher, Mrs. Thurman. We gave her a nervous twitch.)
Über 700 Seiten ...
Was passiert eigentlich, stellt sich mir da die für Sekundenbruchteile aufblitzende Frage, mit explodierenden Silikonbrustteilen? Nee, zu unkorrekt, derlei zu schreiben, das geht gar nicht, nicht mal für eine Frau.
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Foto: Bertelsmann
Sonntag, 22. Januar 2012
Wie man sich bettet ...
Wie einst am Hofe wird noch heute in den Schlafzimmern Politik gemacht, deshalb ist in Frankreich das Privatleben aktiver Politiker tabu. Es wissen zwar alle Bescheid, aber keiner schreibt darüber, es sei denn, die Beteiligten machen’s »danach«. Erlaubt ist jedoch, sich die Grundlagen der ganzen Sache mal in Ruhe anzuschauen. In Deutschland heißt »französisches Bett« ein Bett für zwei, das aus nur einer Matratze besteht. Hier ist aus deutscher Perspektive an zentraler Stelle etwas ganz Entscheidendes vorhanden, was in Deutschland bei zwei nebeneinander stehenden Einzelbetten in der Mitte fehlt: der Übergang. Der unschöne Spalt in der Mitte wird auf Deutsch sehr uncharmant »die Besucherritze « genannt — der Begriff allein lässt erahnen, wie unbequem es bei trauter Zweisamkeit wird — und welche Dramen sich später mit kleinen Besuchern dort abspielen.
Ein echtes französisches Bett ist außerdem mit einer einzigen Decke ausgestattet, die lediglich ein im Kopfbereich umgeschlagenes Laken vom Körper trennt. (...)
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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert
Text: Eigenes "Recycling"
Freitag, 20. Januar 2012
Lebenswege Zwo, wir probieren!
Leider kann ich die Frage, welche Art von Jobs Übersetzer und Dolmetscher heute in den ersten Berufsjahren annehmen müssten oder sollten, nicht so einfach beantworten.... ich bin in den Beruf reingewachsen und muss mich jetzt in einer zudem stark veränderten Situation erst wieder unter den jüngeren Kolleginnen und Kollegen umhören, dann werde ich die Antwort(en) hier (garantiert an einem Freitag) veröffentlichen.
Heute kann ich Dir also nur einen Link zu einem früheren Kurzbeitrag über "Berufseinstiege" posten, hier schrieb ich über Dolmetschen auf der Messe und über eine Absolventin aus Paris, die eine halbe Stelle im Bereich Verwaltung annahm, um die Sprachkenntnisse zu festigen. Inzwischen kenne ich auch noch einen jungen Kollegen, der diesen Weg gewählt hat.
Und noch einen Linktipp habe ich. Nach der Veröffentlichung meines letzten Eintrags passierte nämlich ein kleines Wunder, und der bringt mich jetzt in die glückliche Lage, hier stolz einen Link zu zwei Schweizer Nachwuchsdolmetschern zu präsentieren, die ein Blog über den Einstieg in den Beruf gestartet haben, voici alors 2interpreters. Wunder deshalb, weil Matthias Haldimann (sein Twitter-Profil hier) und sein Kollege damals mit ihrem Blog direkt auf meine Bitte an die Leser reagiert hatten, mir doch etwas über die eigene Berufsanfangssituation zu schreiben, und mein Eintrag somit ein wenig zur Entstehung Ihrer sehr anregenden Seite beigetragen hatte.
Daher wiederhole ich diese Frage hier gleich nochmal: Wenn Sie in dieser Situation sind oder jemanden kennen, die/der als Dolmetscher und Berufsanfänger etwas berichten kann, würde ich mich über eine Nachricht (hier oder als Mail) sehr freuen. Ich kann Ihnen zusichern, nur nach Rücksprache, anonymisiert und in Auszügen aus Ihren Zuschriften zu zitieren.
Denn mit Wissen ist es wie mit Liebe: beides verdoppelt sich, wenn man es teilt.
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Vorab vielen Dank!
Donnerstag, 19. Januar 2012
French Film
Die Berlinale-Vorbereitungen laufen auch in den Büros von Übersetzern und Dolmetschern bereits auf Hochtouren, auch wenn das Filmfestival erst in drei Wochen anfängt.
So geriet folgender Hinweis ein wenig in Verzug, ist aber noch nicht zu spät: Das französische Unternehmen für Filmpromotion veranstaltet bereits zum 2. Mal ein Online-Filmfestival, das noch etwas mehr als 13 Tage lang jeweils zehn Kurz- und Langfilme im Wettbewerb und drei abendfüllende Spielfilme außer Konkurrenz anbietet.
Dieses Jahr können die Zuschauer in Deutschland kostenfrei teilnehmen. Bislang habe ich noch nicht viel davon gesehen, bin vor allem gesurft ... nur "La Reine des pommes" sah ich in Gänze, den ersten Film der Regisseurin (und Schauspielerin) Valérie Donzelli, der in bester Rohmer-Nachfolge steht (nur in der amourösen Suche expliziter).
Gewöhnungsbedürftig sind allerdings die oft nicht sehr guten Untertitel, bei denen Zuschnitt, Timing, Übersetzung wiederholt nicht stimmen und denen es (bei manchen Filmen mehr, bei anderen weniger) an Leerzeichen mangelt.
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Illustration: my french film festival
Mittwoch, 18. Januar 2012
Albtraum
Das nenne ich lebensnah geträumt ... oder satirisch überspitzt. Jemand von einer Kulturbehörde oder einer Kulturwirtschaftsfirma ruft mich an, ist überaus freundlich, voller Komplimente ... und sagt dann im Ton eines Ertrinkenden: "Wir brauchen Sie!" Und ruft dann viele Seiten auf, die ich zufällig schon mal in der Hand hatte, Kulturerbe, bitte zu Freitag übersetzen. Es ist Mittwoch. Ich liege im Bett mit eitriger, spastischer Bronchitis oder etwas in der Preislage und würde eigentlich absagen, allein schon, weil es zu viel Heu für zu wenig Tage ist. Warum können sie Leute nicht langfristig planen? Dann kommt der Süßdusche zweiter Teil: Es werden tolle Projekte in Aussicht gestellt, wird immer wieder daran erinnert, was doch für schöne Aufträge man in der Vergangenheit bereits gemeinsam gestemmt habe; der Honig, der mir ums Maul geschmiert werden soll, trieft sehr.
Die Hustenantwort lässt nicht lange auf sich warten. Aber weder diese unüberhörbaren Einwände noch den Verweis auf die Menge lässt mein Gegenüber gelten. Eine Kollegin flüstert mir zu, dass Teile des Kulturerbetextes bereits übersetzt seien, das Schulamt soundso hätte sie. Ich könne das dochmal überprüfen, vielleicht sei es gar nicht so viel, und mit meinen Fähigkeiten zur Angleichung von Texten merke man am Ende keine Nahtstellen. Ich bin irritert. Wie, meine eigene Kollegin bearbeitet mich im Sinne dieses Kunden? Ich werde schwach, erwäge kurz die Aufgabe, die Argumente beginnen zu wirken. Ich sage immerhin Prüfung dieser Dokumente zu und meinen Rückruf binnen zweier Stunden. Ich liege im Bett, ich bin schweißgebadet und muss jetzt aufstehen, ein Albtraum.
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Foto: C.E. (Archiv)
Dienstag, 17. Januar 2012
Dokumente übersetzen
Zeugnisse und Dokumente übersetzen wir gelegentlich noch, aber immer seltener. Denn derlei ist, würde meine westfälische Oma sagen, viel "Kleinknüselkram", und erfordert 180-prozentige Wachsamkeit, wenn wir immer wieder alle Namen, Adressen, Daten akribisch genau vergleichen müssen, denn am Ende werden die Dokumente meist gestempelt und sind fortan offizielle Papiere.
Fächerschrank im Arbeitszimmer Closeup hier |
Ein Beispiel: Neulich hatte ich eine sehr kurze Geburtsurkunde in der Mache, da aber die Aufdrucke des Briefpapiers inklusive Fußnoten und Adresszeilen wiedergeben müssen, war ich für den Grundpreis von 40.€ (bei einer geringen Zeilanzahl) trotzdem über eine Stunde lang beschäftigt, denn zum Übersetzen und Stempeln (das die Kollegin übernimmt) gehört ja auch noch eine Termin-vereinbarung mit dem Kunden, der möglicherweise zu spät oder auch gar nicht kommt ... alles schon gehabt.
Zum Glück waren es einige Dokumente mehr, drei übersichtliche Schulzeugnisse für insgesamt 75 € und eine Arbeitgeberbescheinigung für 45 €. Der Gedanke, dass unsereiner irgendwann alles schon mal auf dem Schreibtisch hatte, stellt sich irgendwann ein, und so war auch ich auf den Gedanken verfallen, dass die alten Texte vielleicht als Vorlagen für die neuen taugen könnten. Aber dem ist leider in den seltensten Fällen so. Die Bandbreite dessen, wie die grundlegenden Momente des Lebens in amtliche Dokumenten Niederschlag finden können, ist immens.
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Foto: C.E. (Archiv)
Montag, 16. Januar 2012
Vorsätze
Das neue Jahr ist noch nicht zu alt für neue Vorsätze. Neulich las ich, man solle seine Pläne, die besonders inflationär ab Neujahr auftreten, knapp und realistisch halten ... und diese publik machen, auf dass es mit der Umsetzung leichter werde.
Also: Im neuen Jahr möchte ich neue Kunden gewinnen, denn einige alte sind perdü. Die einen sind Filmproduzenten aus französischsprachigen Landen, die sonst auf der Suche nach Kofinanzierung bei der DEGETO vorstellig geworden sind, der ARD-eigenen Agentur für große Filmproduktionen. Im Vorfeld von Terminen dort übersetzte ich zehn Bücher im Jahr. Fini erstmal bis 2014, das Geld für die kommenden Jahre wurde vom alten Leitungsteam schon in den letzten Jahren ausgegeben. 2012 stellt die Degeto nur 16 neue Filme her, zumeist mit deutschen Stars. Pechös ... Bleiben die drei, vier Spielfilmdrehbücher, die ich übers Jahr sonst in der Mache habe, unterm Strich ist das aber zu wenig, den Kinoproduktionen fehlt im Vorfeld oft das Geld (währenddessen nicht selten auch).
Das Gros der Press Junkets, so heißen die Pressetermine im Vorfeld von Filmstarts, ist dauerhaft futsch, seit ein Journalist, der so ganz mäßig Französisch kann, das alles aus einer Hand anbietet, Interviews für (digitale) Pressemappen inklusive. Könnte ich auch, den journalistischen Anteil liefern, nur fehlt mir das zentrale Verkaufsargument: Regelmäßig auf einem öffentlich-rechtlichen Sender "Filme der Woche" zu präsentieren. Da ist seine "Dolmetschleistung" offenbar sekundär, und bei bis zu 15 Filmen, die jede Woche neu starten, verstehe ich auch die Verleiher.
Ich will mich hier nicht weiter ärgern, steuere meine journalistischen Texte www.FranzösischerFilm.de bei, einer nichtkommerziellen Seite, und hoffe, dass die Grenzen dessen, was einerseits die Erfüllung offizieller Aufgaben und was andererseits private Vorteilsnahmen sind, für viele eines Tages wieder klarer werden. (Das Thema macht ja derzeit in einem anderen Zusammenhang Schlagzeilen.)
Deshalb werde ich dieses Jahr auch wieder vermehrt selbst schreiben und mein 2. Buch vorbereiten. Dem weltbesten Patensohn möchte ich mindestens eine Stunde die Woche Französischunterricht schenken, außerdem statt nur einmal wirklich endlich zweimal die Woche Sport treiben ... über die tägliche Miniportion Morgengymnastik hinaus.
Ansonsten bin ich gerade verschärft dabei, allerlei Kleidung und Krimskrams auszusortieren und fürs Verschenken über freecycle vorzubereiten. Dieses Verschenknetzwerk werde ich mit einer Kollegin weiterhin moderieren, für mich inzwischen im achten Jahr. Hier simuliert das weltweite Netz mal wieder das Dorf: Dinge, die zuhause oder im Büro nicht mehr gebraucht werden, können über freeycle weiterwandern, so, wie sie anderenorts an Familienmitglieder oder Nachbarn weiterverschenkt werden.
Außerdem wünsche ich uns, dass wir nach der Berlinale wieder alle vier bis sechs Wochen Freunde zum Essen nach Hause einladen, was gute Chancen auf Realisierung hat, denn der private Kochwettbewerb ist noch lange nicht beendet (wenngleich ich den Vorentscheid eindeutig verloren habe).
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Illustration: C.E. (Archiv) und freecylce.org
Sonntag, 15. Januar 2012
U-Galerie
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Fotos: C.E.
Samstag, 14. Januar 2012
Literaturübersetzung
Der Literaturbetrieb kommt ohne sie nicht aus, fast jedes zweite Buch, das in Deutschland veröffentlicht wird, ist eine Übersetzung. Ewiger Zankapfel zwischen
Verlagen und Urhebern von Übersetzungen ist allerdings die angemessene Vergütung der Arbeit. So schätzt Hinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V (VdÜ), dass in Deutschland etwa 2.000 Übersetzer von ihrer Arbeit zu leben versuchen — bei einem durchschnittlichen Jahresumsatz von ca. 20.000 Euro. Vom Umsatz gehen noch die Kosten für die Arbeitsmittel, Versicherungen usw. ab, daraus ergibt sich am Ende das jeweilige Einkommen.
Dabei sind die Honorare in den letzten Jahrzehnten gesunken. Wer in den 1990-er Jahren 35 DM je Seite als Vergütung für seine Übersetzungsleistung erhielt, kann heute nur mit 20 Euro rechnen ... ein deutlicher Kaufkraftverlust.
Übersetzen, Korrekturlesen, Verändern, Überarbeiten, ganz gleich, ob ein Drehbuch oder Belletristik übersetzt wird |
Anzahl und Umfang der Weiterverwertungen nimmt nicht selten zu, von digitalen Büchern über Audiobooks bis hin zu Taschenbuchausgaben oder Verfilmungen ist das Spektrum groß. Doch beklagen die Übersetzer, dass dieser gesetzlichen Änderung nur selten Folge geleistet werde. Die Einführung einer für alle Verlage verbindlichen, gemeinsamen Vergütungsregel scheiterte bislang.
Viele Übersetzer gingen daher einem Zweitberuf nach, um ihren Herzblutberuf des Literaturübersetzers querzufinanzieren, so Taz-Autorin Carla Baum. Russisch-Übersetzer Olaf Kühl ist halbtags Russlandreferent im Berliner Rathaus, auch er mag vom Abenteuer Literaturübersetzung nicht lassen, das er wie folgt beschreibt: "Die erste deutsche Fassung hinzukriegen ist ein gewaltsamer, blutiger Akt. Danach erst kommt der schöne Part, wenn man, befruchtet von einem fremden Stil, kreativ arbeiten kann."
Gleich noch ein Link: Hier Hinrich Schmidt-Henkel mit einem Text über Umberto Eco und das Übersetzen.
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Foto: C.E. (Archiv)
Freitag, 13. Januar 2012
Lebenswege, die Erste!
Liebe Annika, hier der erste Versuch einer Antwort. Die Frage ist komplex. Ich hoffe, Dir ein paar sinnvolle Hinweise geben zu können ... In acht Tagen folgt der 2. Teil.
Arbeitsort Dolmetscherkabine für die Grundlagen |
Damit hatte ich mein Ziel klar im Blick, auch, wenn meine Schulnoten erstmal schlechter wurden. Den Schulwechsel erleichtert haben mir Feriensprachkurse an einer französischen Universität, zu denen ich als Teenager in den Sommerferien fuhr. Ich war in der Schule kein Streber, sicher in allen geisteswissenschaftlichen Fächern überdurchschnittlich, aber phasenweise auch faul und ich pflegte meine unglückliche Liebe zur Mathematik und derlei. (Die Schulwahl hatte sich zunächst daraus ergeben, dass besagtes Gymnasium damals das einzige vor Ort war. Zur neuen Schule fuhr ich mit der Eisenbahn in die übernächste Kreisstadt.)
Ich habe nach dem Abi in Frankreich studiert, anfangs wieder mit schlechten Noten ... und kann sagen, dass mich immer eine Mischung aus Dickköpfigkeit, Fleiß, System und Zielstrebigkeit vorangebracht hat. Fleiß: Ich besitze noch heute die Schuhkartons voller Vokabelkarteien. System: Früh habe ich bewusst alle Sinne zum Lernen verwendet, seit ich 14 wurde, lief in meinem Zimmer die ganze Zeit "France Culture", was ich in Schwaben an der Grenze zu Frankreich sogar (nur leicht verrauscht) im "UKW-Band" hören konnte. Das ist heute mit dem Internet viel leichter und viel schwerer zugleich. Es gibt mehr Auswahl und dadurch auch mehr Zerstreuungsmöglichkeiten.
Das Bonbon: Auf der Berlinale |
Rückblickend sieht das geradlinig aus, denn schon mit 21 Jahren habe ich an der Pariser IHK das Diplom zur Fachübesetzerin für Wirtschaft und Handel abgelegt (das es heute leider nicht mehr gibt, es war die gemeinsame Übersetzerprüfung der Handelskammern von Paris und Düsseldorf).
Für angehende Dolmetscher ist eine grundlegende Eigenschaft sicher ebenso wichtig wie für künftige Journalisten: Das Interesse an der Welt. Ich bin offen, neugierig, gehe auch auf Berühmtheiten locker mit Fragen zu, hake nach, frage nach Vokabeln, wenn sich mir etwas entzieht. Ich lerne täglich. Ich habe die wirtschaftliche Sicherheit der Redaktion gegen eine manchmal etwas bedrohliche Freiheit ausgetauscht. Jene, mit denen ich einst zeitgleich ins Berufsleben startete, haben mich teilweise (mitunter mit unlauteren Mitteln) überholt. Anstatt mich zu sehr zu ärgern, arbeite ich mit viel Hingabe auch weiter für kreative Projekte und mit den Menschen, die wirklich wichtig sind, selbst dann, wenn am Ende das Geld mitunter nicht stimmt.
Ab und zu TV-Arbeit, hier: Kanzlerinterview für France 2 |
Résumé: Wem als Schüler also das Ziel wichtiger ist als der Numerus Clausus, wer in den Ferien und im Studium Sprache lieber im Ausland einatmet, als sie zu Hause zu pauken, wer mit Energie, Aufopferungsbereitschaft, Optimismus und Leidensfähigkeit ausgestattet ist, darf eventuell mit einer Sprachmittlertätigkeit mit kulturellem, sozialem und politischem Schwerpunkt liebäugeln. Grundsätzlich gilt, ein Fachstudium auszusuchen, mit/von dem sich ansonsten auch leben ließe. Ich empfehle viel Sorgfalt bei der Auswahl des Studiums und Berufs in dem Sinne, dass wir Menschen ja mehr Zeit mit dem Broterwerb zubringen als mit dem/der Liebsten ...
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Fotos: CE und privat (Archiv)
Donnerstag, 12. Januar 2012
Frühstück mit Untertiteln
Manche Einträge schreiben sich wie von selbst. Heute früh sitzen wir lächelnd an einer "Seite" eines runden Küchentischs und sind ganz still. Wir möchten nicht stören.
In dieser oder jener Arbeitsküche ... hier ohne Besuch |
Der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan sitzt dort mit einem seiner Übersetzer. Sie gehen das neue Buch im persischen Original Satz für Satz durch, wobei Englisch die zweite Arbeitssprache ist.
Gerade sind sie an einer Stelle, wo zwei sich begegnen, tiefe Blicke und vertraute Gesten austauschen. Plötzlich sehen wir, die wir nicht stören wollen, uns selbst anders, wie von außen: Es ist, als würden die beiden Männer am Tisch die gesprochenen "Untertitel" zu dem liefern, was wir machen. Oder schauen wir uns jetzt länger an, weil die beiden im Buch einander länger angesehen haben?
Auch so kann ein Tag im Leben von Sprachmenschen anfangen ...
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Foto: C.E. (Archiv)
Mittwoch, 11. Januar 2012
genau!
Montag in der deutschen Hauptstadt: Die Kanzlerin fasst den Stand der Beratungen zusammen, danneben steht ihr französischer Counterpart und lauscht ihren Worten, die in seiner Sprache aus der Dolmetscherkabine über den "Knopf im Ohr" zu ihm gelangen. Dann tritt eine kleine Pause ein (er hört noch dem Rest dessen zu, was verdolmetscht wird, es gibt da ja immer einen kleinen "Überhang").
Am Ende weist er auf sie, sagt ein Wort ... und grinst anschließend schelmisch:
"genau!"! |
Unsereiner hört, dass oft selbst die Darsteller (oder Synchronsprecher) dieser Filme keine Deutschen sind und vermutlich nur eben diese Wörter kennen. Das ist ungefähr so, wie wir als Kinder in den westdeutschen 1970ern Italienisch imitierten: Avanti, Spaghetti, Pizza Margherita, Gelato, Bambini!
Daher jetzt ein herzliches bravo! an Monsieur Sarkozy für diesen neuen Kontext!
Dienstag, 10. Januar 2012
Klirrend!
Viel Erde wird bewegt |
Dafür klirrt jetzt was anderes. Wir sitzen in einem Restaurant, das sich, obschon es inmitten der deutschen Hauptstadt liegt, in the middle of nowhere befindet. Berlin war lange Zeit die Hauptstadt der Kräne und Bagger. Wir befinden uns im Zentrum Berlins, in dem eine neue "politische Mitte" zwar bereits existiert, aber noch nicht wirklich ins Leben der Stadt eingebunden ist.
Beim Dolmetschen kein Alkohol! |
Ich erinnere mich. Letzten Sommer war ich bereits einmal mit einer Delegation hier, und weil ich vor allen anderen angekommen war, hatte ich Zeit zu fotografieren. Das Gebäude des Restaurants hat keine Nachbarn, was wird das Geräusch wohl sein?
Vorarbeiten für einen Neubau |
Beim Weggehen frage ich ihn, was er gemacht habe. "Die Gläser vom Tablett genommen", war die ebenso schlichte wie ergreifende Antwort.
Und das schwere Baustellenfahrzeug lässt weiter unmerklich die Erde beben. Ach sooooo...
EDIT: Es handelt sich um das Restaurant Paris-Moskau und den Baubeginn des Bundesinnenministeriums
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Fotos: C.E. (Archiv)
Montag, 9. Januar 2012
Samstagabend, halb sechs
Komische Momente gibt's. Samstagabend um halb sechs, ich schalte gerade auf Privatleben um, denn am Nachmittag war noch eine kurze Übersetzung zu fertigen, klingelte das Telefon. Jemand von einer mir nicht bekannten Dolmetscheragentur war dran und wollte mich buchen ... "Für ab sofort! Sie müssten aber zum Flughafen Schönefeld fahren." Was es denn sei, will ich wissen. (In Tegel habe ich schon Geschäftsmänner beim Meeting während einer Zwischenlandung gedolmetscht.)
"Irgendeine Sache mit der Polizei, vermutlich Einreiseprobleme", lautet die Antwort. Ich frage nach dem Honorar. "Ääähh, ja, gute Frage, wissen wir nicht", sagt mein Anrufer recht unsicher: "Was ist denn Ihr Preis?"
Buchungen per Telefon: Alltag ... |
Wenn mich die Polizei direkt anspricht und dringenden Bedarf hat, bin ich als Dolmetscherin und Staatsbürgerin verpflichtet, mich zu diesen Konditionen anheuern zu lassen. Wenn nicht gerade etwas komplett anderes auf dem Programm steht, hat unsereiner Mühen, sich dem zu entziehen. Wenn eine solche Anfrage aber über eine Agentur reinkommt, die am Ende wie viele Agenturen mindestens ihre 30 % Vermittlungsanteil haben möchte (schlechte Agenturen nehmen bis zu 60.%), habe ich die Möglichkeit, "Nein" zu sagen. Nein, für 154.Euro schlage ich mir nicht einen Abend um die Ohren, der mit Freunden ganz anders verplant war, zumal ich oft ja erst noch den Babysitter organisieren muss.
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Foto: Archiv
Sonntag, 8. Januar 2012
Stressholz
Selbst die Rose hat Stressholz ausgebildet. Im Hintergrund meine Tageslichtlampe |
Meine Worte möge ein konkretes Beispiel illustrieren, das ich in der 2. Hälfte der 1990-er Jahre von meinen Reisen in die USA mitgebracht habe. In der Wüste Arizonas bauten Wissenschaftler zwischen 1987 und 1991 ein riesiges Gebilde aus zusammenhängenden Gewächshäusern, um die komplexen Zusammenhänge zwischen den Ökosystemen zu untersuchen, die wir auf der Erde kennen. Und weil unser Globus die erste Biosphäre ist, wurde das Unternehmen "Biosphere 2" getauft. In den frühen Neunzigern haben Wissenschaftler dann versucht, in diesem geschlossenen System zu leben ... und sie scheiterten.
Das Scheitern hat viele Ursachen, über die ich hier nicht sprechen werde. Aber zugleich konnten sie zahlreiche wertvolle Beobachtungen anstellen. Zum Beispiel sahen sie, dass die Bäume lediglich dünn und schwach wuchsen, dass ihr Wurzelwerk unterentwickelt blieb. Manche Bäume knickten sogar unter dem eigenen Gewicht ein. Nach einer Weile des Nachdenkens verstanden die Wissenschafter: Die Abwesenheit von Wind hatte die Bäume geschwächt. Beim Wachsen müssen Bäume starken Winden widerstehen, um das zu entwickeln, was die Wissenschaftler daraufhin "Stressholz" (stress wood) genannt haben. Sie brauchen die Winde auch, um starke Wurzeln zu entwickeln, um ihre eigene Struktur zu festigen. Draußen sind es die Winde (= die Schwierigkeiten), die es den Bäumen erlauben, kräftig zu werden, so dass sie dem nächsten Wind (oder sogar mehr) standhalten können ...
Conclusio: Wir Menschen brauchen Schwierigkeiten und wir müssen das, was uns ängstigt und leiden macht, annehmen. Wenn wir sie akzeptieren und unsere Antworten finden, entwickeln wir Stressholz und Wurzeln, so dass Schwierigkeiten zu einer Herausforderung im Leben werden können, die uns Leib und Seele stärken.
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Foto: C.E.
Samstag, 7. Januar 2012
Mehr Licht ...!
... sprach der alte Geheimrat und verstarb. Irgendwo las ich, dass der Mann aus Frankfurt am Main aber auch mundartlich: "Mer lischt hier so schlescht" hätte sagen wollen, man liegt hier so schlecht, und einfach nicht fertiggeworden ist.
Schluss mit den Kalauern. Einem Vorschlag einer Freundin folgend bringe ich heute als Link der Woche einen alten Artikel zum Thema Licht, den ich vor x Jahren verfasst habe. Sorry für dieses wiederholte Recyclingmaterial, erst gestern was Poetisches, jetzt 'ne Reportage, aber offenbar hat mein Schreiben und Fotografieren der letzten Tage den Eindruck erweckt, dass ich unter akutem Lichtmangel leiden würde.
Seit ich in Berlin lebe, sind mir die Winter zu dunkel. Schön sind die
blaugrauen Tage, zu denen alte Berliner sagen: "Veilchen in Milch
gekocht", aber irgendwann ist es nur noch grau in grau.
Vergleich Lichtlampe und Tageslicht Quelle: Wikipedia/Creative Commons |
Lichtsensible Menschen wie ich neigen zu einer ausgewachsenen Winterdepression, gegen die mit Johanniskraut sowohl ein Kraut gewachsen ist, als auch der Mensch in seiner Ingeniosität ein helfend' Ding erfunden hat: Die Tageslichtlampe.
Seit ich eine besitze und mit der Lichttherapie angefangen habe, ist mein Verhalten zu Licht insgesamt viel gesünder geworden.
Winterdepression adé, konnte ich damals sehr bald sagen, derzeit leuchtet sie bei mir winters nur ca. vier Tage in der Woche am Morgen oder am späten Vormittag.
Denn wenn ich auch an tiefgrauen Tagen wenigstens einmal mein eckiges "Bullauge" auf dem Küchentisch angeschmissen und das strahlende Licht gesehen habe, das man sonst nur an Sonnentagen oder im Himmel über den Wolken zu Gesicht bekommt, hebt das nicht nur meine Stimmung, ich habe auch der mich anschließend wieder umgebenden Grisaille gegenüber einfach nur eine gelassene Haltung.
Das war mein Résumé. Die Teile waren vor etlichen Jahren noch sehr teuer, ich würde aber auf jeden Fall ein Qualitätsgerät empfehlen, da die LidlAldiTchiboSonstwas-Geräte oft flackern.
Ach ja, bei Wikipedia fand ich eben noch diesen Satz: "Anders als früher angenommen scheint es (...) wichtig, die Lichttherapie nicht irgendwann vormittags, sondern möglichst gleich nach dem Aufstehen anzuwenden."
Das werde ich ab morgen gleich berücksichtigen. Danke, Bine, für die Anregung zum Blogpost, ohne sie hätte ich diese "Morgeninfo" nicht bekommen.
So, hier geht's zum alten Text. Bonne lecture !
P.S.: Obacht bei Selbstmedikation, Johanniskraut verstärkt die Lichtempfindlichkeit. Besonders bei sensibler Haut vorher den Arzt befragen!
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Foto: Wikipedia/Creative Commons
Freitag, 6. Januar 2012
Unternächte
Einer alten Tradition zufolge beendet der "Königstag" die "Unternächte". Das Wort "Unternächte" (oder Rauhnächte) kenne ich von meinem Vater, der kennt es wiederum aus dem Erzgebirge. Diese Nächte erstrecken sich über die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag. Dies waren einst besondere Tage der Muße und des Nichtstuns, im Ergzebirge ruhte der Bergbau. In der verkürzten Form kennen wir das heute noch als "zwischen den Jahren" oder la trêve des confiseurs.
In der erzgebirgischen Mythologie war diese Zeit von einer ganzen Reihe von Regeln und Verboten begleitet. So durfte während dieser zwei Wochen auch keine Weißwäsche gewaschen werden, weil sich in dieser Phase des Jahres über den Himmel rasenden Räuber und Geister darin verfangen könnten. Die Dienerschaft hatte Pause; in Zeiten vor Erfindung der Gewerkschaften waren heidnische oder religiöse Schutzregeln wohl auch ein guter Weg, um die dienstbaren Geister vor zu viel Ausbeutung zu schützen.
(Aber von eigener Hand) Bücher zu sortieren ist hoffentlich erlaubt. Mich haben die Unternächte vor sechs Jahren zu folgenden Zeilen inspiriert, die mir beim Umräumen in die Hände fielen. Da wir zu Jahresanfang noch unter uns sind, bringe ich sie heute.
Unternächte
Zwischen Weihnachten und Königstag
Steht die Zeit.
Noch sind die Tage kurz,
Oder merkst Du was?
Am Firmament gehen Räuber und Gehilfen
Auf Streifzug.
Haus und Arbeit ruhn, einst ruhte auch
Die Dienerschaft.
Und während die Nächte uns eine Frist geben
Schlägt die Stunde.
Prüf Deine Pläne, bring Deine Bücher
In Ordnung.
Zwischen Weihnachten und Königstag
Steht die Zeit.
(02.01.06)
Ab nächstem Montag geht's dann auch wieder "richtig", also arbeitsbezogen, hier auf dem Blog weiter. Über eine weitere Bezeichnungen der Zeit nach Weihnachten schrieb ich hier: abgebrachter Feiertag.
Donnerstag, 5. Januar 2012
Ohrenstöpsel
Mein französisches Reisegepäck für die Sommerseminare, die Ohrenstöpsel sind aber immer mit dabei |
Außer einem Brandloch im Pelzmantel, der heute als Vintage durchgehen würde, ist zum Glück nichts passiert. Aber mein Gehör ist mir als Dolmetscherin zu lieb und teuer, als dass ich es riskieren dürfte. Selbst in der U-Bahn trage ich derzeit diese Ohrenteile, seit einem Bekannten meiner besten Freundin, einem Musiker, mal in solch einem Zug ein Kracher direkt am Ohr explodierte. Die spinnen, die Leute ... und der Musiker musste den Beruf wechseln.
Also sehe ich mir zu jedem Jahreswechsel bei wachsender Stubenhockerei zu. Oder ich fliehe aufs Land. Frankreich wäre auch eine gute Ausweichmöglichkeit, da ist der akustische Silvesterterror praktisch unbekannt, in Paris war die Knallerei sogar verboten! Dafür holen die Franzosen den Lärm am Nationalfeiertag nach.
Die Ohrenstöpsel werden sehr oft nach der Marke benannt: Ohropax auf Deutsch und auf Französisch boules quies. (Die Dinger trug ich auch 2007 bei der deutschen WM-Eröffnung in München, sie sind auch im Reisegepäck fürs Hotel).
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Foto: C.E. (Archiv)
Mittwoch, 4. Januar 2012
Happy new ...
Irgendwo stand, dass das nachfolgende Zitat auf einen griechischen Clochard zurückgehen soll:
Merry Crisis and a happy new Fear!Diese Verballhornung sieht auf den ersten Blick ziemlich böse aus. Aber in Deutschland wünschen wir einander zum Jahreswechsel "Guten Rutsch ins neue Jahr!", das klingt ja auch reichlich gefährlich — die Absurdität des Ausdrucks wird erst beim Versuch, ihn zu übersetzen, so richtig deutlich: Have a good slide into the New Year. Und wer im Winter in den Skiurlaub abreist, bekommt ein "Hals- und Beinbruch" mit auf den Weg — break a leg and your neck.
Merry Crisis and a happy new Fear!, das passt nicht nur durch die grassierende Anglifizierung der deutschen Sprache durchaus ins Programm der hierzulande möglichen Neujahrswünsche! Allen, die das skeptisch sehen, wünsche ich viel Glück, Gesundheit und Gelassenheit im neuen Jahr!
Zum Thema "Glück" gibt's hier gleich noch einen Medientipp: "Das Gespräch" vom Abend des 1. Januar auf Kulturradio (rbb) mit dem Gesundheitsforscher und Mediziner Prof. Dr. Tobias Esch (Autor von "Die Neurobiologie des Glücks"). Achtung!, die Radiosendung kann nur bis kommenden Sonntag (am frühen Abend) angehört werden, die Zeitungsverleger wünschen es so.
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Foto: C.E.